Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bevor es ihn zur Lippe führt; und weiter der reiche Schiffsherr aus Napoliö,
ein Opfer der Wollust und wüsten Lebens; der wundenbedeckte Krieger, der
aussätzige Bettler, die gelähmte Matrone aus Stabiä. Münzen gleiten aus
zitternden Händen hinab in den Strudel der Quelle, welche Wüstling und
Bettler mit gleicher Hoffnung auf Heilung beseelt. -- Nur ein kurzer Schritt
trennt Elend und Wollust. -- Die Terrasse oben mit ihrer bezaubernden Aus¬
sicht, die Gestatio, beschattet von Myrthen und Cypressen, des Xystus rosen-
bestreutes Plattenpflaster, öffnen sich der Freude, dem Wohlleben. Römerinnen,
Gaditanerinnen, Griechinnen ergehen sich hier in der balsamisch milden See¬
luft, von den Tageslöwen verfolgt. Ballspiel. Ringelspiel und Reigen vereint
die Jugend beider Geschlechter, die von Blume zu Blume schwärmt und an
den Kelchen nippt, die sich täglich in Campaniens schönstem Blumengarten
in voller Pracht entfalten. Abgestreift sind die lästigen Fesseln des Zwanges,
die Ketten der Sitte, abgelegt ist die frostige Steifheit der Hauptstadt. Mit
gleicher Begierde schlürft hier den Honig vergifteter Blüthen Patrizierin und
Tänzerin, Ehefrau und Mänade. Die Frucht, welche in Rom kaum gereift
hat, hier in Bajä platzt sie in heißem Safte, in der goldenen Schale Cupidos.
In Bajä lebt der Mensch, in Rom verzehrt er sich in lähmender Agonie.

Für die Bevorzugtesten der römischen Lebemänner muß indessen Lucull's
Tusculum bei Bauli doch noch größere Anziehungskraft üben als Bajä.
Denn zwei der raffinirtesten Genußmenschen des damaligen Rom, den Consul
Aurelius Cotta und seinen Busenfreund Acilius Glabrio, sehen wir nun von
Bajä scheiden, um in der zierlichen Rheda (Reisekutschc) dem Landsitze Lucull's
zuzustreben. Die edeln Männer haben die Nacht in dem Kloakenviertel
Bajäs durchschwärmt, bei Lagiska, "die einst Lucull unter Gemüsemädchen
entdeckte und zur Welt hinaufzog", und die einst besser wohnte als hier und
auf Senatsbeschlüsse Einfluß übte, nun aber, nach Glabrio's Ansicht, "immer
noch ein schönes Weib ist, trotz ihrer achtzehn Jahre". Die edeln Römer
fühlen sich unsterblich gelangweilt in der herrlichen Gegend und in dem
Drängen und Treiben der breiten Straßen. Denn heiß und staubig ist die
Lust. Sie lehnen das Haupt in die Kissen zurück und schlafen, um den
Körper für neue kommende Arbeit vorzubereiten; noch halb träumend werden
sie am Ziele ihrer Reise abgeliefert. -- Wir übergehen die tagelangem Vor-
bereitungen in der Küche Lucull's, die Schilderung von der Herrichtung seiner
Staatsgemächer für das große Fest und die Anordnung der Tafel. Unsere
Leserinnen, die hierfür vielleicht besonderes Interesse haben, mögen es durch
die Lectüre des Originals befriedigen. Wir unterlassen auch, einen längeren
Blick in die Vivarien zu werfen, wo die Bärenmutter um den Verlust ihrer
Jungen wüthet, die man der köstlichen Tatzen halber geschlachtet hat, wo ge¬
mästete Hasen und Kaninchen, Siebenschläfer und Mäuse in ewiger Unruhe


bevor es ihn zur Lippe führt; und weiter der reiche Schiffsherr aus Napoliö,
