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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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flammt, aber seine mächtige Intelligenz verlangte noch etwas anderes als die
Vertreibung der Franzosen, Verbrennung von Paris und Wiederherstellung der
alten Herrlichkeit der deutschen Nation, von der keiner der damaligen Schwär¬
mer sagen konnte, wie sie eigentlich zu bewerkstelligen wäre. Er sah am
Firmament die Aspecten einer neuen Zeit und ohne daß wir irgendwo finden,
daß er sich daran erinnert habe, können wir seine damalige Stimmung wohl
in den gewaltigen Vers Virgil's zusammenfassen: Nasuus ad inwgro saeolo-
rum NÄseiwr orclo. Aber er sah und kannte auch die feindseligen Mächte
besser als die Andern, die damals für Blücher wie für Schwarzenberg, für
Stein wie für Metternich, für Kaiser Franz wie für König Friedrich Wilhelm
in kindlicher Naivetät schwärmten. Diese aufs höchste getriebene Spannung
zwischen Hoffnung und Furcht, zwischen Glauben und Zweifel, ja Verzweiflung
war die Ursache jener wundersam bewegten Stimmung, die dem sonst scharf¬
sichtigen Beschauer, der selbst und mit vollem Rechte damals zu den Schwärmern
und Gläubigen gehörte, immer räthselhafter wurde, je öfters er ihr begegnete.
Wir wollen nur ein, aber das merkwürdigste Zeugniß dafür aus diesen Be¬
richten herausheben. K, schreibt am 12, December 1813: "Um 6 Uhr Abends
ging ich zu Goethe. Ich fand ihn allein, wunderbar aufgeregt, glühend, ganz
wie im Kügelgen'schen Bilde. Ich war zwei Stunden bei ihm und habe ihn
zum ersten Male nicht ganz verstanden. Mit dem engsten confidentiellen Zu¬
trauen theilte er mir große Pläne mit und fordert" mich zur Mitwirkung auf.
Ich glaubte es sei die Zeit nach Mittag, aber es gab kein Tröpfchen, und
dennoch wurde er immer lebendiger. Ich war zu müde um mich in dieselbe
Stimmung zu versetzen; so habe ich mich ordentlich losgerissen. Ich fürchtete
mich beinahe vor ihm: er erschien mir, wie ich mir als Kind die goldenen
Drachen der chinesischen Kaiser dachte, die nur die Majestät tragen können.
Ich sah ihn nie so furchtbar heftig, gewaltig grollend, sein Auge glühte, oft
mangelten die Worte und dann schwoll sein Gesicht und die Augen glühten
und die ganze Gesticulation mußte dann das fehlende Wort ersetzen. Ich
habe seine Worte und Pläne, aber ihn selbst nicht verstanden." K. hat "das
confidentielle Zutrauen" wie es in seinem Charakter lag, buchstäblich verstanden.
und den "großen Plan" mit in sein Grab genommen. Wir können aber
wohl ahnen, was er enthielt. Dasselbe was dann in den Wanderjahren nur
in bedeutend abgekühltem Niederschlag als jene oft gelesene und doch so wenig
bekannte pädagogische Digression Unterkunft gefunden hat, gohr damals in
der gewaltigen Zeit in seiner Seele: Der Plan einer vollständigen Erneuerung
der Gesellschaft und des Staates durch eine von innen herausgegriffene Reform
der Individuen, die mit der Erziehung anheben sollte, also dieselbe Idee, die
Fichte's Reden an die deutsche Nation geboren hat, welche ja auch von so
vielen gehört und bewundert, von den wenigsten nach ihrem eigentlichen Kerne


