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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Compromißcandidaten zweier diametral von einander verschiedener Parteien
von vornherein anhaftete, sie bei ihren eigensten Anhängern unmöglich machen.
Leider ist aber keine Hoffnung vorhanden, daß auch die ultramontanen Depu-
tirten sich so rasch "abWirthschaften" werden. Die Grundlage ihrer Existenz,
die Verbindung des allgemeinen Wahlrechts mit der Urteilslosigkeit der
Menge, wird ihnen eben noch auf lange Dauer nicht zu entziehen sein.

Inzwischen hat sich bereits praktisch gezeigt, wie schwer der Ausfall der
Reichstagswahlen dem Reichslande geschadet hat. Die Regierung giebt durch
ihre Handlungen den Beweis, daß sie gegen eine so demonstrative Kriegser¬
klärung nicht unverständlich ist. Wenn die Elsaß-Lothringer über die plötzlich
bemerkbare straffere Anziehung der Zügel einigermaßen erstaunt sind, so ist
diese Naivetät freilich erklärlich. Sie sind ja so lange gewohnt gewesen, trotz
aller Widerhaarigkeit von Deutschland gestreichelt und gehätschelt zu werden.
Auch Fürst Bismarck that in dieser Richtung anfänglich des Guten etwas zu
viel und er war dafür im Reichslande so ganz im Stillen ein recht populärer
Mann geworden. Daß nun er grade er am 3. März die "Herren aus dem
Elsaß" so kaltblütig, mit so grausamer Ironie in den Sand streckte, das hat
unsere Bevölkerung höchlich überrascht und geschmerzt. Zugleich wurde über-
die in Elsaß-Lothringen eingehenden französischen Journale die Censur ver¬
hängt und aus den Schaufenstern der Kaufläden alle auf die Lostrennung
Elsaß-Lothringens von Frankreich anspielenden Bilder u. dergl. entfernt. Die
letztere Maßregel hat noch mehr choquirt, als die erstere. Seit Jahren hatte
jenes wehmüthig blickende elsässische Mädchen mit der französischen Cocarde im
Haar und der Unterschrift "^alternis" in den Bilderläden unbeanstandet aus¬
hängen und von den Vorübergehenden betrachtet werden dürfen. Schwerlich
wird die Regierung gegenwärtig gegen derartige Schaustellungen eingeschritten
sein, weil sie in denselben plötzlich eine besondere Gefahr erkannt hätte. Sie
wird vielmehr das Publikum nur bei Zeiten haben erinnern wollen, daß sie
entschlossen ist, nichts zu dulden, was als eine Verhöhnung ihrer Autorität
aufgefaßt werden könnte. Freilich hört man auch die Vermuthung aussprechen,
daß ihr Angesichts der in den Wahlen doeumentirten Feindseligkeit die Ge¬
duld gerissen sei. Nun, auch wir halten, gleich Herrn Avb6 Gerber, die
deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen nicht für unfehlbar, aber wir können
nicht annehmen, daß sie sich jemals von einer Politik der Übeln Laune leiten
lassen werde. Nach wie vor sind wir der Ueberzeugung, daß mit dem Regime
der "festen Milde", wie es bisher unter den Auspicien des Herrn v. Möller
gehandhabt worden, das Richtige getroffen war, und wir denken, daß die
Regierung nicht ohne die dringendste Nothwendigkeit von diesem Wege ab¬
weichen wird.

Die Frage der Berechtigung des oben erwähnten K 10 des Verwaltungs-


Compromißcandidaten zweier diametral von einander verschiedener Parteien
von vornherein anhaftete, sie bei ihren eigensten Anhängern unmöglich machen.
Leider ist aber keine Hoffnung vorhanden, daß auch die ultramontanen Depu-
tirten sich so rasch „abWirthschaften" werden. Die Grundlage ihrer Existenz,
die Verbindung des allgemeinen Wahlrechts mit der Urteilslosigkeit der
Menge, wird ihnen eben noch auf lange Dauer nicht zu entziehen sein.

