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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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feindselig gegenüber, wie seiner Zeit das "katholische" Süddeutschland dem
deutschen, dem preußischen Norden.

Was die Elsässer ferner an Frankreich band und bindet, ist die "französische
Liebenswürdigkeit". Sehen wir von der mangelnden Stammesverwandschaft
ab, so liegt auch hier eine Aehnlichkeit mit den süddeutschen Sympathien für
Oesterreich vor. Der Preuße war dem Süddeutschen gleichsam die persönliche
Unliebenswürdigkeit, ein steifes, zugeknöpftes, manchmal anmaßendes und leider
auch -- wie man widerwillig zugab -- vielfach überlegenes Geschöpf. Wie ganz
anders der Oesterreicher I Welch gutmüthiger, treuherziger, offner, beweglicher
Geselle, man mußte ihn "gern haben" ! Verstand er nicht Deutsch, d. h. war
er Czeche, Ungar oder sonst etwas, so trug er doch wenigstens den weißen
Rock, und ein ungarischer Grenadier war ein tausendmal schöneres Menschen¬
kind als der Sohn der Mark mit Pickelhaube und "Tulpenhosen"! Gerade
so hängt der Elsässer an den Franzosen. Ist doch der einzelne Franzose in
der That ein liebenswürdiger Mensch, so sehr man auch in Deutschland viel¬
fach geneigt ist, die ganze Nation nach den Pariser Gamins zu beurtheilen
oder über den Cassagnac'schen Leisten zu schlagen. Je schwerfälliger und
vierschrötiger im Allgemeinen gerade die Natur des alemannischen Stammes
ist, um so lichens- und nachahmungsvoller erscheint ihm das leichte gefällige
Wesen der "Welschen", die er bei allem Gefühl der Fremdartigkeit immer
noch gleichsam als Angehörige einer höheren und besseren Kaste betrachtet.
Eine französische Uniform vollends wäre noch heute die größte Augenweide
für tausend elsässtsche Augen, selbst wenn der schwärzeste Turko Algeriens
darin stäke! Es würden sich unter Umständen sogar "Damen" bereit finden,
ihm ähnliche Huldigungen darzubringen, wie anno 59 in Baiern gar manchem
"gebräunten" Grenzer des Corps Clam Gallas erwiesen wurden!

Es giebt aber im Elsaß nicht blos Ultramontane oder blind in Frank¬
reich verliebte Leute, sondern auch "Republikaner" in allen Schattirungen,
vom selbstverständlichen Liberalen an bis zum fortgeschrittenen Radicalen, der
von den vereinigten Staaten Europas träumt. Und auch sie alle hängen an
der Brust Frankreichs, die eben je nach dem Geschmack ihrer Kinder und
Adoptivsäuglinge sowohl die "Milch frommer ultramontaner Denkart", als
"gährend Drachengift" revolutionärer Ideen, und zwar beides in unverfälschter
Güte, zu bieten vermag. Dies war nun bei Oesterreich, was die letzteren an¬
langt, allerdings nur wenig der Fall. Der Habsburgische Staat ist immer viel
mehr das klassische Land der Reaction, als der Revolution gewesen. Aber nichts¬
destoweniger hat die süddeutsche Demokratie der alten Schule, deren schäbige
Reste wir noch heute in der sogenannten "Volkspartei" bewundern, von jeher
einen inneren Zug des Herzens zu Oesterreich gespürt. Einmal fand sie dort,
wenigstens in den Städten, eine nicht unbeträchtlich-.' radikale Partei, wie sie


feindselig gegenüber, wie seiner Zeit das „katholische" Süddeutschland dem
deutschen, dem preußischen Norden.

Was die Elsässer ferner an Frankreich band und bindet, ist die „französische
Liebenswürdigkeit". Sehen wir von der mangelnden Stammesverwandschaft
ab, so liegt auch hier eine Aehnlichkeit mit den süddeutschen Sympathien für
Oesterreich vor. Der Preuße war dem Süddeutschen gleichsam die persönliche
Unliebenswürdigkeit, ein steifes, zugeknöpftes, manchmal anmaßendes und leider
auch — wie man widerwillig zugab — vielfach überlegenes Geschöpf. Wie ganz
anders der Oesterreicher I Welch gutmüthiger, treuherziger, offner, beweglicher
Geselle, man mußte ihn „gern haben" ! Verstand er nicht Deutsch, d. h. war
er Czeche, Ungar oder sonst etwas, so trug er doch wenigstens den weißen
Rock, und ein ungarischer Grenadier war ein tausendmal schöneres Menschen¬
kind als der Sohn der Mark mit Pickelhaube und „Tulpenhosen"! Gerade
so hängt der Elsässer an den Franzosen. Ist doch der einzelne Franzose in
der That ein liebenswürdiger Mensch, so sehr man auch in Deutschland viel¬
fach geneigt ist, die ganze Nation nach den Pariser Gamins zu beurtheilen
oder über den Cassagnac'schen Leisten zu schlagen. Je schwerfälliger und
vierschrötiger im Allgemeinen gerade die Natur des alemannischen Stammes
ist, um so lichens- und nachahmungsvoller erscheint ihm das leichte gefällige
Wesen der „Welschen", die er bei allem Gefühl der Fremdartigkeit immer
noch gleichsam als Angehörige einer höheren und besseren Kaste betrachtet.
Eine französische Uniform vollends wäre noch heute die größte Augenweide
für tausend elsässtsche Augen, selbst wenn der schwärzeste Turko Algeriens
darin stäke! Es würden sich unter Umständen sogar „Damen" bereit finden,
ihm ähnliche Huldigungen darzubringen, wie anno 59 in Baiern gar manchem
„gebräunten" Grenzer des Corps Clam Gallas erwiesen wurden!

Es giebt aber im Elsaß nicht blos Ultramontane oder blind in Frank¬
reich verliebte Leute, sondern auch „Republikaner" in allen Schattirungen,
vom selbstverständlichen Liberalen an bis zum fortgeschrittenen Radicalen, der
von den vereinigten Staaten Europas träumt. Und auch sie alle hängen an
der Brust Frankreichs, die eben je nach dem Geschmack ihrer Kinder und
Adoptivsäuglinge sowohl die „Milch frommer ultramontaner Denkart", als
„gährend Drachengift" revolutionärer Ideen, und zwar beides in unverfälschter
Güte, zu bieten vermag. Dies war nun bei Oesterreich, was die letzteren an¬
langt, allerdings nur wenig der Fall. Der Habsburgische Staat ist immer viel
mehr das klassische Land der Reaction, als der Revolution gewesen. Aber nichts¬
destoweniger hat die süddeutsche Demokratie der alten Schule, deren schäbige
Reste wir noch heute in der sogenannten „Volkspartei" bewundern, von jeher
einen inneren Zug des Herzens zu Oesterreich gespürt. Einmal fand sie dort,
wenigstens in den Städten, eine nicht unbeträchtlich-.' radikale Partei, wie sie


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[0118] feindselig gegenüber, wie seiner Zeit das „katholische" Süddeutschland dem deutschen, dem preußischen Norden. Was die Elsässer ferner an Frankreich band und bindet, ist die „französische Liebenswürdigkeit". Sehen wir von der mangelnden Stammesverwandschaft ab, so liegt auch hier eine Aehnlichkeit mit den süddeutschen Sympathien für Oesterreich vor. Der Preuße war dem Süddeutschen gleichsam die persönliche Unliebenswürdigkeit, ein steifes, zugeknöpftes, manchmal anmaßendes und leider auch — wie man widerwillig zugab — vielfach überlegenes Geschöpf. Wie ganz anders der Oesterreicher I Welch gutmüthiger, treuherziger, offner, beweglicher Geselle, man mußte ihn „gern haben" ! Verstand er nicht Deutsch, d. h. war er Czeche, Ungar oder sonst etwas, so trug er doch wenigstens den weißen Rock, und ein ungarischer Grenadier war ein tausendmal schöneres Menschen¬ kind als der Sohn der Mark mit Pickelhaube und „Tulpenhosen"! Gerade so hängt der Elsässer an den Franzosen. Ist doch der einzelne Franzose in der That ein liebenswürdiger Mensch, so sehr man auch in Deutschland viel¬ fach geneigt ist, die ganze Nation nach den Pariser Gamins zu beurtheilen oder über den Cassagnac'schen Leisten zu schlagen. Je schwerfälliger und vierschrötiger im Allgemeinen gerade die Natur des alemannischen Stammes ist, um so lichens- und nachahmungsvoller erscheint ihm das leichte gefällige Wesen der „Welschen", die er bei allem Gefühl der Fremdartigkeit immer noch gleichsam als Angehörige einer höheren und besseren Kaste betrachtet. Eine französische Uniform vollends wäre noch heute die größte Augenweide für tausend elsässtsche Augen, selbst wenn der schwärzeste Turko Algeriens darin stäke! Es würden sich unter Umständen sogar „Damen" bereit finden, ihm ähnliche Huldigungen darzubringen, wie anno 59 in Baiern gar manchem „gebräunten" Grenzer des Corps Clam Gallas erwiesen wurden! Es giebt aber im Elsaß nicht blos Ultramontane oder blind in Frank¬ reich verliebte Leute, sondern auch „Republikaner" in allen Schattirungen, vom selbstverständlichen Liberalen an bis zum fortgeschrittenen Radicalen, der von den vereinigten Staaten Europas träumt. Und auch sie alle hängen an der Brust Frankreichs, die eben je nach dem Geschmack ihrer Kinder und Adoptivsäuglinge sowohl die „Milch frommer ultramontaner Denkart", als „gährend Drachengift" revolutionärer Ideen, und zwar beides in unverfälschter Güte, zu bieten vermag. Dies war nun bei Oesterreich, was die letzteren an¬ langt, allerdings nur wenig der Fall. Der Habsburgische Staat ist immer viel mehr das klassische Land der Reaction, als der Revolution gewesen. Aber nichts¬ destoweniger hat die süddeutsche Demokratie der alten Schule, deren schäbige Reste wir noch heute in der sogenannten „Volkspartei" bewundern, von jeher einen inneren Zug des Herzens zu Oesterreich gespürt. Einmal fand sie dort, wenigstens in den Städten, eine nicht unbeträchtlich-.' radikale Partei, wie sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/118>, abgerufen am 22.07.2024.