Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

futter: nämlich ein Artikel unter der Rubrik "Locales" und mit der unheim¬
lichen Ueberschrift: "Unbestellbare Postsachen", der also lautete: "Beim hiesigen
Postamt erliegen nachfolgende Sendungen und Briefe als unbestellbar: a,) ein
Paket aus Wien an Anna Wirth 3 Pfund 20 Loth schwer, Aufgeber Friedmann ;
K) ein Brief aus Amerika an Katharina Hauser und ein Schreiben aus
Prag an P. Ponitz; ferner gelangten retour zwei Briefe an u. f. w." Glückliches
Postamt, das nicht mehr Krebse aufzuweisen hat! Glückliche Zeitung, deren
Leserkreis, wie mir der stille Redacteur gleichfalls versicherte, an diesen "er¬
liegenden" Postsachenartikel bereits so gewöhnt ist, wie Lord Findlater (der
1801 den Findlatertempel drüben über dem Tegelthal errichtete), nach seiner
dortigen Inschrift, an die "Ivis äouees et MernellW <Ze I'^utridie". Der Rest
des Blattes war in der Hauptsache Inseraten gewidmet, von denen der "Kreuzer-
Friedmann" in Wien den wesentlichsten Raum beanspruchte, vermuthlich der¬
selbe Friedmann, dessen Paketsendung an Anna Wirth, im Gewichte von 3
Pfd. 20 Les. oben sub g.. zum "Erliegen" gekommen war. Dieser König
der Shoddyhändler offerirt uns für 3 Kr. "zwei Bündel feines Havannah-
Cigarren-Papier", oder auch ..ein feines Stück Siegellack mit Wohlgeruch".
Wieviel mag da wohl der Wohlgeruch ohne das feine Siegellack zu stehen
kommen? Für fünf Kreuzer ist bereits "ein Mädchenfänger" zu haben, ein
Instrument, über dessen Construction mir bisher niemand Auskunft zu geben
vermochte. Sehr reich ist die Auswahl für zehn Kreuzer. Du erhältst dafür
einen "practischen Stoppelzieher" -- mit der Berechtigung, dir das räthsel¬
hafte Wesen zunächst in dein geliebtes Deutsch übertragen zu lassen -- oder
auch "eine Kothbürste", oder gar "einen Centimeter (!)" oder einen "Tigel
Kraftpomade". Für den Verzicht aus zwanzig Kreuzer deines Vermögens
kannst du dir "ein gutes optisches Fernrohr, mit einer Viertelmeile Sehkraft"
erschwingen und hundert andere Werthgegenstände. Indessen, genug von
Friedmann.

Beim Wandern nach den umliegenden Höhen war es spät geworden.
Das weite Thal der Eger ward eben von den letzten Strahlen der Sonne
begrüßt, als wir plötzlich in der Nähe der Kirchhöfe standen. Katholiken,
Protestanten, Juden, ruhen hier, dicht nebeneinander, nur durch niedrige
Mauern geschieden, oben auf der freien Höhe, von der das Auge in unbe¬
grenzter Rundsicht über die Kette des Erzgebirges und den sonnenbeglänzten
gewundenen Egerstrom im Thale streift. Ein Leichenconduct kam langsam
den Berg herauf. Von weitem sah man im Zwielicht des Abends die
Wachslichter flackern. Vorher hatte man den gedämpften Trommelschlag
der Schützengilde vernommen. Wer wurde begraben? Eine "schüchterne
Leiche" könne es nicht sein, meinten die Umstehenden, "da sonst die Schützen
nicht bis hier hinauf mitgezogen wären." Nun säumten sich die Berge des


futter: nämlich ein Artikel unter der Rubrik „Locales" und mit der unheim¬
lichen Ueberschrift: „Unbestellbare Postsachen", der also lautete: „Beim hiesigen
Postamt erliegen nachfolgende Sendungen und Briefe als unbestellbar: a,) ein
Paket aus Wien an Anna Wirth 3 Pfund 20 Loth schwer, Aufgeber Friedmann ;
K) ein Brief aus Amerika an Katharina Hauser und ein Schreiben aus
Prag an P. Ponitz; ferner gelangten retour zwei Briefe an u. f. w." Glückliches
Postamt, das nicht mehr Krebse aufzuweisen hat! Glückliche Zeitung, deren
Leserkreis, wie mir der stille Redacteur gleichfalls versicherte, an diesen „er¬
liegenden" Postsachenartikel bereits so gewöhnt ist, wie Lord Findlater (der
1801 den Findlatertempel drüben über dem Tegelthal errichtete), nach seiner
dortigen Inschrift, an die „Ivis äouees et MernellW <Ze I'^utridie". Der Rest
des Blattes war in der Hauptsache Inseraten gewidmet, von denen der „Kreuzer-
Friedmann" in Wien den wesentlichsten Raum beanspruchte, vermuthlich der¬
selbe Friedmann, dessen Paketsendung an Anna Wirth, im Gewichte von 3
Pfd. 20 Les. oben sub g.. zum „Erliegen" gekommen war. Dieser König
der Shoddyhändler offerirt uns für 3 Kr. „zwei Bündel feines Havannah-
Cigarren-Papier", oder auch ..ein feines Stück Siegellack mit Wohlgeruch".