ein Opfer der Wollust und wüsten Lebens; der wundenbedeckte Krieger, der
aussätzige Bettler, die gelähmte Matrone aus Stabiä. Münzen gleiten aus
zitternden Händen hinab in den Strudel der Quelle, welche Wüstling und
Bettler mit gleicher Hoffnung auf Heilung beseelt. — Nur ein kurzer Schritt
trennt Elend und Wollust. — Die Terrasse oben mit ihrer bezaubernden Aus¬
sicht, die Gestatio, beschattet von Myrthen und Cypressen, des Xystus rosen-
bestreutes Plattenpflaster, öffnen sich der Freude, dem Wohlleben. Römerinnen,
Gaditanerinnen, Griechinnen ergehen sich hier in der balsamisch milden See¬
luft, von den Tageslöwen verfolgt. Ballspiel. Ringelspiel und Reigen vereint
die Jugend beider Geschlechter, die von Blume zu Blume schwärmt und an
den Kelchen nippt, die sich täglich in Campaniens schönstem Blumengarten
in voller Pracht entfalten. Abgestreift sind die lästigen Fesseln des Zwanges,
die Ketten der Sitte, abgelegt ist die frostige Steifheit der Hauptstadt. Mit
gleicher Begierde schlürft hier den Honig vergifteter Blüthen Patrizierin und
Tänzerin, Ehefrau und Mänade. Die Frucht, welche in Rom kaum gereift
hat, hier in Bajä platzt sie in heißem Safte, in der goldenen Schale Cupidos.
In Bajä lebt der Mensch, in Rom verzehrt er sich in lähmender Agonie.

Für die Bevorzugtesten der römischen Lebemänner muß indessen Lucull's
Tusculum bei Bauli doch noch größere Anziehungskraft üben als Bajä.
Denn zwei der raffinirtesten Genußmenschen des damaligen Rom, den Consul
Aurelius Cotta und seinen Busenfreund Acilius Glabrio, sehen wir nun von
Bajä scheiden, um in der zierlichen Rheda (Reisekutschc) dem Landsitze Lucull's
zuzustreben. Die edeln Männer haben die Nacht in dem Kloakenviertel
Bajäs durchschwärmt, bei Lagiska, „die einst Lucull unter Gemüsemädchen
entdeckte und zur Welt hinaufzog", und die einst besser wohnte als hier und
auf Senatsbeschlüsse Einfluß übte, nun aber, nach Glabrio's Ansicht, „immer
noch ein schönes Weib ist, trotz ihrer achtzehn Jahre". Die edeln Römer
fühlen sich unsterblich gelangweilt in der herrlichen Gegend und in dem
Drängen und Treiben der breiten Straßen. Denn heiß und staubig ist die
Lust. Sie lehnen das Haupt in die Kissen zurück und schlafen, um den
Körper für neue kommende Arbeit vorzubereiten; noch halb träumend werden
sie am Ziele ihrer Reise abgeliefert. — Wir übergehen die tagelangem Vor-
bereitungen in der Küche Lucull's, die Schilderung von der Herrichtung seiner
Staatsgemächer für das große Fest und die Anordnung der Tafel. Unsere
Leserinnen, die hierfür vielleicht besonderes Interesse haben, mögen es durch
die Lectüre des Originals befriedigen. Wir unterlassen auch, einen längeren
Blick in die Vivarien zu werfen, wo die Bärenmutter um den Verlust ihrer
Jungen wüthet, die man der köstlichen Tatzen halber geschlachtet hat, wo ge¬
mästete Hasen und Kaninchen, Siebenschläfer und Mäuse in ewiger Unruhe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131153"/>
          <p xml:id="ID_1440" prev="#ID_1439"> bevor es ihn zur Lippe führt; und weiter der reiche Schiffsherr aus Napoliö,<lb/>
ein Opfer der Wollust und wüsten Lebens; der wundenbedeckte Krieger, der<lb/>
