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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Venetien ledig zu erklären. Bei Bismcirck war die entgegengesetzte Wandlung
vor sich gegangen. Ihm mußte beim Ausbruch des Krieges und bei der
feindlichen Stimmung Frankreichs die Hülfe der Ungarn wünschenswert^
erscheinen; er nahm deshalb den Grafen Czaki, als er Anfang Juni nach
Berlin kam, gut auf und ermächtigte Usedom in Florenz, anderthalb Millionen
für die Jnsurgirungspläne anzubieten. Es geschah dies am 12. Juni, dem
Tage, an welchem der österreichische Gesandte von Berlin abreiste. Bis zu
diesem Augenblicke hatte sich das preußische Cabinet von den ungarischen
Plänen fern gehalten, nicht weil es dieselben für verwerflich hielt, sondern
weil es sich sagte, daß der Nutzen, den sie versprachen, doch nur gering sei,
während es keinem Zweifel unterlag, daß eine Wiederannäherung an Oesterreich
nach Beendigung des Krieges durch derartige Versuche erschwert werde.
Deshalb hatte der preußische Militärbevollmächtigte in Florenz, Herr
von Bernhardt, auch keinen Auftrag mit Lamarmora über die ungarische
Jnsurrection zu reden, und dem entsprechend hat der italienische Minister¬
präsident in seinen früheren Flugschriften denn auch mehrfach erklärt: Ungarns
sei zwischen ihnen mit keinem Worte gedacht worden. Gleichwohl insinuirt
er jetzt im vollsten Widerspruche damit, Bernhardt "habe gefunden, daß eine
tüchtige Jnsurrection in Ungarn den Sieg besser sichern werde", dabei jedoch
die Bedingung gestellt, daß Italien sie auf sich nehme. Bei einem Mann,
der in einem und demselben Buche, ja fast auf einer Seite sich selbst wider¬
spricht, kann es freilich nicht Wunder nehmen, wenn er in späteren Schriften
seine früheren Aussagen vergessen hat/) Noch ein anderes Mißgeschick be¬
gegnet ihm bei dieser Gelegenheit. Als Vorwand für seine Ablehnung des
Usedom'schen Borschlages bediente er sich der Behauptung, Ungarn sei von
Truppen so entblößt, daß wenn die Bevölkerung wolle, sie sich ohne fremde
Hülfe erheben könne. In der Sache mochte er damit Recht haben, ebenso
wie mit der weiteren Behauptung, das Land sei einer Revolution durchaus
abgeneigt. Auch diese letztere Bemerkung giebt er seinen Lesern mit der
Miene, als ob er sie schon 1866 gemacht hätte und stützt sie auf einen
Bericht, welchen ihm Visconti Venosta von Constantinopel aus über die
Lage Ungarns, durch welches er gereist sei, geschrieben habe. In der That
reiste aber Visconti nicht von Florenz nach Constantinopel, sondern von
Constantinopel nach Florenz, um an Lamarmora's Statt das auswärtige
Amt zu übernehmen. Auf dieser Reise hatte er in Pesth Besprechungen mit
den Führern der Opposition, und gewann den Eindruck, daß die Stimmung



-) Ueber Bernhardi's Sendung hat die Verlagshandlung von Reuchlin's Geschichte Ita¬
liens in einem Nachtrag, der kürzlich erschienen ist, einige Notizen veröffentlicht, die ihr "von
competenter Seite" zugegangen sind. Aus diese ist bei obiger Darstellung Bezug genommen.
Ävenzboten I. 1874.

Venetien ledig zu erklären. Bei Bismcirck war die entgegengesetzte Wandlung
vor sich gegangen. Ihm mußte beim Ausbruch des Krieges und bei der
feindlichen Stimmung Frankreichs die Hülfe der Ungarn wünschenswert^
erscheinen; er nahm deshalb den Grafen Czaki, als er Anfang Juni nach
Berlin kam, gut auf und ermächtigte Usedom in Florenz, anderthalb Millionen
für die Jnsurgirungspläne anzubieten. Es geschah dies am 12. Juni, dem
Tage, an welchem der österreichische Gesandte von Berlin abreiste. Bis zu
diesem Augenblicke hatte sich das preußische Cabinet von den ungarischen
Plänen fern gehalten, nicht weil es dieselben für verwerflich hielt, sondern
weil es sich sagte, daß der Nutzen, den sie versprachen, doch nur gering sei,
während es keinem Zweifel unterlag, daß eine Wiederannäherung an Oesterreich
nach Beendigung des Krieges durch derartige Versuche erschwert werde.
Deshalb hatte der preußische Militärbevollmächtigte in Florenz, Herr
von Bernhardt, auch keinen Auftrag mit Lamarmora über die ungarische
Jnsurrection zu reden, und dem entsprechend hat der italienische Minister¬
präsident in seinen früheren Flugschriften denn auch mehrfach erklärt: Ungarns
sei zwischen ihnen mit keinem Worte gedacht worden. Gleichwohl insinuirt
er jetzt im vollsten Widerspruche damit, Bernhardt „habe gefunden, daß eine
tüchtige Jnsurrection in Ungarn den Sieg besser sichern werde", dabei jedoch
die Bedingung gestellt, daß Italien sie auf sich nehme. Bei einem Mann,
der in einem und demselben Buche, ja fast auf einer Seite sich selbst wider¬
spricht, kann es freilich nicht Wunder nehmen, wenn er in späteren Schriften
seine früheren Aussagen vergessen hat/) Noch ein anderes Mißgeschick be¬
gegnet ihm bei dieser Gelegenheit. Als Vorwand für seine Ablehnung des
Usedom'schen Borschlages bediente er sich der Behauptung, Ungarn sei von
Truppen so entblößt, daß wenn die Bevölkerung wolle, sie sich ohne fremde
Hülfe erheben könne. In der Sache mochte er damit Recht haben, ebenso
wie mit der weiteren Behauptung, das Land sei einer Revolution durchaus
abgeneigt. Auch diese letztere Bemerkung giebt er seinen Lesern mit der
Miene, als ob er sie schon 1866 gemacht hätte und stützt sie auf einen
Bericht, welchen ihm Visconti Venosta von Constantinopel aus über die
Lage Ungarns, durch welches er gereist sei, geschrieben habe. In der That
reiste aber Visconti nicht von Florenz nach Constantinopel, sondern von
Constantinopel nach Florenz, um an Lamarmora's Statt das auswärtige
Amt zu übernehmen. Auf dieser Reise hatte er in Pesth Besprechungen mit
den Führern der Opposition, und gewann den Eindruck, daß die Stimmung



-) Ueber Bernhardi's Sendung hat die Verlagshandlung von Reuchlin's Geschichte Ita¬
liens in einem Nachtrag, der kürzlich erschienen ist, einige Notizen veröffentlicht, die ihr „von
competenter Seite" zugegangen sind. Aus diese ist bei obiger Darstellung Bezug genommen.
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[0463] Venetien ledig zu erklären. Bei Bismcirck war die entgegengesetzte Wandlung vor sich gegangen. Ihm mußte beim Ausbruch des Krieges und bei der feindlichen Stimmung Frankreichs die Hülfe der Ungarn wünschenswert^ erscheinen; er nahm deshalb den Grafen Czaki, als er Anfang Juni nach Berlin kam, gut auf und ermächtigte Usedom in Florenz, anderthalb Millionen für die Jnsurgirungspläne anzubieten. Es geschah dies am 12. Juni, dem Tage, an welchem der österreichische Gesandte von Berlin abreiste. Bis zu diesem Augenblicke hatte sich das preußische Cabinet von den ungarischen Plänen fern gehalten, nicht weil es dieselben für verwerflich hielt, sondern weil es sich sagte, daß der Nutzen, den sie versprachen, doch nur gering sei, während es keinem Zweifel unterlag, daß eine Wiederannäherung an Oesterreich nach Beendigung des Krieges durch derartige Versuche erschwert werde. Deshalb hatte der preußische Militärbevollmächtigte in Florenz, Herr von Bernhardt, auch keinen Auftrag mit Lamarmora über die ungarische Jnsurrection zu reden, und dem entsprechend hat der italienische Minister¬ präsident in seinen früheren Flugschriften denn auch mehrfach erklärt: Ungarns sei zwischen ihnen mit keinem Worte gedacht worden. Gleichwohl insinuirt er jetzt im vollsten Widerspruche damit, Bernhardt „habe gefunden, daß eine tüchtige Jnsurrection in Ungarn den Sieg besser sichern werde", dabei jedoch die Bedingung gestellt, daß Italien sie auf sich nehme. Bei einem Mann, der in einem und demselben Buche, ja fast auf einer Seite sich selbst wider¬ spricht, kann es freilich nicht Wunder nehmen, wenn er in späteren Schriften seine früheren Aussagen vergessen hat/) Noch ein anderes Mißgeschick be¬ gegnet ihm bei dieser Gelegenheit. Als Vorwand für seine Ablehnung des Usedom'schen Borschlages bediente er sich der Behauptung, Ungarn sei von Truppen so entblößt, daß wenn die Bevölkerung wolle, sie sich ohne fremde Hülfe erheben könne. In der Sache mochte er damit Recht haben, ebenso wie mit der weiteren Behauptung, das Land sei einer Revolution durchaus abgeneigt. Auch diese letztere Bemerkung giebt er seinen Lesern mit der Miene, als ob er sie schon 1866 gemacht hätte und stützt sie auf einen Bericht, welchen ihm Visconti Venosta von Constantinopel aus über die Lage Ungarns, durch welches er gereist sei, geschrieben habe. In der That reiste aber Visconti nicht von Florenz nach Constantinopel, sondern von Constantinopel nach Florenz, um an Lamarmora's Statt das auswärtige Amt zu übernehmen. Auf dieser Reise hatte er in Pesth Besprechungen mit den Führern der Opposition, und gewann den Eindruck, daß die Stimmung -) Ueber Bernhardi's Sendung hat die Verlagshandlung von Reuchlin's Geschichte Ita¬ liens in einem Nachtrag, der kürzlich erschienen ist, einige Notizen veröffentlicht, die ihr „von competenter Seite" zugegangen sind. Aus diese ist bei obiger Darstellung Bezug genommen. Ävenzboten I. 1874.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/463>, abgerufen am 25.08.2024.