Wieviel mag da wohl der Wohlgeruch ohne das feine Siegellack zu stehen
kommen? Für fünf Kreuzer ist bereits „ein Mädchenfänger" zu haben, ein
Instrument, über dessen Construction mir bisher niemand Auskunft zu geben
vermochte. Sehr reich ist die Auswahl für zehn Kreuzer. Du erhältst dafür
einen „practischen Stoppelzieher" — mit der Berechtigung, dir das räthsel¬
hafte Wesen zunächst in dein geliebtes Deutsch übertragen zu lassen — oder
auch „eine Kothbürste", oder gar „einen Centimeter (!)" oder einen „Tigel
Kraftpomade". Für den Verzicht aus zwanzig Kreuzer deines Vermögens
kannst du dir „ein gutes optisches Fernrohr, mit einer Viertelmeile Sehkraft"
erschwingen und hundert andere Werthgegenstände. Indessen, genug von
Friedmann.

Beim Wandern nach den umliegenden Höhen war es spät geworden.
Das weite Thal der Eger ward eben von den letzten Strahlen der Sonne
begrüßt, als wir plötzlich in der Nähe der Kirchhöfe standen. Katholiken,
Protestanten, Juden, ruhen hier, dicht nebeneinander, nur durch niedrige
Mauern geschieden, oben auf der freien Höhe, von der das Auge in unbe¬
grenzter Rundsicht über die Kette des Erzgebirges und den sonnenbeglänzten
gewundenen Egerstrom im Thale streift. Ein Leichenconduct kam langsam
den Berg herauf. Von weitem sah man im Zwielicht des Abends die
Wachslichter flackern. Vorher hatte man den gedämpften Trommelschlag
der Schützengilde vernommen. Wer wurde begraben? Eine „schüchterne
Leiche" könne es nicht sein, meinten die Umstehenden, „da sonst die Schützen
nicht bis hier hinauf mitgezogen wären." Nun säumten sich die Berge des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130716"/>
          <p xml:id="ID_183" prev="#ID_182"> futter: nämlich ein Artikel unter der Rubrik &#x201E;Locales" und mit der unheim¬<lb/>
lichen Ueberschrift: &#x201E;Unbestellbare Postsachen", der also lautete: &#x201E;Beim hiesigen<lb/>
Postamt erliegen nachfolgende Sendungen und Briefe als unbestellbar: a,) ein<lb/>
Paket aus Wien an Anna Wirth 3 Pfund 20 Loth schwer, Aufgeber Friedmann ;<lb/>
K) ein Brief aus Amerika an Katharina Hauser und ein Schreiben aus<lb/>
Prag an P. Ponitz; ferner gelangten retour zwei Briefe an u. f. w." Glückliches<lb/>
Postamt, das nicht mehr Krebse aufzuweisen hat! Glückliche Zeitung, deren<lb/>
Leserkreis, wie mir der stille Redacteur gleichfalls versicherte, an diesen &#x201E;er¬<lb/>
liegenden" Postsachenartikel bereits so gewöhnt ist, wie Lord Findlater (der<lb/>
1801 den Findlatertempel drüben über dem Tegelthal errichtete), nach seiner<lb/>
dortigen Inschrift, an die &#x201E;Ivis äouees et MernellW &lt;Ze I'^utridie". Der Rest<lb/>
des Blattes war in der Hauptsache Inseraten gewidmet, von denen der &#x201E;Kreuzer-<lb/>
Friedmann" in Wien den wesentlichsten Raum beanspruchte, vermuthlich der¬<lb/>
selbe Friedmann, dessen Paketsendung an Anna Wirth, im Gewichte von 3<lb/>
Pfd. 20 Les. oben sub g.. zum &#x201E;Erliegen" gekommen war. Dieser König<lb/>
der Shoddyhändler offerirt uns für 3 Kr. &#x201E;zwei Bündel feines Havannah-<lb/>
Cigarren-Papier", oder auch ..ein feines Stück Siegellack mit Wohlgeruch".<lb/>
Wieviel mag da wohl der Wohlgeruch ohne das feine Siegellack zu stehen<lb/>
kommen? Für fünf Kreuzer ist bereits &#x201E;ein Mädchenfänger" zu haben, ein<lb/>
Instrument, über dessen Construction mir bisher niemand Auskunft zu geben<lb/>
vermochte. Sehr reich ist die Auswahl für zehn Kreuzer. Du erhältst dafür<lb/>
einen &#x201E;practischen Stoppelzieher" &#x2014; mit der Berechtigung, dir das räthsel¬<lb/>
hafte Wesen zunächst in dein geliebtes Deutsch übertragen zu lassen &#x2014; oder<lb/>
auch &#x201E;eine Kothbürste", oder gar &#x201E;einen Centimeter (!)" oder einen &#x201E;Tigel<lb/>
Kraftpomade". Für den Verzicht aus zwanzig Kreuzer deines Vermögens<lb/>
kannst du dir &#x201E;ein gutes optisches Fernrohr, mit einer Viertelmeile Sehkraft"<lb/>
erschwingen und hundert andere Werthgegenstände. Indessen, genug von<lb/>
