Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.darf. Gleichwohl wird es erlaubt sein, dies zu thun, wenn nur eine derar¬ Der Schreiber dieser Zeilen ist Süddeutscher, ja noch mehr, seine Wiege Dieser Einwand erschreckt uns nicht. Unsere Analogie sitzt tiefer, ist aber Man versetzte sich im Geist in die Zeit zurück, da die deutsche Frage darf. Gleichwohl wird es erlaubt sein, dies zu thun, wenn nur eine derar¬ Der Schreiber dieser Zeilen ist Süddeutscher, ja noch mehr, seine Wiege Dieser Einwand erschreckt uns nicht. Unsere Analogie sitzt tiefer, ist aber Man versetzte sich im Geist in die Zeit zurück, da die deutsche Frage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131809"/> <p xml:id="ID_403" prev="#ID_402"> darf. Gleichwohl wird es erlaubt sein, dies zu thun, wenn nur eine derar¬<lb/> tige Vorausbeschreibung künftiger innerer politischer Entwicklungen nicht im<lb/> Gewände der Unfehlbarkeit auftritt, sondern sich damit bescheidet, lediglich<lb/> auf die bloße Wahrscheinlichkeit ihrer Anschauung Gewicht zu legen. Stütze<lb/> sie sich dabei noch auf eine den Zeitgenossen bekannte geschichtliche Analogie,<lb/> wie wir es in den folgenden Zeilen thun wollen, so wird man ihr zum<lb/> wenigsten nicht absprechen, einigermaßen anregend gewirkt zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_404"> Der Schreiber dieser Zeilen ist Süddeutscher, ja noch mehr, seine Wiege<lb/> stand unter dem Scepter der Wittelsbacher, das sich ja gerade über denjenigen<lb/> Theil Süddeutschlands erstreckt, der von jeher, und aus Gründen, die nicht<lb/> blos in der Dynastie zu suchen sind, der Einigung Deutschlands unter Preußen<lb/> am sprödesten gegenüberstand. Es bedürfte der Erschütterung des Jahres<lb/> 1870 und des Zusammenwirkens außerordentlicher Ursachen, um Baiern<lb/> wenigstens so weit zu bringen, als wir es jetzt haben, und mindestens eine<lb/> Generation muß dort noch aussterben, ehe der Reichsgedanke wahrhaftig in<lb/> Fleisch und Blut des gesammten Volkslebens übergegangen ist. Aber was<lb/> ist denn so Außerordentliches geschehen, daß ein derartiges Sicheingewöhnen<lb/> in neue Verhältnisse nöthig ist? War Baiern nicht auch vor 1870 und 1866<lb/> deutsches Land und hat man nicht auch dort das „deutsche Lied" und den<lb/> deutschen „Schützen- und Turnerbruder" gefeiert, so gut wie im übrigen<lb/> Deutschland? Was soll also die Analogie mit dem Elsaß, auf die das<lb/> Ganze hinaus will, die Analogie mit einem Lande, das seit zweihundert<lb/> Jahren auch von dem „politischen Begriff" Deutschland getrennt war und,<lb/> wenn es in Festpatriotismus machte, doch nur der „dsUs I'i'g.nes" gedachte<lb/> als seiner zweiten und wahren Mutter?</p><lb/> <p xml:id="ID_405"> Dieser Einwand erschreckt uns nicht. Unsere Analogie sitzt tiefer, ist aber<lb/> darum nicht weniger wahr. Wir finden sie darin: Süddeutschland überhaupt<lb/> und Baiern ganz besonders befanden sich vor 1866 — 70 unter einer<lb/> Fremdherrschaft ohne es zu wissen, ähnlich wie das Elsaß; nur daß<lb/> diese Fremdherrschaft dort Oesterreich, und hier Frankreich hieß.