Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.festen Bestellungen wegnimmt, und ihm dadurch die Wurzeln seiner Existenz Uebrigens finden wir diese in Aussicht gestellte neue Vermehrung der Grenzboten l. >i>74. 60
festen Bestellungen wegnimmt, und ihm dadurch die Wurzeln seiner Existenz Uebrigens finden wir diese in Aussicht gestellte neue Vermehrung der Grenzboten l. >i>74. 60
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131123"/> <p xml:id="ID_1346" prev="#ID_1345"> festen Bestellungen wegnimmt, und ihm dadurch die Wurzeln seiner Existenz<lb/> untergräbt. Daß durch eine Schädigung des Provinzialbuchhandels, welcher<lb/> bei uns eine weit bedeutendere Stellung einnimmt als in England und<lb/> Frankreich, die Literatur und Kultur nicht gefördert, sondern benachtheiligt<lb/> würde, liegt wohl auf der Hand. Ohne den Postbeamten zu nahe treten zu<lb/> wollen, können wir doch nicht annehmen, daß dieselben bei ihrer auf ganz<lb/> andere Zwecke gerichteten Bildung und Thätigkeit auch die civilisatorische<lb/> Mission des Buchhändlers mit seiner speciellen Fachbildung erfüllen könnten,<lb/> zumal dieselben diesen neuen Arbeitszuwachs schwerlich mit Freuden begrüßen<lb/> würden. Fühlt die PostVerwaltung durchaus den Beruf, die Kultur in die<lb/> wohl sehr schwer zu findenden wenigen Kleinstädte zu tragen, in welchen noch<lb/> kein Buchhändler sich niederzulassen gewagt hat, oder deren literarische Be¬<lb/> dürfnisse nicht aus nächster Nachbarschaft hinreichend befriedigt werden, so<lb/> kehre sie doch lieber den Spieß um: sie möge den Versuch machen, etablisse¬<lb/> mentslustige junge Buchhändler zu Postexpeditoren zu ernennen und die¬<lb/> selben den Buchhandel nebenbei auf eigene Rechnung betreiben zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1347" next="#ID_1348"> Uebrigens finden wir diese in Aussicht gestellte neue Vermehrung der<lb/> Staatsindustrie volkswirthschafrlich ebenso unrichtig, wie die Einführung einer<lb/> einheitliche Packettare über die Entfernung von 10 Meilen hinaus an Stelle eines<lb/> möglichst billigen und leicht begreiflichen Zonentarifs, ja wir halten die neue<lb/> Packettaxe mindestens für eine sehr weit ausgedehnte Benutzung der Privilegien,<lb/> welche die Eisenbahnen zur Zeit ihrer Concessionirung unter ganz anderen<lb/> Verhältnissen der PostVerwaltung haben einräumen müssen, und finden es un¬<lb/> begreiflich, daß die Eisenbahnverwaltungen nicht gegen die hierdurch so be¬<lb/> deutend gesteigerten Anforderungen der PostVerwaltung und die hieraus er¬<lb/> wachsende Verminderung des Eilgutverkehrs protestirt haben. Mit dem ein¬<lb/> heitlichen Briefporto ist es wegen des geringen Umfanges und Gewichtes der<lb/> Briefe eine ganz andere Sache, als mit einem vermehrten Päckereiverkehr,<lb/> denn letzterer erfordert ebenso gut wie ein vermehrter Personenverkehr eine<lb/> Vermehrung der Transportmittel und die Kosten der letzteren steigen natürlich<lb/> mit der größeren Entfernung, welche eben im Porto ihren entsprechenden Er¬<lb/> satz zu finden haben. Wenn die Entfernungen nicht mehr berücksichtigt werden<lb/> sollen, so müßte auch eonsequenterweise den Eisenbahnen ein einheitliches<lb/> Personenfahrgeld auferlegt werden, gleichviel ob Jemand von Stolp<lb/> nach Danzig oder von Memel nach Sachsen oder gar nach Lothringen reisen<lb/> will. Statt dessen ist jetzt gerade vielfach von Erhöhung der Personenfahr¬<lb/> gelder die Rede! — Wir sind weit entfernt, der hohen Intelligenz, der uner¬<lb/> müdlichen Regsamkeit und der Geneigtheit zu Reformen, welche die Reichs¬<lb/> postverwaltung unter den Auspicien des jetzigen genialen und verdienstvollen<lb/> Generalpostdirecto'.'L entfaltet, unsere aufrichtige Anerkennung zu versagen;</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten l. >i>74. 60</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
