Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.würdige Straßenzeile der "alten Wiese", auf der im Sommer um diese Tages¬ Auch diese Kirche war längst vom Strahl der Sonne begrüßt worden und Der Anblick der Hauptstraßen der Stadt war in diesen Stunden wirklich ein würdige Straßenzeile der „alten Wiese", auf der im Sommer um diese Tages¬ Auch diese Kirche war längst vom Strahl der Sonne begrüßt worden und Der Anblick der Hauptstraßen der Stadt war in diesen Stunden wirklich ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130714"/> <p xml:id="ID_178" prev="#ID_177"> würdige Straßenzeile der „alten Wiese", auf der im Sommer um diese Tages¬<lb/> stunde bereits Tausende hin und zurück auf dem Wege der Heilquelle gewan¬<lb/> delt wären. Heute schritt kein Fremder nach dem Sprudel, der mit dampfen¬<lb/> den Gischt dort unten ungenossen aus der Tiefe rauschte und sich dem ge¬<lb/> meinen Wasser der Tegel vermählte. Zahlreiche Männer, Frauen und Kinder<lb/> begegneten uns wohl auch heute im Festkleid, aber ihr Weg ging nach einem<lb/> andern Heilquell, der das Monopol wunderthätiger Wirkung noch in ganz<lb/> anderem Maße in Anspruch nimmt, als der Sprudel — nach der katholi¬<lb/> schen Kirche.</p><lb/> <p xml:id="ID_179"> Auch diese Kirche war längst vom Strahl der Sonne begrüßt worden und<lb/> durch die klare sonnige Luft hallten die Glocken zur hohen Friedensfeier des<lb/> Weihnachtsmorgens. Nun waren auch die letzten Kirchgänger vorüber, die<lb/> letzten Accorde des Geläutes verhallten. Die Stadt lag wie ausgestorben.<lb/> Nur der Sprudel sandte weithin über die Tegel den Dampf seines heißen<lb/> Wassers, wie er es gethan hatte, ehe hier ein einziges Haus gestanden, als<lb/> noch Alles ringsum in tiefer Waldwildniß gelegen, als noch nicht einmal<lb/> die Concurrenz der Heilkraft der allein seligmachenden Kirche ihm erwachsen<lb/> war.</p><lb/> <p xml:id="ID_180" next="#ID_181"> Der Anblick der Hauptstraßen der Stadt war in diesen Stunden wirklich ein<lb/> höchst merkwürdiger. Fast jedes Haus Karlsbads trägt bekanntlich seinen Eigen¬<lb/> namen , und zwar unter geflissentlicher Mißachtung und Weglassung des be¬<lb/> stimmten Artikels, wie dies die Prosa eines gefeierten deutschen Roman¬<lb/> schriftstellers besorgt. Man schreibt in Karlsbad nicht wie im übrigen Deutsch¬<lb/> land an die Gasthofsschilder und Fremdenwohnungen „Zu den zwei Mo¬<lb/> narchen", „die drei Schwalben", „zum Strauß" u. s. w. sondern „Zwei<lb/> Monarchen", „drei Schwalben", „Strausz". Die Phantasie ist dadurch im All¬<lb/> gemeinen in einer günstigeren Lage als beim bestimmten Artikel. Bei „zwei<lb/> Monarchen" kann man sich z. B. den König Herodes und einen der drei Könige<lb/> aus dem Morgenlande oder Pipin den Kurzen zusammen denken, während der<lb/> bestimmte Artikel nur die Einbildung zweier gleichzeitiger und seelisch thunlichst<lb/> gleich gestimmter Monarchen verstatten würde. Außerdem aber weisen diese<lb/> „grundbücherlich versicherten" und „beschilderten" Namen darauf hin, daß alle<lb/> Häuser Karlsbads mehr oder minder dem Fremdenverkehr offenstehn; für den<lb/> Privatgebrauch und das Unterscheidungsvermögen der Einwohner würde<lb/> schließlich auch die Hausnummer genügen. Aber dem fremden Ohr bieten<lb/> Schilder wie „Zur schönen Königin", „Römischer Feldherr" u. s. w.<lb/> weit größere Anziehungskraft, als die einfache Hausnummer. Und nun<lb/> vergegenwärtige man sich das Aussehen dieser Häuser, deren Pforten im<lb/> Sommer Gästen aus allen Welttheilen offen stehen, deren Fenster belebt sind<lb/> von geputzten Menschen, deren Vorplatz selbst bis drüben unter die Bäume</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