aussätzige Bettler, die gelähmte Matrone aus Stabiä. Münzen gleiten aus<lb/>
zitternden Händen hinab in den Strudel der Quelle, welche Wüstling und<lb/>
Bettler mit gleicher Hoffnung auf Heilung beseelt. &#x2014; Nur ein kurzer Schritt<lb/>
trennt Elend und Wollust. &#x2014; Die Terrasse oben mit ihrer bezaubernden Aus¬<lb/>
sicht, die Gestatio, beschattet von Myrthen und Cypressen, des Xystus rosen-<lb/>
bestreutes Plattenpflaster, öffnen sich der Freude, dem Wohlleben. Römerinnen,<lb/>
Gaditanerinnen, Griechinnen ergehen sich hier in der balsamisch milden See¬<lb/>
luft, von den Tageslöwen verfolgt. Ballspiel. Ringelspiel und Reigen vereint<lb/>
die Jugend beider Geschlechter, die von Blume zu Blume schwärmt und an<lb/>
den Kelchen nippt, die sich täglich in Campaniens schönstem Blumengarten<lb/>
in voller Pracht entfalten. Abgestreift sind die lästigen Fesseln des Zwanges,<lb/>
die Ketten der Sitte, abgelegt ist die frostige Steifheit der Hauptstadt. Mit<lb/>
gleicher Begierde schlürft hier den Honig vergifteter Blüthen Patrizierin und<lb/>
Tänzerin, Ehefrau und Mänade. Die Frucht, welche in Rom kaum gereift<lb/>
hat, hier in Bajä platzt sie in heißem Safte, in der goldenen Schale Cupidos.<lb/>
In Bajä lebt der Mensch, in Rom verzehrt er sich in lähmender Agonie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1441" next="#ID_1442"> Für die Bevorzugtesten der römischen Lebemänner muß indessen Lucull's<lb/>
Tusculum bei Bauli doch noch größere Anziehungskraft üben als Bajä.<lb/>
Denn zwei der raffinirtesten Genußmenschen des damaligen Rom, den Consul<lb/>
Aurelius Cotta und seinen Busenfreund Acilius Glabrio, sehen wir nun von<lb/>
Bajä scheiden, um in der zierlichen Rheda (Reisekutschc) dem Landsitze Lucull's<lb/>
zuzustreben. Die edeln Männer haben die Nacht in dem Kloakenviertel<lb/>
Bajäs durchschwärmt, bei Lagiska, &#x201E;die einst Lucull unter Gemüsemädchen<lb/>
entdeckte und zur Welt hinaufzog", und die einst besser wohnte als hier und<lb/>
auf Senatsbeschlüsse Einfluß übte, nun aber, nach Glabrio's Ansicht, &#x201E;immer<lb/>
noch ein schönes Weib ist, trotz ihrer achtzehn Jahre". Die edeln Römer<lb/>
fühlen sich unsterblich gelangweilt in der herrlichen Gegend und in dem<lb/>
Drängen und Treiben der breiten Straßen. Denn heiß und staubig ist die<lb/>
Lust. Sie lehnen das Haupt in die Kissen zurück und schlafen, um den<lb/>
Körper für neue kommende Arbeit vorzubereiten; noch halb träumend werden<lb/>
sie am Ziele ihrer Reise abgeliefert. &#x2014; Wir übergehen die tagelangem Vor-<lb/>
bereitungen in der Küche Lucull's, die Schilderung von der Herrichtung seiner<lb/>
Staatsgemächer für das große Fest und die Anordnung der Tafel. Unsere<lb/>
Leserinnen, die hierfür vielleicht besonderes Interesse haben, mögen es durch<lb/>
die Lectüre des Originals befriedigen. Wir unterlassen auch, einen längeren<lb/>
Blick in die Vivarien zu werfen, wo die Bärenmutter um den Verlust ihrer<lb/>
Jungen wüthet, die man der köstlichen Tatzen halber geschlachtet hat, wo ge¬<lb/>
