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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Als die Verfassung des deutschen Reiches während eines gewaltigen
Krieges in der Eile gebildet wurde, da war weder Zeit noch Gelegenheit
mehr als die nothwendigsten Umrisse der neuen Verhältnisse auszuführen.
Auch verlangte damals keine der Parteien nach einer mehr ausgebildeten
Arbeit. Nachdem das alte politische Gebäude der Nation unter, den Er¬
schütterungen eines Riesenkampfes zusammen gestürzt war, war es vor allem
nöthig, ein proviforisches Obdach für die ni^'oew nomo'N. des Landes zu
schaffen. Glücklicherweise war eine Zufluchtsstätte nahe bei der Hand. Die
Verfassung des Norddeutschen Bundes, welche schon einige Jahre bestanden
und ihren Zweck recht gut erfüllt hatte, brauchte nur auf Süddeutschland
ausgedehnt zu werden und das Nothwendigste war gesichert. Nach einer kurzen
Ueberlegung wurde dies Mittel gewählt und die norddeutsche Verfassung,
mit einigen wenigen Aenderungen, den Bayerischen und Schwäbischen Eigen¬
thümlichkeiten zu Liebe, wurde zur höheren Würde eines Grundgesetzes für
ganz Deutschland erhoben.

Die neue Verfassung schaffte eine Excutive, mit dem Oberbefehl über
Heer und Flotte und die oberste Leitung über Posten, Eisenbahnen und
Telegraphen. Sie setzte außerdem einen obersten gesetzgebenden Körper ein,
bestehend aus dem Bundesrath, der durch die persönlichen Vertreter der ver¬
schiedenen Fürsten gebildet ist, und einen Reichstag, aus geheimer allgemeiner
Wahl hervorgegangen. Sie beanspruchte für denselben gesetzgebende Gewalt
über Militär-, Handels- und Post-Angelegenheiten, über die Presse, das
Versammlungsrecht, das Gerichts-Verfahren und zuletzt, aber nicht zum Ge-
nngsten über das Strafrecht. Alles Andre verblieb wie bisher der
Kompetenz der Einzelstaaten.

Nun ist es nur natürlich, wenn ein Land so vieles gemeinsam hat, daß
sich häufige Beziehungen zwischen den einzelnen Theilen bilden, welche eine
größere Annäherung ihrer Einrichtungen wünschenswert) machen. Dies Re¬
sultat der neuen Verhältnisse wurde allerdings bei der Bildung des gemein¬
samen Staatsverbandes vorhergesehen. Da es aber ein Land ist, welches
nicht besonders geneigt ist, seine Einrichtungen in der Eile zu ändern, so
glaubte man, daß erst noch ,Jahre vergehen würden. Ich erinnere mich sehr
gut, daß. als die liberale Partei in den Tagen des alten Norddeutschen Bun¬
des den Antrag beim Central-Parlament einbrachte, die Competenz des Bundes
auf das ganze Civilrecht auszudehnen, die Aussicht auf Erreichung dieses
Zieles zu gut erschien, als sie daß vom Volke für mehr als eine kühne Phantasie
gehalten wurde. Wenn aber zu allen Zeiten der Zeitgeist mächtiger ist, als
die Individuen, die durch ihn getrieben werden, so ist dies besonders in der
gegenwärtigen Aera der deutschen Geschichte der Fall. In jeder folgenden
Sitzung des deutschen Reichstages wurde der ideale Antrag wieder einge-


GrenMen I. 1874. 1l)

Als die Verfassung des deutschen Reiches während eines gewaltigen
Krieges in der Eile gebildet wurde, da war weder Zeit noch Gelegenheit
mehr als die nothwendigsten Umrisse der neuen Verhältnisse auszuführen.
Auch verlangte damals keine der Parteien nach einer mehr ausgebildeten
Arbeit. Nachdem das alte politische Gebäude der Nation unter, den Er¬
schütterungen eines Riesenkampfes zusammen gestürzt war, war es vor allem
nöthig, ein proviforisches Obdach für die ni^'oew nomo'N. des Landes zu
schaffen. Glücklicherweise war eine Zufluchtsstätte nahe bei der Hand. Die
Verfassung des Norddeutschen Bundes, welche schon einige Jahre bestanden
und ihren Zweck recht gut erfüllt hatte, brauchte nur auf Süddeutschland
ausgedehnt zu werden und das Nothwendigste war gesichert. Nach einer kurzen
Ueberlegung wurde dies Mittel gewählt und die norddeutsche Verfassung,
mit einigen wenigen Aenderungen, den Bayerischen und Schwäbischen Eigen¬
thümlichkeiten zu Liebe, wurde zur höheren Würde eines Grundgesetzes für
ganz Deutschland erhoben.

Die neue Verfassung schaffte eine Excutive, mit dem Oberbefehl über
Heer und Flotte und die oberste Leitung über Posten, Eisenbahnen und
Telegraphen. Sie setzte außerdem einen obersten gesetzgebenden Körper ein,
bestehend aus dem Bundesrath, der durch die persönlichen Vertreter der ver¬
schiedenen Fürsten gebildet ist, und einen Reichstag, aus geheimer allgemeiner
Wahl hervorgegangen. Sie beanspruchte für denselben gesetzgebende Gewalt
über Militär-, Handels- und Post-Angelegenheiten, über die Presse, das
Versammlungsrecht, das Gerichts-Verfahren und zuletzt, aber nicht zum Ge-
nngsten über das Strafrecht. Alles Andre verblieb wie bisher der
Kompetenz der Einzelstaaten.