würdige Straßenzeile der „alten Wiese", auf der im Sommer um diese Tages¬
stunde bereits Tausende hin und zurück auf dem Wege der Heilquelle gewan¬
delt wären. Heute schritt kein Fremder nach dem Sprudel, der mit dampfen¬
den Gischt dort unten ungenossen aus der Tiefe rauschte und sich dem ge¬
meinen Wasser der Tegel vermählte. Zahlreiche Männer, Frauen und Kinder
begegneten uns wohl auch heute im Festkleid, aber ihr Weg ging nach einem
andern Heilquell, der das Monopol wunderthätiger Wirkung noch in ganz
anderem Maße in Anspruch nimmt, als der Sprudel — nach der katholi¬
schen Kirche.
Auch diese Kirche war längst vom Strahl der Sonne begrüßt worden und
durch die klare sonnige Luft hallten die Glocken zur hohen Friedensfeier des
Weihnachtsmorgens. Nun waren auch die letzten Kirchgänger vorüber, die
letzten Accorde des Geläutes verhallten. Die Stadt lag wie ausgestorben.
Nur der Sprudel sandte weithin über die Tegel den Dampf seines heißen
Wassers, wie er es gethan hatte, ehe hier ein einziges Haus gestanden, als
noch Alles ringsum in tiefer Waldwildniß gelegen, als noch nicht einmal
die Concurrenz der Heilkraft der allein seligmachenden Kirche ihm erwachsen
war.
Der Anblick der Hauptstraßen der Stadt war in diesen Stunden wirklich ein
höchst merkwürdiger. Fast jedes Haus Karlsbads trägt bekanntlich seinen Eigen¬
namen , und zwar unter geflissentlicher Mißachtung und Weglassung des be¬
stimmten Artikels, wie dies die Prosa eines gefeierten deutschen Roman¬
schriftstellers besorgt. Man schreibt in Karlsbad nicht wie im übrigen Deutsch¬
land an die Gasthofsschilder und Fremdenwohnungen „Zu den zwei Mo¬
narchen", „die drei Schwalben", „zum Strauß" u. s. w. sondern „Zwei
Monarchen", „drei Schwalben", „Strausz". Die Phantasie ist dadurch im All¬
gemeinen in einer günstigeren Lage als beim bestimmten Artikel. Bei „zwei
Monarchen" kann man sich z. B. den König Herodes und einen der drei Könige
aus dem Morgenlande oder Pipin den Kurzen zusammen denken, während der
bestimmte Artikel nur die Einbildung zweier gleichzeitiger und seelisch thunlichst
gleich gestimmter Monarchen verstatten würde. Außerdem aber weisen diese
„grundbücherlich versicherten" und „beschilderten" Namen darauf hin, daß alle
Häuser Karlsbads mehr oder minder dem Fremdenverkehr offenstehn; für den
Privatgebrauch und das Unterscheidungsvermögen der Einwohner würde
schließlich auch die Hausnummer genügen. Aber dem fremden Ohr bieten
Schilder wie „Zur schönen Königin", „Römischer Feldherr" u. s. w.
weit größere Anziehungskraft, als die einfache Hausnummer. Und nun
vergegenwärtige man sich das Aussehen dieser Häuser, deren Pforten im
Sommer Gästen aus allen Welttheilen offen stehen, deren Fenster belebt sind
von geputzten Menschen, deren Vorplatz selbst bis drüben unter die Bäume
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