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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wir begreifen auch vollkommen, daß eine Verwaltung, welche erst des heiligen
römischen Reiches Postschnecke absorbiren, dann einen riesenhaften Feldpost¬
verkehr bewältigen und endlich ganze Länder annectiren mußte, überall aber
viel Reformbedürftiges vorfand, sich leicht an ein scharfes Durchgreifen ge¬
wöhnt; dennoch scheint uns aber, als ob man etwas zu viel reformire,
reglementtre und experimentire. In letzterer Beziehung erinnern wir beispiels-
weise an den Widerspruch, daß man noch vor kurzem von Seiten der Post
darauf hinarbeitete, die Packetadressen nur noch faeultativ fortbestehen zu lassen,
jetzt aber zwangsweise sehr complicirte einführte, und zum 1. April schon
wieder eine neue Art einführen will, an Stelle der früher zugelassenen ge¬
schlossenen Begleitbriefe, die für jeden Geschäftsmann den großen Vortheil
hatten, die Packete vorher packen und die Facturen im Adreßbriefe gehen lassen
zu können. Auch die dem correspondirenden Publikum ertheilten Rathschläge
tragen nicht immer den Stempel der Unfehlbarkeit; es sind uns z. B. sehr
frappante Fälle bekannt, daß durch die empfohlene Stellung der Straßen¬
bezeichnung unter den Ortsnamen (also an den nämlichen Platze, wo auch
die nähere geographische Bezeichnung des Ortes stehen muß) statt nach dem
praktischen englischen und französischen Gebrauch unter den Namen des
Adressaten schwere Irrthümer entstanden sind.

Es ist ein alter anerkannter Satz, daß die Entwickelung menschlicher
Dinge sich oft sprungweise vollzieht, zuweilen auch nach Art der Echternacher
Sprungprocession, welche bekanntlich trotz eines Rückschrittes auf zwei Vor¬
schritte doch ans Ziel kommt; vielleicht machen wir auch in der Postpacket-
frage einen kleinen Rückschritt und kommen damit an das rechte Ziel. "Der
Starke kann ja auch einmal ruhig zurückweichen."

Es wäre sehr zu wünschen, daß die oberste Leitung des Reichspostwesens,
welche offenbar von dem besten Willen für das Allgemeine beseelt ist und
bisher auch dem Buchhandel nützliche Erleichterungen zu bieten bestrebt war,
ohne selbst in dessen Wirksamkeit einzugreifen, vor Einführung wichtigerer
Neuerungen Experten -- wir sagen nicht Interessenten -- in ausgedehnterem
Maße als bisher zuziehen wollte. Hierdurch dürften die Klagen ox post
gegen die Post, welche leicht zu theilweiser Verkennung der großen Verdienste
K. derselben führen können, zu vermeiden sein.")





'" Wir hielten uns verpflichtet, über diesen wichtigen Gegenstand auch einer von unserm
Berichterstatter abweichenden Ansicht das Wort zu geben. -- Die Redaction der Grenzboten.

wir begreifen auch vollkommen, daß eine Verwaltung, welche erst des heiligen
römischen Reiches Postschnecke absorbiren, dann einen riesenhaften Feldpost¬
verkehr bewältigen und endlich ganze Länder annectiren mußte, überall aber
viel Reformbedürftiges vorfand, sich leicht an ein scharfes Durchgreifen ge¬
wöhnt; dennoch scheint uns aber, als ob man etwas zu viel reformire,
reglementtre und experimentire. In letzterer Beziehung erinnern wir beispiels-
weise an den Widerspruch, daß man noch vor kurzem von Seiten der Post
darauf hinarbeitete, die Packetadressen nur noch faeultativ fortbestehen zu lassen,
jetzt aber zwangsweise sehr complicirte einführte, und zum 1. April schon
wieder eine neue Art einführen will, an Stelle der früher zugelassenen ge¬
schlossenen Begleitbriefe, die für jeden Geschäftsmann den großen Vortheil
hatten, die Packete vorher packen und die Facturen im Adreßbriefe gehen lassen
zu können. Auch die dem correspondirenden Publikum ertheilten Rathschläge
tragen nicht immer den Stempel der Unfehlbarkeit; es sind uns z. B. sehr
frappante Fälle bekannt, daß durch die empfohlene Stellung der Straßen¬
bezeichnung unter den Ortsnamen (also an den nämlichen Platze, wo auch
die nähere geographische Bezeichnung des Ortes stehen muß) statt nach dem
praktischen englischen und französischen Gebrauch unter den Namen des
Adressaten schwere Irrthümer entstanden sind.

Es ist ein alter anerkannter Satz, daß die Entwickelung menschlicher
Dinge sich oft sprungweise vollzieht, zuweilen auch nach Art der Echternacher
Sprungprocession, welche bekanntlich trotz eines Rückschrittes auf zwei Vor¬
schritte doch ans Ziel kommt; vielleicht machen wir auch in der Postpacket-
frage einen kleinen Rückschritt und kommen damit an das rechte Ziel. „Der
Starke kann ja auch einmal ruhig zurückweichen."

Es wäre sehr zu wünschen, daß die oberste Leitung des Reichspostwesens,
welche offenbar von dem besten Willen für das Allgemeine beseelt ist und
bisher auch dem Buchhandel nützliche Erleichterungen zu bieten bestrebt war,
ohne selbst in dessen Wirksamkeit einzugreifen, vor Einführung wichtigerer
Neuerungen Experten — wir sagen nicht Interessenten — in ausgedehnterem
Maße als bisher zuziehen wollte. Hierdurch dürften die Klagen ox post
gegen die Post, welche leicht zu theilweiser Verkennung der großen Verdienste
K. derselben führen können, zu vermeiden sein.")





'» Wir hielten uns verpflichtet, über diesen wichtigen Gegenstand auch einer von unserm
Berichterstatter abweichenden Ansicht das Wort zu geben. — Die Redaction der Grenzboten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/480>, abgerufen am 25.12.2024.