GrniMm l. 1871. 67

flammt, aber seine mächtige Intelligenz verlangte noch etwas anderes als die
Vertreibung der Franzosen, Verbrennung von Paris und Wiederherstellung der
alten Herrlichkeit der deutschen Nation, von der keiner der damaligen Schwär¬
mer sagen konnte, wie sie eigentlich zu bewerkstelligen wäre. Er sah am
Firmament die Aspecten einer neuen Zeit und ohne daß wir irgendwo finden,
daß er sich daran erinnert habe, können wir seine damalige Stimmung wohl
in den gewaltigen Vers Virgil's zusammenfassen: Nasuus ad inwgro saeolo-
rum NÄseiwr orclo. Aber er sah und kannte auch die feindseligen Mächte
besser als die Andern, die damals für Blücher wie für Schwarzenberg, für
Stein wie für Metternich, für Kaiser Franz wie für König Friedrich Wilhelm
in kindlicher Naivetät schwärmten. Diese aufs höchste getriebene Spannung
zwischen Hoffnung und Furcht, zwischen Glauben und Zweifel, ja Verzweiflung
war die Ursache jener wundersam bewegten Stimmung, die dem sonst scharf¬
sichtigen Beschauer, der selbst und mit vollem Rechte damals zu den Schwärmern
und Gläubigen gehörte, immer räthselhafter wurde, je öfters er ihr begegnete.
Wir wollen nur ein, aber das merkwürdigste Zeugniß dafür aus diesen Be¬
richten herausheben. K, schreibt am 12, December 1813: „Um 6 Uhr Abends
ging ich zu Goethe. Ich fand ihn allein, wunderbar aufgeregt, glühend, ganz
wie im Kügelgen'schen Bilde. Ich war zwei Stunden bei ihm und habe ihn
zum ersten Male nicht ganz verstanden. Mit dem engsten confidentiellen Zu¬
trauen theilte er mir große Pläne mit und fordert« mich zur Mitwirkung auf.
Ich glaubte es sei die Zeit nach Mittag, aber es gab kein Tröpfchen, und
dennoch wurde er immer lebendiger. Ich war zu müde um mich in dieselbe
Stimmung zu versetzen; so habe ich mich ordentlich losgerissen. Ich fürchtete
mich beinahe vor ihm: er erschien mir, wie ich mir als Kind die goldenen
Drachen der chinesischen Kaiser dachte, die nur die Majestät tragen können.
Ich sah ihn nie so furchtbar heftig, gewaltig grollend, sein Auge glühte, oft
mangelten die Worte und dann schwoll sein Gesicht und die Augen glühten
und die ganze Gesticulation mußte dann das fehlende Wort ersetzen. Ich
habe seine Worte und Pläne, aber ihn selbst nicht verstanden." K. hat „das
confidentielle Zutrauen" wie es in seinem Charakter lag, buchstäblich verstanden.
und den „großen Plan" mit in sein Grab genommen. Wir können aber
wohl ahnen, was er enthielt. Dasselbe was dann in den Wanderjahren nur
in bedeutend abgekühltem Niederschlag als jene oft gelesene und doch so wenig
bekannte pädagogische Digression Unterkunft gefunden hat, gohr damals in
der gewaltigen Zeit in seiner Seele: Der Plan einer vollständigen Erneuerung
der Gesellschaft und des Staates durch eine von innen herausgegriffene Reform
der Individuen, die mit der Erziehung anheben sollte, also dieselbe Idee, die
Fichte's Reden an die deutsche Nation geboren hat, welche ja auch von so
vielen gehört und bewundert, von den wenigsten nach ihrem eigentlichen Kerne


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[0455] flammt, aber seine mächtige Intelligenz verlangte noch etwas anderes als die Vertreibung der Franzosen, Verbrennung von Paris und Wiederherstellung der alten Herrlichkeit der deutschen Nation, von der keiner der damaligen Schwär¬ mer sagen konnte, wie sie eigentlich zu bewerkstelligen wäre. Er sah am Firmament die Aspecten einer neuen Zeit und ohne daß wir irgendwo finden, daß er sich daran erinnert habe, können wir seine damalige Stimmung wohl in den gewaltigen Vers Virgil's zusammenfassen: Nasuus ad inwgro saeolo- rum NÄseiwr orclo. Aber er sah und kannte auch die feindseligen Mächte besser als die Andern, die damals für Blücher wie für Schwarzenberg, für Stein wie für Metternich, für Kaiser Franz wie für König Friedrich Wilhelm in kindlicher Naivetät schwärmten. Diese aufs höchste getriebene Spannung zwischen Hoffnung und Furcht, zwischen Glauben und Zweifel, ja Verzweiflung war die Ursache jener wundersam bewegten Stimmung, die dem sonst scharf¬ sichtigen Beschauer, der selbst und mit vollem Rechte damals zu den Schwärmern und Gläubigen gehörte, immer räthselhafter wurde, je öfters er ihr begegnete. Wir wollen nur ein, aber das merkwürdigste Zeugniß dafür aus diesen Be¬ richten herausheben. K, schreibt am 12, December 1813: „Um 6 Uhr Abends ging ich zu Goethe. Ich fand ihn allein, wunderbar aufgeregt, glühend, ganz wie im Kügelgen'schen Bilde. Ich war zwei Stunden bei ihm und habe ihn zum ersten Male nicht ganz verstanden. Mit dem engsten confidentiellen Zu¬ trauen theilte er mir große Pläne mit und fordert« mich zur Mitwirkung auf. Ich glaubte es sei die Zeit nach Mittag, aber es gab kein Tröpfchen, und dennoch wurde er immer lebendiger. Ich war zu müde um mich in dieselbe Stimmung zu versetzen; so habe ich mich ordentlich losgerissen. Ich fürchtete mich beinahe vor ihm: er erschien mir, wie ich mir als Kind die goldenen Drachen der chinesischen Kaiser dachte, die nur die Majestät tragen können. Ich sah ihn nie so furchtbar heftig, gewaltig grollend, sein Auge glühte, oft mangelten die Worte und dann schwoll sein Gesicht und die Augen glühten und die ganze Gesticulation mußte dann das fehlende Wort ersetzen. Ich habe seine Worte und Pläne, aber ihn selbst nicht verstanden." K. hat „das confidentielle Zutrauen" wie es in seinem Charakter lag, buchstäblich verstanden. und den „großen Plan" mit in sein Grab genommen. Wir können aber wohl ahnen, was er enthielt. Dasselbe was dann in den Wanderjahren nur in bedeutend abgekühltem Niederschlag als jene oft gelesene und doch so wenig bekannte pädagogische Digression Unterkunft gefunden hat, gohr damals in der gewaltigen Zeit in seiner Seele: Der Plan einer vollständigen Erneuerung der Gesellschaft und des Staates durch eine von innen herausgegriffene Reform der Individuen, die mit der Erziehung anheben sollte, also dieselbe Idee, die Fichte's Reden an die deutsche Nation geboren hat, welche ja auch von so vielen gehört und bewundert, von den wenigsten nach ihrem eigentlichen Kerne GrniMm l. 1871. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/455>, abgerufen am 26.08.2024.