Friedmann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_184" next="#ID_185"> Beim Wandern nach den umliegenden Höhen war es spät geworden.<lb/>
Das weite Thal der Eger ward eben von den letzten Strahlen der Sonne<lb/>
begrüßt, als wir plötzlich in der Nähe der Kirchhöfe standen. Katholiken,<lb/>
Protestanten, Juden, ruhen hier, dicht nebeneinander, nur durch niedrige<lb/>
Mauern geschieden, oben auf der freien Höhe, von der das Auge in unbe¬<lb/>
grenzter Rundsicht über die Kette des Erzgebirges und den sonnenbeglänzten<lb/>
gewundenen Egerstrom im Thale streift. Ein Leichenconduct kam langsam<lb/>
den Berg herauf. Von weitem sah man im Zwielicht des Abends die<lb/>
Wachslichter flackern. Vorher hatte man den gedämpften Trommelschlag<lb/>
der Schützengilde vernommen. Wer wurde begraben? Eine &#x201E;schüchterne<lb/>
Leiche" könne es nicht sein, meinten die Umstehenden, &#x201E;da sonst die Schützen<lb/>
nicht bis hier hinauf mitgezogen wären." Nun säumten sich die Berge des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] futter: nämlich ein Artikel unter der Rubrik „Locales" und mit der unheim¬ lichen Ueberschrift: „Unbestellbare Postsachen", der also lautete: „Beim hiesigen Postamt erliegen nachfolgende Sendungen und Briefe als unbestellbar: a,) ein Paket aus Wien an Anna Wirth 3 Pfund 20 Loth schwer, Aufgeber Friedmann ; K) ein Brief aus Amerika an Katharina Hauser und ein Schreiben aus Prag an P. Ponitz; ferner gelangten retour zwei Briefe an u. f. w." Glückliches Postamt, das nicht mehr Krebse aufzuweisen hat! Glückliche Zeitung, deren Leserkreis, wie mir der stille Redacteur gleichfalls versicherte, an diesen „er¬ liegenden" Postsachenartikel bereits so gewöhnt ist, wie Lord Findlater (der 1801 den Findlatertempel drüben über dem Tegelthal errichtete), nach seiner dortigen Inschrift, an die „Ivis äouees et MernellW <Ze I'^utridie". Der Rest des Blattes war in der Hauptsache Inseraten gewidmet, von denen der „Kreuzer- Friedmann" in Wien den wesentlichsten Raum beanspruchte, vermuthlich der¬ selbe Friedmann, dessen Paketsendung an Anna Wirth, im Gewichte von 3 Pfd. 20 Les. oben sub g.. zum „Erliegen" gekommen war. Dieser König der Shoddyhändler offerirt uns für 3 Kr. „zwei Bündel feines Havannah- Cigarren-Papier", oder auch ..ein feines Stück Siegellack mit Wohlgeruch". Wieviel mag da wohl der Wohlgeruch ohne das feine Siegellack zu stehen kommen? Für fünf Kreuzer ist bereits „ein Mädchenfänger" zu haben, ein Instrument, über dessen Construction mir bisher niemand Auskunft zu geben vermochte. Sehr reich ist die Auswahl für zehn Kreuzer. Du erhältst dafür einen „practischen Stoppelzieher" — mit der Berechtigung, dir das räthsel¬ hafte Wesen zunächst in dein geliebtes Deutsch übertragen zu lassen — oder auch „eine Kothbürste", oder gar „einen Centimeter (!)" oder einen „Tigel Kraftpomade". Für den Verzicht aus zwanzig Kreuzer deines Vermögens kannst du dir „ein gutes optisches Fernrohr, mit einer Viertelmeile Sehkraft" erschwingen und hundert andere Werthgegenstände. Indessen, genug von Friedmann. Beim Wandern nach den umliegenden Höhen war es spät geworden. Das weite Thal der Eger ward eben von den letzten Strahlen der Sonne begrüßt, als wir plötzlich in der Nähe der Kirchhöfe standen. Katholiken, Protestanten, Juden, ruhen hier, dicht nebeneinander, nur durch niedrige Mauern geschieden, oben auf der freien Höhe, von der das Auge in unbe¬ grenzter Rundsicht über die Kette des Erzgebirges und den sonnenbeglänzten gewundenen Egerstrom im Thale streift. Ein Leichenconduct kam langsam den Berg herauf. Von weitem sah man im Zwielicht des Abends die Wachslichter flackern. Vorher hatte man den gedämpften Trommelschlag der Schützengilde vernommen. Wer wurde begraben? Eine „schüchterne Leiche" könne es nicht sein, meinten die Umstehenden, „da sonst die Schützen nicht bis hier hinauf mitgezogen wären." Nun säumten sich die Berge des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/72>, abgerufen am 26.12.2024.