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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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angreift, steht sie unter der Eingebung der guten Göttin; wenn sie die Ge¬
sellschaft angreift, steht sie unter der Einwirkung der Hexe. Daher kommen
solche Bestimmungen, wie der thörichte Berichtigungsparagraph, von dem
Bamberger so richtig und drastisch sagte, daß er die Eselsbrücke für Narren
und Flegel sei. Welche Ungeheuerlichkeit, daß jeder Hansnarr, der in dem
Artikel einer Zeitschrift unrichtige Thatsachen eingeführt oder vorausgesetzt
glaubt, das Recht haben soll, den Raum der Zeitschrift für seine angebliche
Berichtigung in Anspruch zu nehmen, mit dem Legitimationsgrund, daß die
betreffenden Thatsachen irgend einen Zusammenhang mit seiner Person haben.
Es ist klar, daß eine Quadriga von zwei Narren und zwei Flegeln mit diesem
Paragraphen eine Zeitschrift todt machen können. Sie brauchen nur alle
Artikel zu berichtigen. Werden auch nicht alle Berichtigungen aufgenommen,
so hat der arme Redacteur doch nichts weiter zu thun, als Berichtigungen zu
lesen und Eingaben darüber an den Richter zu machen. -- Wo liegt die Er¬
klärung, daß eine solche Bestimmung eine Majorität sentimentaler Preßfreiheits-
schwärmer erhält. Sie liegt einzig und allein in dem egoistischen Jnstinct der
Selbsterhaltung. Jeder will gern zusehen, wie dem Staat die Fenster einge¬
worfen werden, weil er glaubt, daß ihn das sobald nicht trifft; aber er selber
will keinen einzigen Wurf empfangen. -- Warum denn nicht mit der Be¬
stimmung sich begnügen, daß die Verbreitung unwahrer Thatsachen für den
Beschädigtem einen Entschädigungsanspruch begründet! -- Wir können die
Kämpfe um die einzelnen Bestimmungen nicht verfolgen. Bei grundfalschen
Voraussetzungen kann nichts zu Tage kommen, als verkehrte Folgerungen
hüben und drüben, bei deren Wahl nur die Laune spricht. Die eine grund¬
falsche Voraussetzung, daß in der Behandlung der Presse die subjective Ver¬
antwortlichkeit festzuhalten sei, habe ich schon öfter hier beleuchtet. Man will
und kann nicht begreifen, was doch handgreiflich ist, daß in den Erzeugnissen
der periodischen Presse verschiedene Urheberschaften in der Regel vereinigt sein
müssen. Von dem ganz unhaltbaren Standpunkt der isolirten Urheberschaft
und Verantwortlichkeit aus hat man sich in sentimentaler Entrüstung gegen
das "Unwesen" der sogenannten "Strohredacteure" ergangen: eine der unent¬
behrlichsten und zweckmäßigsten Einrichtungen. Tausendmal ist es nothwendig,
nothwendig gerade für die idealen Zwecke der Presse, daß die geistige Leitung
eines Unternehmens und die technisch-verantwortliche getrennt sind. Gegen dieses
Verhältniß hat man die Thorheit begangen, Strafparagraphen vorzuschlagen.
So hemmt man aus unverständiger Principiensucht die natürlichsten Bewe¬
gungen der Presse.

Wie vergeblich es ist, das Princip der isolirten Verantwortlichkeit fest¬
zuhalten, zeigt die mit diesem Grundsatz ganz unverträgliche successive Ver¬
antwortlichkeit, welche die Reichstagseommission allerdings gestrichen hat. An


angreift, steht sie unter der Eingebung der guten Göttin; wenn sie die Ge¬
sellschaft angreift, steht sie unter der Einwirkung der Hexe. Daher kommen
solche Bestimmungen, wie der thörichte Berichtigungsparagraph, von dem
Bamberger so richtig und drastisch sagte, daß er die Eselsbrücke für Narren
und Flegel sei. Welche Ungeheuerlichkeit, daß jeder Hansnarr, der in dem
Artikel einer Zeitschrift unrichtige Thatsachen eingeführt oder vorausgesetzt
glaubt, das Recht haben soll, den Raum der Zeitschrift für seine angebliche
Berichtigung in Anspruch zu nehmen, mit dem Legitimationsgrund, daß die
betreffenden Thatsachen irgend einen Zusammenhang mit seiner Person haben.
Es ist klar, daß eine Quadriga von zwei Narren und zwei Flegeln mit diesem
Paragraphen eine Zeitschrift todt machen können. Sie brauchen nur alle
Artikel zu berichtigen. Werden auch nicht alle Berichtigungen aufgenommen,
so hat der arme Redacteur doch nichts weiter zu thun, als Berichtigungen zu
lesen und Eingaben darüber an den Richter zu machen. — Wo liegt die Er¬
klärung, daß eine solche Bestimmung eine Majorität sentimentaler Preßfreiheits-
schwärmer erhält. Sie liegt einzig und allein in dem egoistischen Jnstinct der
Selbsterhaltung. Jeder will gern zusehen, wie dem Staat die Fenster einge¬
worfen werden, weil er glaubt, daß ihn das sobald nicht trifft; aber er selber
will keinen einzigen Wurf empfangen. — Warum denn nicht mit der Be¬
stimmung sich begnügen, daß die Verbreitung unwahrer Thatsachen für den
Beschädigtem einen Entschädigungsanspruch begründet! — Wir können die
Kämpfe um die einzelnen Bestimmungen nicht verfolgen. Bei grundfalschen
Voraussetzungen kann nichts zu Tage kommen, als verkehrte Folgerungen
hüben und drüben, bei deren Wahl nur die Laune spricht. Die eine grund¬
falsche Voraussetzung, daß in der Behandlung der Presse die subjective Ver¬
antwortlichkeit festzuhalten sei, habe ich schon öfter hier beleuchtet. Man will
und kann nicht begreifen, was doch handgreiflich ist, daß in den Erzeugnissen
der periodischen Presse verschiedene Urheberschaften in der Regel vereinigt sein
müssen. Von dem ganz unhaltbaren Standpunkt der isolirten Urheberschaft
und Verantwortlichkeit aus hat man sich in sentimentaler Entrüstung gegen
das „Unwesen" der sogenannten „Strohredacteure" ergangen: eine der unent¬
behrlichsten und zweckmäßigsten Einrichtungen. Tausendmal ist es nothwendig,
nothwendig gerade für die idealen Zwecke der Presse, daß die geistige Leitung
eines Unternehmens und die technisch-verantwortliche getrennt sind. Gegen dieses
Verhältniß hat man die Thorheit begangen, Strafparagraphen vorzuschlagen.
So hemmt man aus unverständiger Principiensucht die natürlichsten Bewe¬
gungen der Presse.