festen Bestellungen wegnimmt, und ihm dadurch die Wurzeln seiner Existenz
untergräbt. Daß durch eine Schädigung des Provinzialbuchhandels, welcher
bei uns eine weit bedeutendere Stellung einnimmt als in England und
Frankreich, die Literatur und Kultur nicht gefördert, sondern benachtheiligt
würde, liegt wohl auf der Hand. Ohne den Postbeamten zu nahe treten zu
wollen, können wir doch nicht annehmen, daß dieselben bei ihrer auf ganz
andere Zwecke gerichteten Bildung und Thätigkeit auch die civilisatorische
Mission des Buchhändlers mit seiner speciellen Fachbildung erfüllen könnten,
zumal dieselben diesen neuen Arbeitszuwachs schwerlich mit Freuden begrüßen
würden. Fühlt die PostVerwaltung durchaus den Beruf, die Kultur in die
wohl sehr schwer zu findenden wenigen Kleinstädte zu tragen, in welchen noch
kein Buchhändler sich niederzulassen gewagt hat, oder deren literarische Be¬
dürfnisse nicht aus nächster Nachbarschaft hinreichend befriedigt werden, so
kehre sie doch lieber den Spieß um: sie möge den Versuch machen, etablisse¬
mentslustige junge Buchhändler zu Postexpeditoren zu ernennen und die¬
selben den Buchhandel nebenbei auf eigene Rechnung betreiben zu lassen.
Uebrigens finden wir diese in Aussicht gestellte neue Vermehrung der
Staatsindustrie volkswirthschafrlich ebenso unrichtig, wie die Einführung einer
einheitliche Packettare über die Entfernung von 10 Meilen hinaus an Stelle eines
möglichst billigen und leicht begreiflichen Zonentarifs, ja wir halten die neue
Packettaxe mindestens für eine sehr weit ausgedehnte Benutzung der Privilegien,
welche die Eisenbahnen zur Zeit ihrer Concessionirung unter ganz anderen
Verhältnissen der PostVerwaltung haben einräumen müssen, und finden es un¬
begreiflich, daß die Eisenbahnverwaltungen nicht gegen die hierdurch so be¬
deutend gesteigerten Anforderungen der PostVerwaltung und die hieraus er¬
wachsende Verminderung des Eilgutverkehrs protestirt haben. Mit dem ein¬
heitlichen Briefporto ist es wegen des geringen Umfanges und Gewichtes der
Briefe eine ganz andere Sache, als mit einem vermehrten Päckereiverkehr,
denn letzterer erfordert ebenso gut wie ein vermehrter Personenverkehr eine
Vermehrung der Transportmittel und die Kosten der letzteren steigen natürlich
mit der größeren Entfernung, welche eben im Porto ihren entsprechenden Er¬
satz zu finden haben. Wenn die Entfernungen nicht mehr berücksichtigt werden
sollen, so müßte auch eonsequenterweise den Eisenbahnen ein einheitliches
Personenfahrgeld auferlegt werden, gleichviel ob Jemand von Stolp
nach Danzig oder von Memel nach Sachsen oder gar nach Lothringen reisen
will. Statt dessen ist jetzt gerade vielfach von Erhöhung der Personenfahr¬
gelder die Rede! — Wir sind weit entfernt, der hohen Intelligenz, der uner¬
müdlichen Regsamkeit und der Geneigtheit zu Reformen, welche die Reichs¬
postverwaltung unter den Auspicien des jetzigen genialen und verdienstvollen
Generalpostdirecto'.'L entfaltet, unsere aufrichtige Anerkennung zu versagen;
Grenzboten l. >i>74. 60
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