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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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so umsichtsvoll gewarnt. die Harmlosigkeit selber seien -- jener Naivetät tritt
hier mit zermalmender Wucht die Ueberzeugung entgegen, daß es das staats-
und kulturfeindliche Prinzip schlechthin ist, mit welchem wir heute um die
Herrschaft ringen. Nunmehr muß auch den Zweifelsüchtigsten klar sein, daß
für einen faulen Frieden jegliche Aussicht geschwunden ist. daß der schwere
Kampf durchgekämpft werden wird bis zum Ende! Kaiser Wilhelm fühlt
sich in diesem Kampfe als der Führer seines Volkes und wir denken uns
nicht zu täuschen, wenn wir die Ueberzeugung aussprechen, daß die ungeheure
Mehrheit der Nation dieser Führerschaft freudigen Muthes folgt. Mächtig
sind die Geister aufgerüttelt aus jener Gleichgültigkeit, die unserm Volke so
lange das Urtheil über die Gefährlichkeit der römischen Propaganda getrübt,
aus jener schwächlichen Nachgiebigkeit, welche die Staatsgewalt aller Wachsam¬
keit entwöhnt hatte -- wir Alle wissen heute, um was es sich handelt, und
weil wir es wissen, sind wir allesammt entschlossen, auszuharren im Kampfe.
Hauptzweck des kaiserlichen Briefes ist gewesen, diese Sachlage in wenigen
inhaltschweren Worten auch dem Auslande kundzugeben. Und wenn das
Ausland gerecht sein will, so wird es vor Allem die Bescheidenheit dieser
Worte anerkennen müssen. Wohl wissen wir, daß wir den Kampf mit Rom
nicht nur für die eigene Wohlfahrt führen, sondern für die geistigen Güter
der ganzen gebildeten Welt; aber es ist nicht deutsche Art, sich mit dem
"Marschiren an der Spitze der Civilisation" zu brüsten. Mag das Ausland
unser Ringen beurtheilen nach seinem Belieben, unsere Entschlüsse werden da¬
durch nicht beeinflußt werden. Wir sind dankbar für den ermunternden Zuruf
der stammverwandten Briten und wir lächeln über den kindischen Aerger, mit
welchem die geistige Elite der Franzosen unsern Kulturkampf begeifert. Wir
stellen dem Auslande gegenüber die selbstverständliche Forderung, daß der
Streit nicht durch seine Einmischung von dem geistigen aus ein anderes Ge¬
biet hinübergespielt werde, und ich denke, selbst die Franzosen werden für gut
halten, diese Forderung zu erfüllen. Die Ernennung des Fürsten Hohenlohe
zum Botschafter in Paris, desselben, der seinerzeit als vairischer Minister¬
präsident die Mächte mit so richtigem Blick, aber leider ohne Erfolg vor
den staatsfeindlichen Tendenzen des vatikanischen Concils gewarnt, ist in
dieser Beziehung für unsern westlichen Nachbar ein nicht mißzuverstehen-
der Wink.

Vor dem parlamentarischen Leben der letzten Wochen sind übrigens die kirch¬
lichen Fragen in den Hintergrund getreten; die dort zunächst zur Entscheidung
stehenden wichtigen Gesetzentwürfe aus dem Gebiete des Kriegswesens, des
wirthschaftlichen und'des geistigen Lebens nehmen die Aufmerksamkeit fast aus¬
schließlich in Anspruch. Neben der gesetzgebenden Versammlung des Reichs sieht
die Hauptstadt, wie alljährlich zu dieser Zeit, die Vertreter anderer socialer und


so umsichtsvoll gewarnt. die Harmlosigkeit selber seien — jener Naivetät tritt
hier mit zermalmender Wucht die Ueberzeugung entgegen, daß es das staats-
und kulturfeindliche Prinzip schlechthin ist, mit welchem wir heute um die
Herrschaft ringen. Nunmehr muß auch den Zweifelsüchtigsten klar sein, daß
für einen faulen Frieden jegliche Aussicht geschwunden ist. daß der schwere
Kampf durchgekämpft werden wird bis zum Ende! Kaiser Wilhelm fühlt
sich in diesem Kampfe als der Führer seines Volkes und wir denken uns
nicht zu täuschen, wenn wir die Ueberzeugung aussprechen, daß die ungeheure
Mehrheit der Nation dieser Führerschaft freudigen Muthes folgt. Mächtig
sind die Geister aufgerüttelt aus jener Gleichgültigkeit, die unserm Volke so
lange das Urtheil über die Gefährlichkeit der römischen Propaganda getrübt,
aus jener schwächlichen Nachgiebigkeit, welche die Staatsgewalt aller Wachsam¬
keit entwöhnt hatte — wir Alle wissen heute, um was es sich handelt, und
weil wir es wissen, sind wir allesammt entschlossen, auszuharren im Kampfe.
Hauptzweck des kaiserlichen Briefes ist gewesen, diese Sachlage in wenigen
inhaltschweren Worten auch dem Auslande kundzugeben. Und wenn das
Ausland gerecht sein will, so wird es vor Allem die Bescheidenheit dieser
Worte anerkennen müssen. Wohl wissen wir, daß wir den Kampf mit Rom
nicht nur für die eigene Wohlfahrt führen, sondern für die geistigen Güter
der ganzen gebildeten Welt; aber es ist nicht deutsche Art, sich mit dem
„Marschiren an der Spitze der Civilisation" zu brüsten. Mag das Ausland
unser Ringen beurtheilen nach seinem Belieben, unsere Entschlüsse werden da¬
durch nicht beeinflußt werden. Wir sind dankbar für den ermunternden Zuruf
der stammverwandten Briten und wir lächeln über den kindischen Aerger, mit
welchem die geistige Elite der Franzosen unsern Kulturkampf begeifert. Wir
stellen dem Auslande gegenüber die selbstverständliche Forderung, daß der
Streit nicht durch seine Einmischung von dem geistigen aus ein anderes Ge¬
biet hinübergespielt werde, und ich denke, selbst die Franzosen werden für gut
halten, diese Forderung zu erfüllen. Die Ernennung des Fürsten Hohenlohe
zum Botschafter in Paris, desselben, der seinerzeit als vairischer Minister¬
präsident die Mächte mit so richtigem Blick, aber leider ohne Erfolg vor
den staatsfeindlichen Tendenzen des vatikanischen Concils gewarnt, ist in
dieser Beziehung für unsern westlichen Nachbar ein nicht mißzuverstehen-
der Wink.

Vor dem parlamentarischen Leben der letzten Wochen sind übrigens die kirch¬
lichen Fragen in den Hintergrund getreten; die dort zunächst zur Entscheidung
stehenden wichtigen Gesetzentwürfe aus dem Gebiete des Kriegswesens, des
wirthschaftlichen und'des geistigen Lebens nehmen die Aufmerksamkeit fast aus¬
schließlich in Anspruch. Neben der gesetzgebenden Versammlung des Reichs sieht
die Hauptstadt, wie alljährlich zu dieser Zeit, die Vertreter anderer socialer und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/443>, abgerufen am 26.12.2024.