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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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baren Feinde zu fliehen. Es sträuben sich ihre Federn, es öffnen sich die
Flügel, um die Jungen unter die schützende Decke zu nehmen. Aber rasch
entkleidet der Zuschneider den Vogel seines geborgten Schmuckes; dem ge¬
öffneten Leibe entfallen Trüffeln und junge Erbsen. Die Küchlein entpuppen
sich unter dem Gelächter der Gäste als Feigendrosseln und Krammetsvögel.
Dann erscheinen brütende Hennen, schlafende Hähne, kämpfende Wachteln;
ein ganzer Hühnerhof entschlüpft einem mit Krauskohl gefüllten Korbe, doch
alles ist Täuschung und Kunst, alles bestens gebraten, geschmort , gespickt.
Da giebt ein Musikchor auf der oberen Galerie in rauschenden Sonanzen
das Zeichen, daß mit dem mittleren Gange auch die Freuden des Bacchus be¬
ginnen sollen. Wohlvergipste Amphoren werden vom Kellermeister vorsichtig
entkorkt und deren alter Inhalt auf das behutsamste in das silberne mit
Schnee gekühlte Colum entleert, dann ordnungsmäßig im Crater mit zwei
Drittheilen Wasser gemischt. "Leinz tibi, auf dein Wohl!" lautet der gegen¬
seitige Zuspruch der Schlemmer, welche die Veilchenkränze mit Laubgewinden
vertauscht haben. Die Stimmung wird immer gehobener. Mit Vergnügen
schauen die Gäste dem Schwertkampf zweier ^näskat^ö, Gladiatoren mit
durchsichtslosem Visir zu, denen bald Haut und Fleisch in Fetzen am Leibe
hängt. Die Zecher spotten ihrer Schmerzensruse und schlürfen Austern und
Falerner, bis der zweite Gang seinen Einzug hält: Hühnerpasteten mit Wild¬
tauben, Zungen von Reihern und Flamingos. Gehirn von Wachteln, See¬
krebse, ein dreißigpfündiger Stöhr aus Rhodus, Spinnen, Schnecken, Schell¬
fische aus Pessinus. Steinbutte, Aale, Flunder, Wildpret und Salat mit
Früchten, Böcklein aus Aricia. Als große Fleischburg ragt das Geflügel aus
dem Gemüsewald. Schaalthiere und Squillen bilden des Thurmes Kitt.
Als Pegasus mit geborgten Flügeln. ist der Hase gestaltet, Reh und Böcklein
ziert des Bacchus Rebenkrone. Cyperwein und Campanerblut, Falerner,
Lesbier, Faustinianer und Opinianum wird dazu getrunken! Da treten neun
Gaditcmerinnen (Tänzerinnen aus Cadix) auf; leicht geschürzt, mit fliegenden
Haaren und unter dem Geklapper der Crusmatae wirbeln sie ihre wilden
Tänze, bis sie zur Seite der vornehmen Gäste auf je einem der Lecti sich
niederlassen -- eine Licenz, wie wir hinzusetzen, die sich wohl selbst Lucullus
kaum erlaubt haben wird und die erst aus der spätern Kaiserzeit beglaubigt
ist. -- Nun folgt der dritte Gang: Wildschwein mit Erbsen, Spansäue, gal¬
lischer Schinken, Kaninchen und Mäuse. Bis zuletzt ist die äußerste Kunst
verschwendet, um die Speisen auch als Augenweide erscheinen zu lassen. Der
Eber z. B. ist so naturwahr dargestellt, daß man meint, eben sei er von dem
Speer, der ihm in der linken Seite steckt, tödtlich getroffen. Aus der Wunde
fließt künstlich mit Wein und Honig nachgemachtes Blut. Die glühenden
Glasaugen und mächtigen Hauer vollenden die Täuschung. Die Unterlage,