Inzwischen hat sich bereits praktisch gezeigt, wie schwer der Ausfall der
Reichstagswahlen dem Reichslande geschadet hat. Die Regierung giebt durch
ihre Handlungen den Beweis, daß sie gegen eine so demonstrative Kriegser¬
klärung nicht unverständlich ist. Wenn die Elsaß-Lothringer über die plötzlich
bemerkbare straffere Anziehung der Zügel einigermaßen erstaunt sind, so ist
diese Naivetät freilich erklärlich. Sie sind ja so lange gewohnt gewesen, trotz
aller Widerhaarigkeit von Deutschland gestreichelt und gehätschelt zu werden.
Auch Fürst Bismarck that in dieser Richtung anfänglich des Guten etwas zu
viel und er war dafür im Reichslande so ganz im Stillen ein recht populärer
Mann geworden. Daß nun er grade er am 3. März die „Herren aus dem
Elsaß" so kaltblütig, mit so grausamer Ironie in den Sand streckte, das hat
unsere Bevölkerung höchlich überrascht und geschmerzt. Zugleich wurde über-
die in Elsaß-Lothringen eingehenden französischen Journale die Censur ver¬
hängt und aus den Schaufenstern der Kaufläden alle auf die Lostrennung
Elsaß-Lothringens von Frankreich anspielenden Bilder u. dergl. entfernt. Die
letztere Maßregel hat noch mehr choquirt, als die erstere. Seit Jahren hatte
jenes wehmüthig blickende elsässische Mädchen mit der französischen Cocarde im
Haar und der Unterschrift „^alternis" in den Bilderläden unbeanstandet aus¬
hängen und von den Vorübergehenden betrachtet werden dürfen. Schwerlich
wird die Regierung gegenwärtig gegen derartige Schaustellungen eingeschritten
sein, weil sie in denselben plötzlich eine besondere Gefahr erkannt hätte. Sie
wird vielmehr das Publikum nur bei Zeiten haben erinnern wollen, daß sie
entschlossen ist, nichts zu dulden, was als eine Verhöhnung ihrer Autorität
aufgefaßt werden könnte. Freilich hört man auch die Vermuthung aussprechen,
daß ihr Angesichts der in den Wahlen doeumentirten Feindseligkeit die Ge¬
duld gerissen sei. Nun, auch wir halten, gleich Herrn Avb6 Gerber, die
deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen nicht für unfehlbar, aber wir können
nicht annehmen, daß sie sich jemals von einer Politik der Übeln Laune leiten
lassen werde. Nach wie vor sind wir der Ueberzeugung, daß mit dem Regime
der „festen Milde", wie es bisher unter den Auspicien des Herrn v. Möller
gehandhabt worden, das Richtige getroffen war, und wir denken, daß die
Regierung nicht ohne die dringendste Nothwendigkeit von diesem Wege ab¬
weichen wird.

Die Frage der Berechtigung des oben erwähnten K 10 des Verwaltungs-


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[0476] Compromißcandidaten zweier diametral von einander verschiedener Parteien von vornherein anhaftete, sie bei ihren eigensten Anhängern unmöglich machen. Leider ist aber keine Hoffnung vorhanden, daß auch die ultramontanen Depu- tirten sich so rasch „abWirthschaften" werden. Die Grundlage ihrer Existenz, die Verbindung des allgemeinen Wahlrechts mit der Urteilslosigkeit der Menge, wird ihnen eben noch auf lange Dauer nicht zu entziehen sein. Inzwischen hat sich bereits praktisch gezeigt, wie schwer der Ausfall der Reichstagswahlen dem Reichslande geschadet hat. Die Regierung giebt durch ihre Handlungen den Beweis, daß sie gegen eine so demonstrative Kriegser¬ klärung nicht unverständlich ist. Wenn die Elsaß-Lothringer über die plötzlich bemerkbare straffere Anziehung der Zügel einigermaßen erstaunt sind, so ist diese Naivetät freilich erklärlich. Sie sind ja so lange gewohnt gewesen, trotz aller Widerhaarigkeit von Deutschland gestreichelt und gehätschelt zu werden. Auch Fürst Bismarck that in dieser Richtung anfänglich des Guten etwas zu viel und er war dafür im Reichslande so ganz im Stillen ein recht populärer Mann geworden. Daß nun er grade er am 3. März die „Herren aus dem Elsaß" so kaltblütig, mit so grausamer Ironie in den Sand streckte, das hat unsere Bevölkerung höchlich überrascht und geschmerzt. Zugleich wurde über- die in Elsaß-Lothringen eingehenden französischen Journale die Censur ver¬ hängt und aus den Schaufenstern der Kaufläden alle auf die Lostrennung Elsaß-Lothringens von Frankreich anspielenden Bilder u. dergl. entfernt. Die letztere Maßregel hat noch mehr choquirt, als die erstere. Seit Jahren hatte jenes wehmüthig blickende elsässische Mädchen mit der französischen Cocarde im Haar und der Unterschrift „^alternis" in den Bilderläden unbeanstandet aus¬ hängen und von den Vorübergehenden betrachtet werden dürfen. Schwerlich wird die Regierung gegenwärtig gegen derartige Schaustellungen eingeschritten sein, weil sie in denselben plötzlich eine besondere Gefahr erkannt hätte. Sie wird vielmehr das Publikum nur bei Zeiten haben erinnern wollen, daß sie entschlossen ist, nichts zu dulden, was als eine Verhöhnung ihrer Autorität aufgefaßt werden könnte. Freilich hört man auch die Vermuthung aussprechen, daß ihr Angesichts der in den Wahlen doeumentirten Feindseligkeit die Ge¬ duld gerissen sei. Nun, auch wir halten, gleich Herrn Avb6 Gerber, die deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen nicht für unfehlbar, aber wir können nicht annehmen, daß sie sich jemals von einer Politik der Übeln Laune leiten lassen werde. Nach wie vor sind wir der Ueberzeugung, daß mit dem Regime der „festen Milde", wie es bisher unter den Auspicien des Herrn v. Möller gehandhabt worden, das Richtige getroffen war, und wir denken, daß die Regierung nicht ohne die dringendste Nothwendigkeit von diesem Wege ab¬ weichen wird. Die Frage der Berechtigung des oben erwähnten K 10 des Verwaltungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/476>, abgerufen am 22.07.2024.