Wie vergeblich es ist, das Princip der isolirten Verantwortlichkeit fest¬
zuhalten, zeigt die mit diesem Grundsatz ganz unverträgliche successive Ver¬
antwortlichkeit, welche die Reichstagseommission allerdings gestrichen hat. An


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[0520] angreift, steht sie unter der Eingebung der guten Göttin; wenn sie die Ge¬ sellschaft angreift, steht sie unter der Einwirkung der Hexe. Daher kommen solche Bestimmungen, wie der thörichte Berichtigungsparagraph, von dem Bamberger so richtig und drastisch sagte, daß er die Eselsbrücke für Narren und Flegel sei. Welche Ungeheuerlichkeit, daß jeder Hansnarr, der in dem Artikel einer Zeitschrift unrichtige Thatsachen eingeführt oder vorausgesetzt glaubt, das Recht haben soll, den Raum der Zeitschrift für seine angebliche Berichtigung in Anspruch zu nehmen, mit dem Legitimationsgrund, daß die betreffenden Thatsachen irgend einen Zusammenhang mit seiner Person haben. Es ist klar, daß eine Quadriga von zwei Narren und zwei Flegeln mit diesem Paragraphen eine Zeitschrift todt machen können. Sie brauchen nur alle Artikel zu berichtigen. Werden auch nicht alle Berichtigungen aufgenommen, so hat der arme Redacteur doch nichts weiter zu thun, als Berichtigungen zu lesen und Eingaben darüber an den Richter zu machen. — Wo liegt die Er¬ klärung, daß eine solche Bestimmung eine Majorität sentimentaler Preßfreiheits- schwärmer erhält. Sie liegt einzig und allein in dem egoistischen Jnstinct der Selbsterhaltung. Jeder will gern zusehen, wie dem Staat die Fenster einge¬ worfen werden, weil er glaubt, daß ihn das sobald nicht trifft; aber er selber will keinen einzigen Wurf empfangen. — Warum denn nicht mit der Be¬ stimmung sich begnügen, daß die Verbreitung unwahrer Thatsachen für den Beschädigtem einen Entschädigungsanspruch begründet! — Wir können die Kämpfe um die einzelnen Bestimmungen nicht verfolgen. Bei grundfalschen Voraussetzungen kann nichts zu Tage kommen, als verkehrte Folgerungen hüben und drüben, bei deren Wahl nur die Laune spricht. Die eine grund¬ falsche Voraussetzung, daß in der Behandlung der Presse die subjective Ver¬ antwortlichkeit festzuhalten sei, habe ich schon öfter hier beleuchtet. Man will und kann nicht begreifen, was doch handgreiflich ist, daß in den Erzeugnissen der periodischen Presse verschiedene Urheberschaften in der Regel vereinigt sein müssen. Von dem ganz unhaltbaren Standpunkt der isolirten Urheberschaft und Verantwortlichkeit aus hat man sich in sentimentaler Entrüstung gegen das „Unwesen" der sogenannten „Strohredacteure" ergangen: eine der unent¬ behrlichsten und zweckmäßigsten Einrichtungen. Tausendmal ist es nothwendig, nothwendig gerade für die idealen Zwecke der Presse, daß die geistige Leitung eines Unternehmens und die technisch-verantwortliche getrennt sind. Gegen dieses Verhältniß hat man die Thorheit begangen, Strafparagraphen vorzuschlagen. So hemmt man aus unverständiger Principiensucht die natürlichsten Bewe¬ gungen der Presse. Wie vergeblich es ist, das Princip der isolirten Verantwortlichkeit fest¬ zuhalten, zeigt die mit diesem Grundsatz ganz unverträgliche successive Ver¬ antwortlichkeit, welche die Reichstagseommission allerdings gestrichen hat. An

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/520>, abgerufen am 25.12.2024.