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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Der volle Zwang des Despotismus indessen kam über Mailand erst als
Karl V. es in die Hände Spaniens übergab, denen es bis zu Beginn des
XVIII. Jahrhunderts verblieb. Wie man über die Herrschaft Oesterreichs
dachte, die darauf folgte, ist allen Zeitgenossen bekannt; vergeblich berief man
deutsche Gelehrte und Künstler, um der Stadt neuen Nimbus zu geben --
aber Mailand wollte nicht deutsch sein, es wollte nichts sein als ein Theil
des einigen Italien! Entsetzliche Jahre vergingen, bis der Friede von
Villafranca kam und der König im brausenden Jubel in Mailand einzog.

Es ist wunderbar genug, daß eine Stadt, die so unwandelbar im Kreise
nationaler Entwicklung stand, doch äußerlich so wenig nationale Charakteristik
zeigt. Denn Jeder, der Italien unbefangen durchzieht, wird sich gestehen, daß
das italische Element in Mailand am wenigsten zu Tage tritt, das Leben,
die ganze Physiognomie der Stadt hat vielmehr einen kosmopolitischen Zug,
wie er jeder Großstadt eigen ist und gar manche Straßen könnten ebensogut
in Paris sein.

Am ehesten besitzen noch die neuen Wege (vor allem die Gallerte Victor
Emmanuel's) ein südliches Gepräge; dieß Bedürfniß nach hohen glänzenden
Räumen, wie es hier zum Ausdruck kommt, ist doch das eigentliche Wahr¬
zeichen der Italiener, deren ganzes Leben nach Außen drängt. Man muß
des Nachts in die lombardische Hauptstadt kommen, an einem Festtag,
wo Alles erleuchtet ist, und dann durch diese Hallen gehn, in denen Tausende
von Menschen fluthen und Tausende von Flammen strahlen, dann wird man
inne, was für Italien die Nacht bedeutet und daß es wirklich Italien ist, in
dem wir weilen.

Der Grundstein zu diesem glänzenden Bau, der schwerlich seines Gleichen
hat, ward am 4. März 1865 gelegt, der Meister desselben stammt aus
Bologna. Im Mittelpunkt des ungeheueren Kreuzes, das zum Grundriß
diente, erhebt sich eine Kuppel, reich mit Fresken und Karyatiden geschmückt,
in dem Achteck aber, das die Kuppel überwölbt, stehen die Statuen der be¬
rühmtesten Italiener. Rafael und Dante sind hier; stürmisch schaut Savo-
narola hernieder und Arnold von Brescia, der große Erreger des Volkes!
Hier ist es auch, wo Macchiavell sein Denkmal fand und ebenbürtig an
politischer Weisheit, überlegen an politischer Freiheit steht Cavour ihm gegenüber.

Die ganze Halle, zu deren Erleuchtung 1200 Gasflammen dienen, zeigt
uns das Leben eines südlichen Bazars. 96 der prächtigsten Magazine breiten
uns hier ihre Schätze aus, funkelnden Schmuck und schwere Teppiche, Statuen
und Bilder. In den Cafe's sind die Flügelthüren geöffnet, daß man die
rothen Sammetkissen und die riesigen Spiegel sieht, unablässig drängen sich
die Zeitungsverkäufer heran an die plaudernden Gruppen und singen ihre
bekannte Weise "?ki-soo6!'!M2g," ,"?allku1Ja", "Msione" -- S esutssimi.


Der volle Zwang des Despotismus indessen kam über Mailand erst als
Karl V. es in die Hände Spaniens übergab, denen es bis zu Beginn des
XVIII. Jahrhunderts verblieb. Wie man über die Herrschaft Oesterreichs
dachte, die darauf folgte, ist allen Zeitgenossen bekannt; vergeblich berief man
deutsche Gelehrte und Künstler, um der Stadt neuen Nimbus zu geben —
aber Mailand wollte nicht deutsch sein, es wollte nichts sein als ein Theil
des einigen Italien! Entsetzliche Jahre vergingen, bis der Friede von
Villafranca kam und der König im brausenden Jubel in Mailand einzog.

Es ist wunderbar genug, daß eine Stadt, die so unwandelbar im Kreise
nationaler Entwicklung stand, doch äußerlich so wenig nationale Charakteristik
zeigt. Denn Jeder, der Italien unbefangen durchzieht, wird sich gestehen, daß
das italische Element in Mailand am wenigsten zu Tage tritt, das Leben,
die ganze Physiognomie der Stadt hat vielmehr einen kosmopolitischen Zug,
wie er jeder Großstadt eigen ist und gar manche Straßen könnten ebensogut
in Paris sein.

Am ehesten besitzen noch die neuen Wege (vor allem die Gallerte Victor
Emmanuel's) ein südliches Gepräge; dieß Bedürfniß nach hohen glänzenden
Räumen, wie es hier zum Ausdruck kommt, ist doch das eigentliche Wahr¬
zeichen der Italiener, deren ganzes Leben nach Außen drängt. Man muß
des Nachts in die lombardische Hauptstadt kommen, an einem Festtag,
wo Alles erleuchtet ist, und dann durch diese Hallen gehn, in denen Tausende
von Menschen fluthen und Tausende von Flammen strahlen, dann wird man
inne, was für Italien die Nacht bedeutet und daß es wirklich Italien ist, in
dem wir weilen.

Der Grundstein zu diesem glänzenden Bau, der schwerlich seines Gleichen
hat, ward am 4. März 1865 gelegt, der Meister desselben stammt aus
Bologna. Im Mittelpunkt des ungeheueren Kreuzes, das zum Grundriß
diente, erhebt sich eine Kuppel, reich mit Fresken und Karyatiden geschmückt,
in dem Achteck aber, das die Kuppel überwölbt, stehen die Statuen der be¬
rühmtesten Italiener. Rafael und Dante sind hier; stürmisch schaut Savo-
narola hernieder und Arnold von Brescia, der große Erreger des Volkes!
Hier ist es auch, wo Macchiavell sein Denkmal fand und ebenbürtig an
politischer Weisheit, überlegen an politischer Freiheit steht Cavour ihm gegenüber.

Die ganze Halle, zu deren Erleuchtung 1200 Gasflammen dienen, zeigt
uns das Leben eines südlichen Bazars. 96 der prächtigsten Magazine breiten
uns hier ihre Schätze aus, funkelnden Schmuck und schwere Teppiche, Statuen
und Bilder. In den Cafe's sind die Flügelthüren geöffnet, daß man die
rothen Sammetkissen und die riesigen Spiegel sieht, unablässig drängen sich
die Zeitungsverkäufer heran an die plaudernden Gruppen und singen ihre
bekannte Weise „?ki-soo6!'!M2g," ,„?allku1Ja", „Msione" — S esutssimi.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/150>, abgerufen am 03.07.2024.