mästete Hasen und Kaninchen, Siebenschläfer und Mäuse in ewiger Unruhe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] bevor es ihn zur Lippe führt; und weiter der reiche Schiffsherr aus Napoliö, ein Opfer der Wollust und wüsten Lebens; der wundenbedeckte Krieger, der aussätzige Bettler, die gelähmte Matrone aus Stabiä. Münzen gleiten aus zitternden Händen hinab in den Strudel der Quelle, welche Wüstling und Bettler mit gleicher Hoffnung auf Heilung beseelt. — Nur ein kurzer Schritt trennt Elend und Wollust. — Die Terrasse oben mit ihrer bezaubernden Aus¬ sicht, die Gestatio, beschattet von Myrthen und Cypressen, des Xystus rosen- bestreutes Plattenpflaster, öffnen sich der Freude, dem Wohlleben. Römerinnen, Gaditanerinnen, Griechinnen ergehen sich hier in der balsamisch milden See¬ luft, von den Tageslöwen verfolgt. Ballspiel. Ringelspiel und Reigen vereint die Jugend beider Geschlechter, die von Blume zu Blume schwärmt und an den Kelchen nippt, die sich täglich in Campaniens schönstem Blumengarten in voller Pracht entfalten. Abgestreift sind die lästigen Fesseln des Zwanges, die Ketten der Sitte, abgelegt ist die frostige Steifheit der Hauptstadt. Mit gleicher Begierde schlürft hier den Honig vergifteter Blüthen Patrizierin und Tänzerin, Ehefrau und Mänade. Die Frucht, welche in Rom kaum gereift hat, hier in Bajä platzt sie in heißem Safte, in der goldenen Schale Cupidos. In Bajä lebt der Mensch, in Rom verzehrt er sich in lähmender Agonie. Für die Bevorzugtesten der römischen Lebemänner muß indessen Lucull's Tusculum bei Bauli doch noch größere Anziehungskraft üben als Bajä. Denn zwei der raffinirtesten Genußmenschen des damaligen Rom, den Consul Aurelius Cotta und seinen Busenfreund Acilius Glabrio, sehen wir nun von Bajä scheiden, um in der zierlichen Rheda (Reisekutschc) dem Landsitze Lucull's zuzustreben. Die edeln Männer haben die Nacht in dem Kloakenviertel Bajäs durchschwärmt, bei Lagiska, „die einst Lucull unter Gemüsemädchen entdeckte und zur Welt hinaufzog", und die einst besser wohnte als hier und auf Senatsbeschlüsse Einfluß übte, nun aber, nach Glabrio's Ansicht, „immer noch ein schönes Weib ist, trotz ihrer achtzehn Jahre". Die edeln Römer fühlen sich unsterblich gelangweilt in der herrlichen Gegend und in dem Drängen und Treiben der breiten Straßen. Denn heiß und staubig ist die Lust. Sie lehnen das Haupt in die Kissen zurück und schlafen, um den Körper für neue kommende Arbeit vorzubereiten; noch halb träumend werden sie am Ziele ihrer Reise abgeliefert. — Wir übergehen die tagelangem Vor- bereitungen in der Küche Lucull's, die Schilderung von der Herrichtung seiner Staatsgemächer für das große Fest und die Anordnung der Tafel. Unsere Leserinnen, die hierfür vielleicht besonderes Interesse haben, mögen es durch die Lectüre des Originals befriedigen. Wir unterlassen auch, einen längeren Blick in die Vivarien zu werfen, wo die Bärenmutter um den Verlust ihrer Jungen wüthet, die man der köstlichen Tatzen halber geschlachtet hat, wo ge¬ mästete Hasen und Kaninchen, Siebenschläfer und Mäuse in ewiger Unruhe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/509>, abgerufen am 26.12.2024.