Grenzboten I. 1874. "4

baren Feinde zu fliehen. Es sträuben sich ihre Federn, es öffnen sich die
Flügel, um die Jungen unter die schützende Decke zu nehmen. Aber rasch
entkleidet der Zuschneider den Vogel seines geborgten Schmuckes; dem ge¬
öffneten Leibe entfallen Trüffeln und junge Erbsen. Die Küchlein entpuppen
sich unter dem Gelächter der Gäste als Feigendrosseln und Krammetsvögel.
Dann erscheinen brütende Hennen, schlafende Hähne, kämpfende Wachteln;
ein ganzer Hühnerhof entschlüpft einem mit Krauskohl gefüllten Korbe, doch
alles ist Täuschung und Kunst, alles bestens gebraten, geschmort , gespickt.
Da giebt ein Musikchor auf der oberen Galerie in rauschenden Sonanzen
das Zeichen, daß mit dem mittleren Gange auch die Freuden des Bacchus be¬
ginnen sollen. Wohlvergipste Amphoren werden vom Kellermeister vorsichtig
entkorkt und deren alter Inhalt auf das behutsamste in das silberne mit
Schnee gekühlte Colum entleert, dann ordnungsmäßig im Crater mit zwei
Drittheilen Wasser gemischt. „Leinz tibi, auf dein Wohl!" lautet der gegen¬
seitige Zuspruch der Schlemmer, welche die Veilchenkränze mit Laubgewinden
vertauscht haben. Die Stimmung wird immer gehobener. Mit Vergnügen
schauen die Gäste dem Schwertkampf zweier ^näskat^ö, Gladiatoren mit
durchsichtslosem Visir zu, denen bald Haut und Fleisch in Fetzen am Leibe
hängt. Die Zecher spotten ihrer Schmerzensruse und schlürfen Austern und
Falerner, bis der zweite Gang seinen Einzug hält: Hühnerpasteten mit Wild¬
tauben, Zungen von Reihern und Flamingos. Gehirn von Wachteln, See¬
krebse, ein dreißigpfündiger Stöhr aus Rhodus, Spinnen, Schnecken, Schell¬
fische aus Pessinus. Steinbutte, Aale, Flunder, Wildpret und Salat mit
Früchten, Böcklein aus Aricia. Als große Fleischburg ragt das Geflügel aus
dem Gemüsewald. Schaalthiere und Squillen bilden des Thurmes Kitt.
Als Pegasus mit geborgten Flügeln. ist der Hase gestaltet, Reh und Böcklein
ziert des Bacchus Rebenkrone. Cyperwein und Campanerblut, Falerner,
Lesbier, Faustinianer und Opinianum wird dazu getrunken! Da treten neun
Gaditcmerinnen (Tänzerinnen aus Cadix) auf; leicht geschürzt, mit fliegenden
Haaren und unter dem Geklapper der Crusmatae wirbeln sie ihre wilden
Tänze, bis sie zur Seite der vornehmen Gäste auf je einem der Lecti sich
niederlassen — eine Licenz, wie wir hinzusetzen, die sich wohl selbst Lucullus
kaum erlaubt haben wird und die erst aus der spätern Kaiserzeit beglaubigt
ist. — Nun folgt der dritte Gang: Wildschwein mit Erbsen, Spansäue, gal¬
lischer Schinken, Kaninchen und Mäuse. Bis zuletzt ist die äußerste Kunst
verschwendet, um die Speisen auch als Augenweide erscheinen zu lassen. Der
Eber z. B. ist so naturwahr dargestellt, daß man meint, eben sei er von dem
Speer, der ihm in der linken Seite steckt, tödtlich getroffen. Aus der Wunde
fließt künstlich mit Wein und Honig nachgemachtes Blut. Die glühenden
Glasaugen und mächtigen Hauer vollenden die Täuschung. Die Unterlage,


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[0511] baren Feinde zu fliehen. Es sträuben sich ihre Federn, es öffnen sich die Flügel, um die Jungen unter die schützende Decke zu nehmen. Aber rasch entkleidet der Zuschneider den Vogel seines geborgten Schmuckes; dem ge¬ öffneten Leibe entfallen Trüffeln und junge Erbsen. Die Küchlein entpuppen sich unter dem Gelächter der Gäste als Feigendrosseln und Krammetsvögel. Dann erscheinen brütende Hennen, schlafende Hähne, kämpfende Wachteln; ein ganzer Hühnerhof entschlüpft einem mit Krauskohl gefüllten Korbe, doch alles ist Täuschung und Kunst, alles bestens gebraten, geschmort , gespickt. Da giebt ein Musikchor auf der oberen Galerie in rauschenden Sonanzen das Zeichen, daß mit dem mittleren Gange auch die Freuden des Bacchus be¬ ginnen sollen. Wohlvergipste Amphoren werden vom Kellermeister vorsichtig entkorkt und deren alter Inhalt auf das behutsamste in das silberne mit Schnee gekühlte Colum entleert, dann ordnungsmäßig im Crater mit zwei Drittheilen Wasser gemischt. „Leinz tibi, auf dein Wohl!" lautet der gegen¬ seitige Zuspruch der Schlemmer, welche die Veilchenkränze mit Laubgewinden vertauscht haben. Die Stimmung wird immer gehobener. Mit Vergnügen schauen die Gäste dem Schwertkampf zweier ^näskat^ö, Gladiatoren mit durchsichtslosem Visir zu, denen bald Haut und Fleisch in Fetzen am Leibe hängt. Die Zecher spotten ihrer Schmerzensruse und schlürfen Austern und Falerner, bis der zweite Gang seinen Einzug hält: Hühnerpasteten mit Wild¬ tauben, Zungen von Reihern und Flamingos. Gehirn von Wachteln, See¬ krebse, ein dreißigpfündiger Stöhr aus Rhodus, Spinnen, Schnecken, Schell¬ fische aus Pessinus. Steinbutte, Aale, Flunder, Wildpret und Salat mit Früchten, Böcklein aus Aricia. Als große Fleischburg ragt das Geflügel aus dem Gemüsewald. Schaalthiere und Squillen bilden des Thurmes Kitt. Als Pegasus mit geborgten Flügeln. ist der Hase gestaltet, Reh und Böcklein ziert des Bacchus Rebenkrone. Cyperwein und Campanerblut, Falerner, Lesbier, Faustinianer und Opinianum wird dazu getrunken! Da treten neun Gaditcmerinnen (Tänzerinnen aus Cadix) auf; leicht geschürzt, mit fliegenden Haaren und unter dem Geklapper der Crusmatae wirbeln sie ihre wilden Tänze, bis sie zur Seite der vornehmen Gäste auf je einem der Lecti sich niederlassen — eine Licenz, wie wir hinzusetzen, die sich wohl selbst Lucullus kaum erlaubt haben wird und die erst aus der spätern Kaiserzeit beglaubigt ist. — Nun folgt der dritte Gang: Wildschwein mit Erbsen, Spansäue, gal¬ lischer Schinken, Kaninchen und Mäuse. Bis zuletzt ist die äußerste Kunst verschwendet, um die Speisen auch als Augenweide erscheinen zu lassen. Der Eber z. B. ist so naturwahr dargestellt, daß man meint, eben sei er von dem Speer, der ihm in der linken Seite steckt, tödtlich getroffen. Aus der Wunde fließt künstlich mit Wein und Honig nachgemachtes Blut. Die glühenden Glasaugen und mächtigen Hauer vollenden die Täuschung. Die Unterlage, Grenzboten I. 1874. «4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/511>, abgerufen am 26.12.2024.