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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ob man eine Massenagitation ins Werk setzen wolle. Wie die Dinge lagen,
war es indessen klar, daß die Führer durch diese Politik der Enthaltung wohl
die eigenen Personen sicherten, aber die Republik den "Verschwörern" in die
Hände lieferten. Die Einzigen, die den Muth zum Widerstande hatten, waren
die Bonapartisten, denen es aber damals gerade durchaus an einer Handhabe
zum kräftigen Handeln gebrach und die sich darauf beschränken mußten, durch
den Finanzminister Magne die Regierung von einer officiellen Betheiligung
an der Restaurationsbewegung zurückzuhalten. Es ist mir übrigens sehr
wahrscheinlich, daß Herr Magne im Stillen ununterbrochen eifrig und mit
Erfolg gegen die Restauration gewirkt hat. Als Finanzminister war er seinen
College" unentbehrlich, und daß er auf Mac Mahon einen bedeutenden Ein¬
fluß ausgeübt hat und auch wohl jetzt noch ausübt, unterliegt kaum einem
Zweifel.

Indessen wie groß auch Magne's Einfluß auf den Präsidenten und im
Ministerrathe sein mochte, ein ernstes Hinderniß konnte er so wenig, wie die
republikanische Partei der Herstellung des Königthums, wenn sie ernstlich und
entschlossen in Angriff genommen wurde, entgegensetzen. Ganz allgemein ver¬
breitet war daher die Erwartung, daß in der Sitzung der Permanenzcommission
vom 23. October der Antrag auf sofortige Einberufung der Nationalversamm¬
lung werde gestellt und angenommen werden. Aber dieser Antrag wurde
nicht gestellt. Am Abend des 23. October athmeten die Republicaner erleich-
terten Herzens auf; die Ahnung ging durch das Land, daß die Fusions¬
bewegung ihren Höhepunkt überschritten habe, daß die Wiederherstellung der
Monarchie gescheitert sei.

Was war die Ursache des Schwankens und Zauderns bei einer Partei,
der man alles Andere eher als Kühnheit und Entschlossenheit absprechen konnte,
die fast unüberwindlich scheinende Hindernisse durch Ausdauer und Beharrlich¬
keit dennoch überwunden, die den Schwankenden Vertrauen, ihren Gegnern
Furcht eingeflößt und sie mit der Ueberzeugung von der Vergeblichkeit des
Widerstandes erfüllt hatte, und die jetzt Angesichts des Zieles, von dem sie,
wie es schien, der Zeitraum weniger Tage trennte, plötzlich Halt machte?
Was man darüber erfuhr, genügte keineswegs, um die unerwartete Zurück¬
haltung der Mehrheit zu erklären. Das Ministerium hatte gewünscht, daß
man die Wiedereinberufung der Versammlung nicht beschleunigen möge, an¬
geblich weil der Finanzminister Magne erklärt haben sollte, er könne vor
dem 3. November nicht mit den Vorarbeiten für seine Finanzvorlagen fertig
werden. Dies Bedenken erschien aber im Vergleich zu dem Zwecke, den man
bei der beabsichtigten ungesäumten Einberufung im Auge hatte, so unerheb¬
lich, daß Niemand darin den wahren Grund des Rückzuges -- denn den
Rückzug hatte man, wenn auch vielleicht in der Absicht, nochmals alle Kräfte


ob man eine Massenagitation ins Werk setzen wolle. Wie die Dinge lagen,
war es indessen klar, daß die Führer durch diese Politik der Enthaltung wohl
die eigenen Personen sicherten, aber die Republik den „Verschwörern" in die
Hände lieferten. Die Einzigen, die den Muth zum Widerstande hatten, waren
die Bonapartisten, denen es aber damals gerade durchaus an einer Handhabe
zum kräftigen Handeln gebrach und die sich darauf beschränken mußten, durch
den Finanzminister Magne die Regierung von einer officiellen Betheiligung
an der Restaurationsbewegung zurückzuhalten. Es ist mir übrigens sehr
wahrscheinlich, daß Herr Magne im Stillen ununterbrochen eifrig und mit
Erfolg gegen die Restauration gewirkt hat. Als Finanzminister war er seinen
College» unentbehrlich, und daß er auf Mac Mahon einen bedeutenden Ein¬
fluß ausgeübt hat und auch wohl jetzt noch ausübt, unterliegt kaum einem
Zweifel.

Indessen wie groß auch Magne's Einfluß auf den Präsidenten und im
Ministerrathe sein mochte, ein ernstes Hinderniß konnte er so wenig, wie die
republikanische Partei der Herstellung des Königthums, wenn sie ernstlich und
entschlossen in Angriff genommen wurde, entgegensetzen. Ganz allgemein ver¬
breitet war daher die Erwartung, daß in der Sitzung der Permanenzcommission
vom 23. October der Antrag auf sofortige Einberufung der Nationalversamm¬
lung werde gestellt und angenommen werden. Aber dieser Antrag wurde
nicht gestellt. Am Abend des 23. October athmeten die Republicaner erleich-
terten Herzens auf; die Ahnung ging durch das Land, daß die Fusions¬
bewegung ihren Höhepunkt überschritten habe, daß die Wiederherstellung der
Monarchie gescheitert sei.

Was war die Ursache des Schwankens und Zauderns bei einer Partei,
der man alles Andere eher als Kühnheit und Entschlossenheit absprechen konnte,
die fast unüberwindlich scheinende Hindernisse durch Ausdauer und Beharrlich¬
keit dennoch überwunden, die den Schwankenden Vertrauen, ihren Gegnern
Furcht eingeflößt und sie mit der Ueberzeugung von der Vergeblichkeit des
Widerstandes erfüllt hatte, und die jetzt Angesichts des Zieles, von dem sie,
wie es schien, der Zeitraum weniger Tage trennte, plötzlich Halt machte?
Was man darüber erfuhr, genügte keineswegs, um die unerwartete Zurück¬
haltung der Mehrheit zu erklären. Das Ministerium hatte gewünscht, daß
man die Wiedereinberufung der Versammlung nicht beschleunigen möge, an¬
geblich weil der Finanzminister Magne erklärt haben sollte, er könne vor
dem 3. November nicht mit den Vorarbeiten für seine Finanzvorlagen fertig
werden. Dies Bedenken erschien aber im Vergleich zu dem Zwecke, den man
bei der beabsichtigten ungesäumten Einberufung im Auge hatte, so unerheb¬
lich, daß Niemand darin den wahren Grund des Rückzuges — denn den
Rückzug hatte man, wenn auch vielleicht in der Absicht, nochmals alle Kräfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/494>, abgerufen am 25.08.2024.