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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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gehn ihm voraus. Von dem Augenblick an, daß die Leitung den Händen dieses
französischen Magnaten entgleitet und auf den Marchese von Pescara über¬
geht' zeigt sich kühne Energie und kraftvolle Entschlossenheit. Auf einer tur.
zeren Straße, der Sehne des Bogens, welchen Pescara zieht, marschiert der
überlegene Feind nach Oberitalien; aber doch gelingt es den Kaiserlichen, den
Schnittpunkt ihrer Rückzugslinie mit der Operationslinie des Gegners vor
diesem zu erreichen, und nun verfällt König Franz bei Pavia genau in den¬
selben Fehler wie die Verbündeten früher vor Marseille: in langwieriger, ver¬
geblicher Belagerung vergeudet er Zeit und Kraft. Als er diesen Fehler zu
erkennen beginnt, versucht er ihn in abermals fehlerhafter Weise gut zu machen,
nämlich durch die Detachirungen nach Neapel und Genua. Es ist Pescara^s
und Frundsberg's Verdienst, sich durch diese Diversionen nicht haben verführen
zu lassen, vielmehr alle Kräfte zu geschlossenem Angriff vereint gehalten zu
haben. Die Art dieses Angriffs, sowohl die langwierige Vorbereitung aI6
die endliche Ausführung, sind freilich nicht eben zu loben. Unerhört in der
Kriegsgeschichte, beispiellos in Vor- und Folgezeit erscheint es namentlich, wie
hier eine ganze Armee angesichts des Feindes und so daß ihm die Flanke ge¬
boten wird, durch eine Mauerlücke zieht; und man bemerkt, wie sich das auch
sofort bestraft. Eigenthümlich ist ferner das kreuzweise Schlagen, quer über
das Schlachtfeld hin, welches auch dadurch mit motivirt ist, daß beide Heere
in ihrer Ordre de Bataille auffallenderweise die Reiterei, die eingliedrig en
nu^ö rangirte Ritterschaft, in die Mitte stellen, während die Massen des Fußvolks
auf den Flügeln stehn. -- Die für die Taktik interessanteste Seite der Schlacht
ist jedoch die Waffenwirkung. Auf französischer Seite sind Kavallerie und
Artillerie denselben Waffen im kaiserlichen Heere unbedingt überlegen; ihr Er¬
folg war daher auch sehr groß, -ja er wäre wol entscheidend gewesen, wenn die
Kavallerie sich begnügt hätte, die von der Artillerie geschüttelten Früchte
aufzulesen, statt deren selbst brechen zu wollen. Die damals eigentliche Schlachten¬
infanterie, die Pikeniere, galt auf beioen Seiten vor der Schlacht als gleich-
werthig; denn hier standen Deutsche und Spanier, dort Deutsche und Schweizer.
Aber abgesehn davon, daß sich die letzteren als depravirt erweisen, versteht es
Frundsberg, durch eine Art Deployement seinem Gewalthaufen eine erhöhte
Beweglichkeit zu geben, die im entscheidenden Augenblicke von großer Wir¬
kung ist, versteht es Pescara endlich, -- und dies ist wol der bedeutendste
Moment der Schlacht -- seine Musketiere in einer ganz neuen selbständigen
Weise zu verwenden, über deren Erfolg nur Eine Stimme bei den Zeitge¬
nossen ist. -- Zuletzt darf man auch die moralischen Elemente nicht aus den
Augen lassen: auf französischer Seite die chevallereske Unbesonnenheit des
Königs, die Unselbständigkeit der Unterführer, die Feigheit Alencon's, die Un-
zuverlässigkeit der Schweizer; auf kaiserlicher Seite die hohe Selbständigkeit


Grenzboten Hi. 1874. I K

gehn ihm voraus. Von dem Augenblick an, daß die Leitung den Händen dieses
französischen Magnaten entgleitet und auf den Marchese von Pescara über¬
geht' zeigt sich kühne Energie und kraftvolle Entschlossenheit. Auf einer tur.
zeren Straße, der Sehne des Bogens, welchen Pescara zieht, marschiert der
überlegene Feind nach Oberitalien; aber doch gelingt es den Kaiserlichen, den
Schnittpunkt ihrer Rückzugslinie mit der Operationslinie des Gegners vor
diesem zu erreichen, und nun verfällt König Franz bei Pavia genau in den¬
selben Fehler wie die Verbündeten früher vor Marseille: in langwieriger, ver¬
geblicher Belagerung vergeudet er Zeit und Kraft. Als er diesen Fehler zu
erkennen beginnt, versucht er ihn in abermals fehlerhafter Weise gut zu machen,
nämlich durch die Detachirungen nach Neapel und Genua. Es ist Pescara^s
und Frundsberg's Verdienst, sich durch diese Diversionen nicht haben verführen
zu lassen, vielmehr alle Kräfte zu geschlossenem Angriff vereint gehalten zu
haben. Die Art dieses Angriffs, sowohl die langwierige Vorbereitung aI6
die endliche Ausführung, sind freilich nicht eben zu loben. Unerhört in der
Kriegsgeschichte, beispiellos in Vor- und Folgezeit erscheint es namentlich, wie
hier eine ganze Armee angesichts des Feindes und so daß ihm die Flanke ge¬
boten wird, durch eine Mauerlücke zieht; und man bemerkt, wie sich das auch
sofort bestraft. Eigenthümlich ist ferner das kreuzweise Schlagen, quer über
das Schlachtfeld hin, welches auch dadurch mit motivirt ist, daß beide Heere
in ihrer Ordre de Bataille auffallenderweise die Reiterei, die eingliedrig en
nu^ö rangirte Ritterschaft, in die Mitte stellen, während die Massen des Fußvolks
auf den Flügeln stehn. — Die für die Taktik interessanteste Seite der Schlacht
ist jedoch die Waffenwirkung. Auf französischer Seite sind Kavallerie und
Artillerie denselben Waffen im kaiserlichen Heere unbedingt überlegen; ihr Er¬
folg war daher auch sehr groß, -ja er wäre wol entscheidend gewesen, wenn die
Kavallerie sich begnügt hätte, die von der Artillerie geschüttelten Früchte
aufzulesen, statt deren selbst brechen zu wollen. Die damals eigentliche Schlachten¬
infanterie, die Pikeniere, galt auf beioen Seiten vor der Schlacht als gleich-
werthig; denn hier standen Deutsche und Spanier, dort Deutsche und Schweizer.
Aber abgesehn davon, daß sich die letzteren als depravirt erweisen, versteht es
Frundsberg, durch eine Art Deployement seinem Gewalthaufen eine erhöhte
Beweglichkeit zu geben, die im entscheidenden Augenblicke von großer Wir¬
kung ist, versteht es Pescara endlich, — und dies ist wol der bedeutendste
Moment der Schlacht — seine Musketiere in einer ganz neuen selbständigen
Weise zu verwenden, über deren Erfolg nur Eine Stimme bei den Zeitge¬
nossen ist. — Zuletzt darf man auch die moralischen Elemente nicht aus den
Augen lassen: auf französischer Seite die chevallereske Unbesonnenheit des
Königs, die Unselbständigkeit der Unterführer, die Feigheit Alencon's, die Un-
zuverlässigkeit der Schweizer; auf kaiserlicher Seite die hohe Selbständigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/145>, abgerufen am 22.07.2024.