</p><lb/> <p xml:id="ID_406" next="#ID_407"> Man versetzte sich im Geist in die Zeit zurück, da die deutsche Frage<lb/> noch flüssig und namentlich die „preußische Spitze" in Süddeutschland ein<lb/> Dogma war, das zu bekennen einigen Muth, ja — gestehen wir es<lb/> nur — auch einige Selbstüberwindung erforderte. Die wenigen Vertreter des<lb/> „Kleindeutschthums" hatten damals im Süden nicht nur die von mannigfachen,<lb/> namentlich religiösen Abneigungen beeinflußte „Volksseele", nicht nur die<lb/> Phrasen der „reinen" Demokratie und das blühende Blauweißschwarzgelbthum<lb/> am Hof, im Heer, bei den Beamten, sondern auch etwas im eignen Herzen<lb/> gegen sich. Sie waren kleindeutsch aus politischer Vernunft, in Folge einer<lb/> Gedankenoperation, die ihnen das Ergebniß geliefert hatte, daß nur Preußen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
darf. Gleichwohl wird es erlaubt sein, dies zu thun, wenn nur eine derar¬
tige Vorausbeschreibung künftiger innerer politischer Entwicklungen nicht im
Gewände der Unfehlbarkeit auftritt, sondern sich damit bescheidet, lediglich
auf die bloße Wahrscheinlichkeit ihrer Anschauung Gewicht zu legen. Stütze
sie sich dabei noch auf eine den Zeitgenossen bekannte geschichtliche Analogie,
wie wir es in den folgenden Zeilen thun wollen, so wird man ihr zum
wenigsten nicht absprechen, einigermaßen anregend gewirkt zu haben.
Der Schreiber dieser Zeilen ist Süddeutscher, ja noch mehr, seine Wiege
stand unter dem Scepter der Wittelsbacher, das sich ja gerade über denjenigen
Theil Süddeutschlands erstreckt, der von jeher, und aus Gründen, die nicht
blos in der Dynastie zu suchen sind, der Einigung Deutschlands unter Preußen
am sprödesten gegenüberstand. Es bedürfte der Erschütterung des Jahres
1870 und des Zusammenwirkens außerordentlicher Ursachen, um Baiern
wenigstens so weit zu bringen, als wir es jetzt haben, und mindestens eine
Generation muß dort noch aussterben, ehe der Reichsgedanke wahrhaftig in
Fleisch und Blut des gesammten Volkslebens übergegangen ist. Aber was
ist denn so Außerordentliches geschehen, daß ein derartiges Sicheingewöhnen
in neue Verhältnisse nöthig ist? War Baiern nicht auch vor 1870 und 1866
deutsches Land und hat man nicht auch dort das „deutsche Lied" und den
deutschen „Schützen- und Turnerbruder" gefeiert, so gut wie im übrigen
Deutschland? Was soll also die Analogie mit dem Elsaß, auf die das
Ganze hinaus will, die Analogie mit einem Lande, das seit zweihundert
Jahren auch von dem „politischen Begriff" Deutschland getrennt war und,
wenn es in Festpatriotismus machte, doch nur der „dsUs I'i'g.nes" gedachte
als seiner zweiten und wahren Mutter?
Dieser Einwand erschreckt uns nicht. Unsere Analogie sitzt tiefer, ist aber
darum nicht weniger wahr. Wir finden sie darin: Süddeutschland überhaupt
und Baiern ganz besonders befanden sich vor 1866 — 70 unter einer
Fremdherrschaft ohne es zu wissen, ähnlich wie das Elsaß; nur daß
diese Fremdherrschaft dort Oesterreich, und hier Frankreich hieß.
Man versetzte sich im Geist in die Zeit zurück, da die deutsche Frage
noch flüssig und namentlich die „preußische Spitze" in Süddeutschland ein
Dogma war, das zu bekennen einigen Muth, ja — gestehen wir es
nur — auch einige Selbstüberwindung erforderte. Die wenigen Vertreter des
„Kleindeutschthums" hatten damals im Süden nicht nur die von mannigfachen,
namentlich religiösen Abneigungen beeinflußte „Volksseele", nicht nur die
Phrasen der „reinen" Demokratie und das blühende Blauweißschwarzgelbthum
am Hof, im Heer, bei den Beamten, sondern auch etwas im eignen Herzen
gegen sich. Sie waren kleindeutsch aus politischer Vernunft, in Folge einer
Gedankenoperation, die ihnen das Ergebniß geliefert hatte, daß nur Preußen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |