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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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relativen Beachtung je nach dem Grade der Bedeutung, die das Fremde im
einzelnen Falle für unsere Literatur im Ganzen oder im Einzelnen aufzu¬
weisen vermag.

Zwei Hefte der neuen Folge zeigen, wie die Zeitschrift soeben diese oben
von uns bezeichnete Richtung einzuschlagen gedenkt. Beide Hefte sind zum
größten Theil mit Abhandlungen gefüllt, die der deutschen Literatur im
engeren Sinne angehören, aber dazwischen ist doch auch schon im 1. Hefte
L. Schröder durch eine Besprechung des 2. Bandes von Jonckbloet's Ge¬
schichte der niederländischen Literatur über diese Grenze hinausgegangen, und
im 2. Hefte hat E. Martin einem der klassischen Erzeugnisse derselben, dem
Palamedes Vondels eine recht gelungene Würdigung zutheil werden lassen.
Dicht daneben ein noch entschiedener der Fremde gehöriges Thema: "Die
französischen Classtker des 17. Jahrhunderts in ihrer Nachahmung der Alten
und Originalität von Adolf Brennecke," ein Thema> dessen innere Verwandt¬
schaft mit unsern deutschen Kunstbestrebungen nicht so auf der Hand liegt,
wie das der folgenden Abhandlung von Ad. Laun: "Die ältesten deutschen
Uebersetzungen einiger Dramen von Corneille," das aber doch auch im weiteren
Sinn in den Kreis der Voraussetzungen gehört, auf denen unsere neuere
Literatur ruht.

Von dem übrigen Inhalte wollen wir hier kein summarisches Verzeichnis;
bringen, mit dem den Lesern dieser Blätter wenig gedient wäre. Dafür sei
uns gestattet, aus einiges aus der reichhaltigen Masse in aller Kürze hin¬
zuweisen. So im 1. Heft auf die Urkunden Hans Sachs betreffend, von dem
gründlichsten Kenner der Nürnberger politischen und Culturgeschichte, K. Loch¬
ner. Diese Urkunden, meist kleinbürgerliche Vermögens- und Familienangelegen¬
heiten betreffend, zeichnen die Atmosphäre, worin das eminente Genie des
Dichters sein Lebelang athmete, characteristischer, als das ausführlichste sitten¬
geschichtliche Gemälde seiner Umgebung vermöchte, und sind deshalb als
Schlüssel seines Wesens höchst schätzenswert!). Nebenbei ist dadurch endlich
einmal das vielbestrittene Datum seines Todestages, 19. April, festgestellt.
"Herzog Georg von Sachsen als Liederdichter", von I. K. Seidemann lehrt
den wunderlich eigensinnigen Feind Luther's und der Reformation von einer
bisher nicht bezeugten, kaum geahnten Seite als geistlichen und weltlichen
Liederdichter kennen, freilich mehr zu seinem Schaden als zu seinem Ruhme.
Denn selbst nach dem sehr tief gegriffenen Mittelmaß seiner Zeit gemessen,
ist dieser fürstliche Dichter ein armseliger Stümper und er hat ganz recht
gehabt, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Und so wäre noch mancher
werthvolle Beitrag zur Literatur und Cultur des 16. und 17. Jahrhunderts
zu nennen, den wir hier doch übergehen wollen, um auf einige Bereicherungen
unserer klassischen Periode zu verweisen. Da giebt H. Düntzer noch "Vier


relativen Beachtung je nach dem Grade der Bedeutung, die das Fremde im
einzelnen Falle für unsere Literatur im Ganzen oder im Einzelnen aufzu¬
weisen vermag.

Zwei Hefte der neuen Folge zeigen, wie die Zeitschrift soeben diese oben
von uns bezeichnete Richtung einzuschlagen gedenkt. Beide Hefte sind zum
größten Theil mit Abhandlungen gefüllt, die der deutschen Literatur im
engeren Sinne angehören, aber dazwischen ist doch auch schon im 1. Hefte
L. Schröder durch eine Besprechung des 2. Bandes von Jonckbloet's Ge¬
schichte der niederländischen Literatur über diese Grenze hinausgegangen, und
im 2. Hefte hat E. Martin einem der klassischen Erzeugnisse derselben, dem
Palamedes Vondels eine recht gelungene Würdigung zutheil werden lassen.
Dicht daneben ein noch entschiedener der Fremde gehöriges Thema: „Die
französischen Classtker des 17. Jahrhunderts in ihrer Nachahmung der Alten
und Originalität von Adolf Brennecke," ein Thema> dessen innere Verwandt¬
schaft mit unsern deutschen Kunstbestrebungen nicht so auf der Hand liegt,
wie das der folgenden Abhandlung von Ad. Laun: „Die ältesten deutschen
Uebersetzungen einiger Dramen von Corneille," das aber doch auch im weiteren
Sinn in den Kreis der Voraussetzungen gehört, auf denen unsere neuere
Literatur ruht.

Von dem übrigen Inhalte wollen wir hier kein summarisches Verzeichnis;
bringen, mit dem den Lesern dieser Blätter wenig gedient wäre. Dafür sei
uns gestattet, aus einiges aus der reichhaltigen Masse in aller Kürze hin¬
zuweisen. So im 1. Heft auf die Urkunden Hans Sachs betreffend, von dem
gründlichsten Kenner der Nürnberger politischen und Culturgeschichte, K. Loch¬
ner. Diese Urkunden, meist kleinbürgerliche Vermögens- und Familienangelegen¬
heiten betreffend, zeichnen die Atmosphäre, worin das eminente Genie des
Dichters sein Lebelang athmete, characteristischer, als das ausführlichste sitten¬
geschichtliche Gemälde seiner Umgebung vermöchte, und sind deshalb als
Schlüssel seines Wesens höchst schätzenswert!). Nebenbei ist dadurch endlich
einmal das vielbestrittene Datum seines Todestages, 19. April, festgestellt.
„Herzog Georg von Sachsen als Liederdichter", von I. K. Seidemann lehrt
den wunderlich eigensinnigen Feind Luther's und der Reformation von einer
bisher nicht bezeugten, kaum geahnten Seite als geistlichen und weltlichen
Liederdichter kennen, freilich mehr zu seinem Schaden als zu seinem Ruhme.
Denn selbst nach dem sehr tief gegriffenen Mittelmaß seiner Zeit gemessen,
ist dieser fürstliche Dichter ein armseliger Stümper und er hat ganz recht
gehabt, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Und so wäre noch mancher
werthvolle Beitrag zur Literatur und Cultur des 16. und 17. Jahrhunderts
zu nennen, den wir hier doch übergehen wollen, um auf einige Bereicherungen
unserer klassischen Periode zu verweisen. Da giebt H. Düntzer noch „Vier


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[0065] relativen Beachtung je nach dem Grade der Bedeutung, die das Fremde im einzelnen Falle für unsere Literatur im Ganzen oder im Einzelnen aufzu¬ weisen vermag. Zwei Hefte der neuen Folge zeigen, wie die Zeitschrift soeben diese oben von uns bezeichnete Richtung einzuschlagen gedenkt. Beide Hefte sind zum größten Theil mit Abhandlungen gefüllt, die der deutschen Literatur im engeren Sinne angehören, aber dazwischen ist doch auch schon im 1. Hefte L. Schröder durch eine Besprechung des 2. Bandes von Jonckbloet's Ge¬ schichte der niederländischen Literatur über diese Grenze hinausgegangen, und im 2. Hefte hat E. Martin einem der klassischen Erzeugnisse derselben, dem Palamedes Vondels eine recht gelungene Würdigung zutheil werden lassen. Dicht daneben ein noch entschiedener der Fremde gehöriges Thema: „Die französischen Classtker des 17. Jahrhunderts in ihrer Nachahmung der Alten und Originalität von Adolf Brennecke," ein Thema> dessen innere Verwandt¬ schaft mit unsern deutschen Kunstbestrebungen nicht so auf der Hand liegt, wie das der folgenden Abhandlung von Ad. Laun: „Die ältesten deutschen Uebersetzungen einiger Dramen von Corneille," das aber doch auch im weiteren Sinn in den Kreis der Voraussetzungen gehört, auf denen unsere neuere Literatur ruht. Von dem übrigen Inhalte wollen wir hier kein summarisches Verzeichnis; bringen, mit dem den Lesern dieser Blätter wenig gedient wäre. Dafür sei uns gestattet, aus einiges aus der reichhaltigen Masse in aller Kürze hin¬ zuweisen. So im 1. Heft auf die Urkunden Hans Sachs betreffend, von dem gründlichsten Kenner der Nürnberger politischen und Culturgeschichte, K. Loch¬ ner. Diese Urkunden, meist kleinbürgerliche Vermögens- und Familienangelegen¬ heiten betreffend, zeichnen die Atmosphäre, worin das eminente Genie des Dichters sein Lebelang athmete, characteristischer, als das ausführlichste sitten¬ geschichtliche Gemälde seiner Umgebung vermöchte, und sind deshalb als Schlüssel seines Wesens höchst schätzenswert!). Nebenbei ist dadurch endlich einmal das vielbestrittene Datum seines Todestages, 19. April, festgestellt. „Herzog Georg von Sachsen als Liederdichter", von I. K. Seidemann lehrt den wunderlich eigensinnigen Feind Luther's und der Reformation von einer bisher nicht bezeugten, kaum geahnten Seite als geistlichen und weltlichen Liederdichter kennen, freilich mehr zu seinem Schaden als zu seinem Ruhme. Denn selbst nach dem sehr tief gegriffenen Mittelmaß seiner Zeit gemessen, ist dieser fürstliche Dichter ein armseliger Stümper und er hat ganz recht gehabt, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Und so wäre noch mancher werthvolle Beitrag zur Literatur und Cultur des 16. und 17. Jahrhunderts zu nennen, den wir hier doch übergehen wollen, um auf einige Bereicherungen unserer klassischen Periode zu verweisen. Da giebt H. Düntzer noch „Vier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/65>, abgerufen am 29.09.2024.