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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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mal erworben hat. Diese "Politik kleinlicher Rancune" verfolge der heillose
Parlamentarismus auch Dänemark gegenüber. Und da Bismarck bekanntlich
so zaghaft und unentschlossen der öffentlichen Meinung gegenübersteht, und
ihr in keiner Weise zu widersprechen wagt, "so mußte er das Opferlamm
sein, welches den fremden Völkern gegenüber tollit xeeeata, Qerm3,nig.e."
Armes Opferlamm! Geistvoller Kenner der jüngsten Zeitgeschichte!

Als Hauptautorität für diese geniale Auffassung des Verhältnisses der
öffentlichen Meinung zur Politik Bismarck's führt uns der Verfasser eine
Broschüre des bekannten dänischen Chauvinisten Steen Bille an. Der Che¬
valier hätte sich, allerdings weniger genial aber bei weitem solider und wahr¬
haftiger aus den Verhandlungen des Norddeutschen Reichstages von 1867
und 1870 über dieses Verhältniß unterrichten können. Ja, es giebt Leute,
welche behaupten, daß ein seltener Grad von Unbefangenheit dazu gehört,
vor einem deutschen Publikum unter der Maske eines deutschen Patrioten über
den Artikel V. des Prager Friedens zu schreiben und hierbei die Privatar¬
beiten der Feinde Deutschlands als lauterste Quelle zu citiren, während die
offiziellen Reden im deutschen Parlamente dem Leser mit keiner Silbe vorge¬
führt werden. Diese Unterlassung kann nur auf zwei Ursachen zurückgeführt
werden. Entweder der Verfasser kennt diese Quellen nicht, dann ist sein Unter¬
fangen über die norddeutsche Frage zu schreiben, maßlos dreist. Oder er
kennt diese Quellen, dann ist ihre Verbergung vor dem Leser eine bewußte
Fälschung des geschichtlichen und politischen Thatbestandes. Wir lassen dem
Herrn Chevalier die Wahl. Doch läßt die beneidenswerthe Unbefangenheit,
mit welcher der Verfasser uns die gesammten Folgerungen der Steen Bille'schen
Broschüre als unantastbare Weisheit empfiehlt, darauf schließen, daß die
hier einschlagenden Verhandlungen des norddeutschen Reichstags dem Ver¬
fasser bisher absolut unbekannt geblieben sind. Zu derselben Annahme führt
der eigentliche Kern seiner Schrift: Deutschland sei bisher, obwohl "donna
oonour", allein schuld an der Nichtausführung des Prager Tractats; für
Dänemark sei die Abtretung der nördlichsten Districte Schleswigs eine Lebens¬
frage; die Grenze müsse die Sprachgrenze sein, und diese sei leicht zu ziehen;
für Deutschland sei die Erfüllung des Art. V. ein Gebot der Pflicht, der
Politischen Klugheit, wichtiger Bundesgenossenschaft.

Verfolgen wir, gegenüber diesen im Brustton der Ueberzeugung vorge¬
tragenen Behauptungen, die nordschleswigsche Frage einmal nach deutschen
Quellen. Stellen wir die authentischen Aussprüche unserer Abgeordneten und
Staatsmänner über Art. V. des Prager Friedens zusammen. Das erste
Mal sprach sich Bismarck über diese Friedensbestimmung aus im constituiren-
den Reichstag, am 16. März 1867, provocirt durch ein "Amendement" des
Dänen Kryger zur norddeutschen Bundesverfassung, welches lautete "zum Bun-


mal erworben hat. Diese „Politik kleinlicher Rancune" verfolge der heillose
Parlamentarismus auch Dänemark gegenüber. Und da Bismarck bekanntlich
so zaghaft und unentschlossen der öffentlichen Meinung gegenübersteht, und
ihr in keiner Weise zu widersprechen wagt, „so mußte er das Opferlamm
sein, welches den fremden Völkern gegenüber tollit xeeeata, Qerm3,nig.e."
Armes Opferlamm! Geistvoller Kenner der jüngsten Zeitgeschichte!

Als Hauptautorität für diese geniale Auffassung des Verhältnisses der
öffentlichen Meinung zur Politik Bismarck's führt uns der Verfasser eine
Broschüre des bekannten dänischen Chauvinisten Steen Bille an. Der Che¬
valier hätte sich, allerdings weniger genial aber bei weitem solider und wahr¬
haftiger aus den Verhandlungen des Norddeutschen Reichstages von 1867
und 1870 über dieses Verhältniß unterrichten können. Ja, es giebt Leute,
welche behaupten, daß ein seltener Grad von Unbefangenheit dazu gehört,
vor einem deutschen Publikum unter der Maske eines deutschen Patrioten über
den Artikel V. des Prager Friedens zu schreiben und hierbei die Privatar¬
beiten der Feinde Deutschlands als lauterste Quelle zu citiren, während die
offiziellen Reden im deutschen Parlamente dem Leser mit keiner Silbe vorge¬
führt werden. Diese Unterlassung kann nur auf zwei Ursachen zurückgeführt
werden. Entweder der Verfasser kennt diese Quellen nicht, dann ist sein Unter¬
fangen über die norddeutsche Frage zu schreiben, maßlos dreist. Oder er
kennt diese Quellen, dann ist ihre Verbergung vor dem Leser eine bewußte
Fälschung des geschichtlichen und politischen Thatbestandes. Wir lassen dem
Herrn Chevalier die Wahl. Doch läßt die beneidenswerthe Unbefangenheit,
mit welcher der Verfasser uns die gesammten Folgerungen der Steen Bille'schen
Broschüre als unantastbare Weisheit empfiehlt, darauf schließen, daß die
hier einschlagenden Verhandlungen des norddeutschen Reichstags dem Ver¬
fasser bisher absolut unbekannt geblieben sind. Zu derselben Annahme führt
der eigentliche Kern seiner Schrift: Deutschland sei bisher, obwohl „donna
oonour", allein schuld an der Nichtausführung des Prager Tractats; für
Dänemark sei die Abtretung der nördlichsten Districte Schleswigs eine Lebens¬
frage; die Grenze müsse die Sprachgrenze sein, und diese sei leicht zu ziehen;
für Deutschland sei die Erfüllung des Art. V. ein Gebot der Pflicht, der
Politischen Klugheit, wichtiger Bundesgenossenschaft.

Verfolgen wir, gegenüber diesen im Brustton der Ueberzeugung vorge¬
tragenen Behauptungen, die nordschleswigsche Frage einmal nach deutschen
Quellen. Stellen wir die authentischen Aussprüche unserer Abgeordneten und
Staatsmänner über Art. V. des Prager Friedens zusammen. Das erste
Mal sprach sich Bismarck über diese Friedensbestimmung aus im constituiren-
den Reichstag, am 16. März 1867, provocirt durch ein „Amendement" des
Dänen Kryger zur norddeutschen Bundesverfassung, welches lautete „zum Bun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/203>, abgerufen am 22.07.2024.