Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.Inn neuen Jahr. Drei und ein halbes Jahrhundert sind verflossen, seitdem der erste Vor¬ Außer dem eigenen Vaterlande Machiavelli's hat kein Land höhere Veran¬ Mitteninne in diesem großen Kampfe steht Deutschland am Ausgang Gmijboten 1. 1874. 1
Inn neuen Jahr. Drei und ein halbes Jahrhundert sind verflossen, seitdem der erste Vor¬ Außer dem eigenen Vaterlande Machiavelli's hat kein Land höhere Veran¬ Mitteninne in diesem großen Kampfe steht Deutschland am Ausgang Gmijboten 1. 1874. 1
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0007" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130651"/> </div> </div> </div> <div n="1"> <head> Inn neuen Jahr.</head><lb/> <p xml:id="ID_7"> Drei und ein halbes Jahrhundert sind verflossen, seitdem der erste Vor¬<lb/> kämpfer des italienischen Einheitsgedankens, Niceolü Machiavelli, die Beseitigung<lb/> der weltlichen Herrschaft des Papstes forderte als erste Voraussetzung für<lb/> die Verwirklichung seines nationalen Staates.</p><lb/> <p xml:id="ID_8"> Außer dem eigenen Vaterlande Machiavelli's hat kein Land höhere Veran¬<lb/> lassung, die weise Voraussicht des großen Denkers anzuerkennen, als unser<lb/> deutsches Vaterland. Schon zu Machiavelli's Zeiten war es nicht sowohl die<lb/> materielle Staatsmacht des Kirchenstaates, welche den Hoffnungen auf Ver¬<lb/> wirklichung eines Königreichs Italien höchst gefährlich erschien. Wenn die<lb/> politische Macht des Papstes von jeher mit dem Umfang seines weltlichen<lb/> Territoriums im Einklang, gestanden hätte, so wäre sie heute, mit Vernich¬<lb/> tung des Kirchenstaates, so fröhlich vergessen und vergeben wie die weiland<lb/> österreichischen Secundogeniturfürstenthümer in Oberitalien. Die politische<lb/> Macht der Kurie hat sich aber seit Jahrhunderten auf den Thronen der welt¬<lb/> lichen Herrscher, neben und über diesen schallend, zu etabliren gewußt. Die<lb/> Universalität ihres politischen Ehrgeizes, die, auch in protestantischen Ländern,<lb/> ihrem Verlangen bereitwillig gebotene Darleihung des weltlichen Armes, hat<lb/> ihr auch nach Zertrümmerung des Kirchenstaates eine Machtfülle belassen, die<lb/> in hochfahrendstem Selbstgefühl überall den Kampf mit dem modernen Staats¬<lb/> bewußtsein der Völker herausfordert und anzettelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_9" next="#ID_10"> Mitteninne in diesem großen Kampfe steht Deutschland am Ausgang<lb/> des alten, zu Beginn des neuen Jahres. Drei Jahre schon dauert dieser<lb/> Kampf. Er wurde unternommen von der Kurie, als wir Deutschen die ruch¬<lb/> lose That begingen, unser Reich neu zu gründen, ohne der Kirche gewisse<lb/> „Grundrechte" in unserer Staatsverfassung einzuräumen und ohne das Blut<lb/> unserer Landeskinder für die Wiederherstellung des Kirchenstaates gegen das<lb/> einige Italien zu verspritzen. Mit der dem Jesuitismus eigenen Verlogenheit<lb/> wird noch heute die Fiction versucht und unterhalten, als handle die Hierarchie<lb/> im guten Glauben, als sei das deutsche Reich der Friedensbrecher gewesen,<lb/> als habe Deutschland den tiefen Zwiespalt in Tausende von Familien getra¬<lb/> gen, die Gewissensnoth gebracht über Millionen Herzen von Katholiken. Wer</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Gmijboten 1. 1874. 1</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Inn neuen Jahr.
Drei und ein halbes Jahrhundert sind verflossen, seitdem der erste Vor¬
kämpfer des italienischen Einheitsgedankens, Niceolü Machiavelli, die Beseitigung
der weltlichen Herrschaft des Papstes forderte als erste Voraussetzung für
die Verwirklichung seines nationalen Staates.
Außer dem eigenen Vaterlande Machiavelli's hat kein Land höhere Veran¬
lassung, die weise Voraussicht des großen Denkers anzuerkennen, als unser
deutsches Vaterland. Schon zu Machiavelli's Zeiten war es nicht sowohl die
materielle Staatsmacht des Kirchenstaates, welche den Hoffnungen auf Ver¬
wirklichung eines Königreichs Italien höchst gefährlich erschien. Wenn die
politische Macht des Papstes von jeher mit dem Umfang seines weltlichen
Territoriums im Einklang, gestanden hätte, so wäre sie heute, mit Vernich¬
tung des Kirchenstaates, so fröhlich vergessen und vergeben wie die weiland
österreichischen Secundogeniturfürstenthümer in Oberitalien. Die politische
Macht der Kurie hat sich aber seit Jahrhunderten auf den Thronen der welt¬
lichen Herrscher, neben und über diesen schallend, zu etabliren gewußt. Die
Universalität ihres politischen Ehrgeizes, die, auch in protestantischen Ländern,
ihrem Verlangen bereitwillig gebotene Darleihung des weltlichen Armes, hat
ihr auch nach Zertrümmerung des Kirchenstaates eine Machtfülle belassen, die
in hochfahrendstem Selbstgefühl überall den Kampf mit dem modernen Staats¬
bewußtsein der Völker herausfordert und anzettelt.
Mitteninne in diesem großen Kampfe steht Deutschland am Ausgang
des alten, zu Beginn des neuen Jahres. Drei Jahre schon dauert dieser
Kampf. Er wurde unternommen von der Kurie, als wir Deutschen die ruch¬
lose That begingen, unser Reich neu zu gründen, ohne der Kirche gewisse
„Grundrechte" in unserer Staatsverfassung einzuräumen und ohne das Blut
unserer Landeskinder für die Wiederherstellung des Kirchenstaates gegen das
einige Italien zu verspritzen. Mit der dem Jesuitismus eigenen Verlogenheit
wird noch heute die Fiction versucht und unterhalten, als handle die Hierarchie
im guten Glauben, als sei das deutsche Reich der Friedensbrecher gewesen,
als habe Deutschland den tiefen Zwiespalt in Tausende von Familien getra¬
gen, die Gewissensnoth gebracht über Millionen Herzen von Katholiken. Wer
Gmijboten 1. 1874. 1
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