Nun ist es nur natürlich, wenn ein Land so vieles gemeinsam hat, daß
sich häufige Beziehungen zwischen den einzelnen Theilen bilden, welche eine
größere Annäherung ihrer Einrichtungen wünschenswert) machen. Dies Re¬
sultat der neuen Verhältnisse wurde allerdings bei der Bildung des gemein¬
samen Staatsverbandes vorhergesehen. Da es aber ein Land ist, welches
nicht besonders geneigt ist, seine Einrichtungen in der Eile zu ändern, so
glaubte man, daß erst noch ,Jahre vergehen würden. Ich erinnere mich sehr
gut, daß. als die liberale Partei in den Tagen des alten Norddeutschen Bun¬
des den Antrag beim Central-Parlament einbrachte, die Competenz des Bundes
auf das ganze Civilrecht auszudehnen, die Aussicht auf Erreichung dieses
Zieles zu gut erschien, als sie daß vom Volke für mehr als eine kühne Phantasie
gehalten wurde. Wenn aber zu allen Zeiten der Zeitgeist mächtiger ist, als
die Individuen, die durch ihn getrieben werden, so ist dies besonders in der
gegenwärtigen Aera der deutschen Geschichte der Fall. In jeder folgenden
Sitzung des deutschen Reichstages wurde der ideale Antrag wieder einge-


GrenMen I. 1874. 1l)
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[0079] Als die Verfassung des deutschen Reiches während eines gewaltigen Krieges in der Eile gebildet wurde, da war weder Zeit noch Gelegenheit mehr als die nothwendigsten Umrisse der neuen Verhältnisse auszuführen. Auch verlangte damals keine der Parteien nach einer mehr ausgebildeten Arbeit. Nachdem das alte politische Gebäude der Nation unter, den Er¬ schütterungen eines Riesenkampfes zusammen gestürzt war, war es vor allem nöthig, ein proviforisches Obdach für die ni^'oew nomo'N. des Landes zu schaffen. Glücklicherweise war eine Zufluchtsstätte nahe bei der Hand. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes, welche schon einige Jahre bestanden und ihren Zweck recht gut erfüllt hatte, brauchte nur auf Süddeutschland ausgedehnt zu werden und das Nothwendigste war gesichert. Nach einer kurzen Ueberlegung wurde dies Mittel gewählt und die norddeutsche Verfassung, mit einigen wenigen Aenderungen, den Bayerischen und Schwäbischen Eigen¬ thümlichkeiten zu Liebe, wurde zur höheren Würde eines Grundgesetzes für ganz Deutschland erhoben. Die neue Verfassung schaffte eine Excutive, mit dem Oberbefehl über Heer und Flotte und die oberste Leitung über Posten, Eisenbahnen und Telegraphen. Sie setzte außerdem einen obersten gesetzgebenden Körper ein, bestehend aus dem Bundesrath, der durch die persönlichen Vertreter der ver¬ schiedenen Fürsten gebildet ist, und einen Reichstag, aus geheimer allgemeiner Wahl hervorgegangen. Sie beanspruchte für denselben gesetzgebende Gewalt über Militär-, Handels- und Post-Angelegenheiten, über die Presse, das Versammlungsrecht, das Gerichts-Verfahren und zuletzt, aber nicht zum Ge- nngsten über das Strafrecht. Alles Andre verblieb wie bisher der Kompetenz der Einzelstaaten. Nun ist es nur natürlich, wenn ein Land so vieles gemeinsam hat, daß sich häufige Beziehungen zwischen den einzelnen Theilen bilden, welche eine größere Annäherung ihrer Einrichtungen wünschenswert) machen. Dies Re¬ sultat der neuen Verhältnisse wurde allerdings bei der Bildung des gemein¬ samen Staatsverbandes vorhergesehen. Da es aber ein Land ist, welches nicht besonders geneigt ist, seine Einrichtungen in der Eile zu ändern, so glaubte man, daß erst noch ,Jahre vergehen würden. Ich erinnere mich sehr gut, daß. als die liberale Partei in den Tagen des alten Norddeutschen Bun¬ des den Antrag beim Central-Parlament einbrachte, die Competenz des Bundes auf das ganze Civilrecht auszudehnen, die Aussicht auf Erreichung dieses Zieles zu gut erschien, als sie daß vom Volke für mehr als eine kühne Phantasie gehalten wurde. Wenn aber zu allen Zeiten der Zeitgeist mächtiger ist, als die Individuen, die durch ihn getrieben werden, so ist dies besonders in der gegenwärtigen Aera der deutschen Geschichte der Fall. In jeder folgenden Sitzung des deutschen Reichstages wurde der ideale Antrag wieder einge- GrenMen I. 1874. 1l)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/79>, abgerufen am 25.08.2024.