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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Donau-Zeitung meint -, gerade dieses Halbspott - Halbzorngeschrei der
"Patrioten" ist der beste Beweis, daß die "Fremdherrschaft", auf die sie ihre
Hoffnung gesetzt hatten, unwiderruflich gebrochen ist. Ein so klar und
deutlich zu Ende geführter geschichtlicher Proceß, wie die Einigung Deutsch¬
lands unter Preußen, zieht die Vernunft, sodann die Gewohnheit und schließlich
die Anhänglichkett auch der großen Massen unwiderstehlich nach sich. Man
braucht nicht gerade "christogermanisch" zu sein, um in dem, was wir erlebt
haben, eine providentielle Entwicklung zu erblicken und die Ausrede des
Ultramontanismus, daß das Alles Teufelswerk sei, muß vor dem Bestände
des Geschehenen zuletzt verstummen oder dem Fluche der Lächerlichkeit anheim¬
fallen.

Ziehen wir nun im Folgenden eine Art Parallele zwischen diesen
Stimmungen und Verhältnissen in Süddeutschland vor 1866 -- 70, sammt
ihren Nachwirkungen und den Stimmungen und Verhältnissen im Elsaß und
einigen Gegenden Lothringens -- nach 1870, so liegt auf der Hand, daß von
einer völligen Gleichheit nicht die Rede sein kann. Das braucht uns aber
nicht abzuhalten, jene Analogie, von der wir sprachen, aufzufinden und aus
ihr Hoffnung für eine uns günstige Entwicklung der "Volksseele" auch in
den neuen Reichsprovinzen zu schöpfen.

Zunächst und im Allgemeinen sagen wir: Was für die Süddeutschen
Oesterreich, war für die Elsässer Frankreich. Daß die letzteren nicht auch das
"großdeutsche" Ideal der deutschen Einheit anbeteten, thut nichts zur Sache.
Das tertium eomMrationis für uns liegt nur darin, daß beide, Süddeutsche
wie Elsässer eine Fremdherrschaft ertrugen, gleichsam ohne es zu wissen, oder
sich schlecht dabei zu befinden, daß beide durch außerordentliche Ereignisse aus
der süßen Gewohnheit des Daseins aufgeschreckt und in eine Lage versetzt
wurden, wo sie ihre alten Anschauungen aufgeben und ihr Herz dem Kopf
unterordnen müssen, um zuletzt durch die Ueberzeugung des Verstandes auch
wieder den Weg zum Herzen zu finden.

Was die Süddeutschen, besonders die Baiern an Oesterreich band, war,
abgesehen von der Stammesverwandtschaft mit den dortigen Deutschen, in
erster Linie die Religion. Dasselbe war und ist im Elsaß Frankreich gegen¬
über der Fall, Der gesammte katholische Klerus ist französisch gesinnt, denn
Frankreich ist die älteste Tochter der Kirche und Deutschland, wenigstens das
jetzige, der natürliche Gegner des Romanismus. Stände Oestreich an seiner
Spitze, hätte Benedeck bei Wörth und Sedan gesiegt, das "katholische" Elsaß
würde ohne große Schmerzen zu seinen deutschen Stammverwandten zurück¬
gekehrt sein. Ja, die Million elsaß-lothringischer Katholiken hätte sich mit
dem Ziebenzigmillionenreich in majvrsm asi gloriam vielleicht sogar freudig
vereinigt. So aber stehen sie Preußen-Deutschland genau so abgeneigt, ja


Donau-Zeitung meint -, gerade dieses Halbspott - Halbzorngeschrei der
„Patrioten" ist der beste Beweis, daß die „Fremdherrschaft", auf die sie ihre
Hoffnung gesetzt hatten, unwiderruflich gebrochen ist. Ein so klar und
deutlich zu Ende geführter geschichtlicher Proceß, wie die Einigung Deutsch¬
lands unter Preußen, zieht die Vernunft, sodann die Gewohnheit und schließlich
die Anhänglichkett auch der großen Massen unwiderstehlich nach sich. Man
braucht nicht gerade „christogermanisch" zu sein, um in dem, was wir erlebt
haben, eine providentielle Entwicklung zu erblicken und die Ausrede des
Ultramontanismus, daß das Alles Teufelswerk sei, muß vor dem Bestände
des Geschehenen zuletzt verstummen oder dem Fluche der Lächerlichkeit anheim¬
fallen.

Ziehen wir nun im Folgenden eine Art Parallele zwischen diesen
Stimmungen und Verhältnissen in Süddeutschland vor 1866 — 70, sammt
ihren Nachwirkungen und den Stimmungen und Verhältnissen im Elsaß und
einigen Gegenden Lothringens — nach 1870, so liegt auf der Hand, daß von
einer völligen Gleichheit nicht die Rede sein kann. Das braucht uns aber
nicht abzuhalten, jene Analogie, von der wir sprachen, aufzufinden und aus
ihr Hoffnung für eine uns günstige Entwicklung der „Volksseele" auch in
den neuen Reichsprovinzen zu schöpfen.

Zunächst und im Allgemeinen sagen wir: Was für die Süddeutschen
Oesterreich, war für die Elsässer Frankreich. Daß die letzteren nicht auch das
"großdeutsche" Ideal der deutschen Einheit anbeteten, thut nichts zur Sache.
Das tertium eomMrationis für uns liegt nur darin, daß beide, Süddeutsche
wie Elsässer eine Fremdherrschaft ertrugen, gleichsam ohne es zu wissen, oder
sich schlecht dabei zu befinden, daß beide durch außerordentliche Ereignisse aus
der süßen Gewohnheit des Daseins aufgeschreckt und in eine Lage versetzt
wurden, wo sie ihre alten Anschauungen aufgeben und ihr Herz dem Kopf
unterordnen müssen, um zuletzt durch die Ueberzeugung des Verstandes auch
wieder den Weg zum Herzen zu finden.

Was die Süddeutschen, besonders die Baiern an Oesterreich band, war,
abgesehen von der Stammesverwandtschaft mit den dortigen Deutschen, in
erster Linie die Religion. Dasselbe war und ist im Elsaß Frankreich gegen¬
über der Fall, Der gesammte katholische Klerus ist französisch gesinnt, denn
Frankreich ist die älteste Tochter der Kirche und Deutschland, wenigstens das
jetzige, der natürliche Gegner des Romanismus. Stände Oestreich an seiner
Spitze, hätte Benedeck bei Wörth und Sedan gesiegt, das „katholische" Elsaß
würde ohne große Schmerzen zu seinen deutschen Stammverwandten zurück¬
gekehrt sein. Ja, die Million elsaß-lothringischer Katholiken hätte sich mit
dem Ziebenzigmillionenreich in majvrsm asi gloriam vielleicht sogar freudig
vereinigt. So aber stehen sie Preußen-Deutschland genau so abgeneigt, ja


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[0117] Donau-Zeitung meint -, gerade dieses Halbspott - Halbzorngeschrei der „Patrioten" ist der beste Beweis, daß die „Fremdherrschaft", auf die sie ihre Hoffnung gesetzt hatten, unwiderruflich gebrochen ist. Ein so klar und deutlich zu Ende geführter geschichtlicher Proceß, wie die Einigung Deutsch¬ lands unter Preußen, zieht die Vernunft, sodann die Gewohnheit und schließlich die Anhänglichkett auch der großen Massen unwiderstehlich nach sich. Man braucht nicht gerade „christogermanisch" zu sein, um in dem, was wir erlebt haben, eine providentielle Entwicklung zu erblicken und die Ausrede des Ultramontanismus, daß das Alles Teufelswerk sei, muß vor dem Bestände des Geschehenen zuletzt verstummen oder dem Fluche der Lächerlichkeit anheim¬ fallen. Ziehen wir nun im Folgenden eine Art Parallele zwischen diesen Stimmungen und Verhältnissen in Süddeutschland vor 1866 — 70, sammt ihren Nachwirkungen und den Stimmungen und Verhältnissen im Elsaß und einigen Gegenden Lothringens — nach 1870, so liegt auf der Hand, daß von einer völligen Gleichheit nicht die Rede sein kann. Das braucht uns aber nicht abzuhalten, jene Analogie, von der wir sprachen, aufzufinden und aus ihr Hoffnung für eine uns günstige Entwicklung der „Volksseele" auch in den neuen Reichsprovinzen zu schöpfen. Zunächst und im Allgemeinen sagen wir: Was für die Süddeutschen Oesterreich, war für die Elsässer Frankreich. Daß die letzteren nicht auch das "großdeutsche" Ideal der deutschen Einheit anbeteten, thut nichts zur Sache. Das tertium eomMrationis für uns liegt nur darin, daß beide, Süddeutsche wie Elsässer eine Fremdherrschaft ertrugen, gleichsam ohne es zu wissen, oder sich schlecht dabei zu befinden, daß beide durch außerordentliche Ereignisse aus der süßen Gewohnheit des Daseins aufgeschreckt und in eine Lage versetzt wurden, wo sie ihre alten Anschauungen aufgeben und ihr Herz dem Kopf unterordnen müssen, um zuletzt durch die Ueberzeugung des Verstandes auch wieder den Weg zum Herzen zu finden. Was die Süddeutschen, besonders die Baiern an Oesterreich band, war, abgesehen von der Stammesverwandtschaft mit den dortigen Deutschen, in erster Linie die Religion. Dasselbe war und ist im Elsaß Frankreich gegen¬ über der Fall, Der gesammte katholische Klerus ist französisch gesinnt, denn Frankreich ist die älteste Tochter der Kirche und Deutschland, wenigstens das jetzige, der natürliche Gegner des Romanismus. Stände Oestreich an seiner Spitze, hätte Benedeck bei Wörth und Sedan gesiegt, das „katholische" Elsaß würde ohne große Schmerzen zu seinen deutschen Stammverwandten zurück¬ gekehrt sein. Ja, die Million elsaß-lothringischer Katholiken hätte sich mit dem Ziebenzigmillionenreich in majvrsm asi gloriam vielleicht sogar freudig vereinigt. So aber stehen sie Preußen-Deutschland genau so abgeneigt, ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/117>, abgerufen am 22.07.2024.