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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Preußens Beistand fraglich (unbedingt verweigert war er nicht); 2) es wird
angegriffen -- dann kann es unbedingt auf Preußen zählen; 3) es kommt
überhaupt nicht zum Kriege und die Hoffnungen auf Benetien müssen auf bessere
Zeiten verschoben werden. So lauteten die unzweideutigen Erklärungen Preu¬
ßens. War das ein Bruch des Vertrages vom 8. April? Lamarmora will
es glauben machen. Aber in jenem Vertrage war, wie wir gesehen haben,
nur ein einziger Fall vorgesehen: der, daß Preußen und Oesterreich in Krieg
geriethen; dann war Italien zum Beistande verpflichtet. Die Möglichkeit,
daß der Krieg in Italien ausbräche, war gar nicht in Betracht gezogen.
Wie konnte nun Preußen auf Grund eines solchen Vertrages Vertragsbruch
vorgeworfen werden? Gestand es nicht vielmehr über diesen Vertrag
hinaus dem angegriffenen Italien Hülfe zu? Mit Abscheu wendet sich
Lamarmora von einer so spitzfindigen Deutelei ab. Zwar in den sechs Para¬
graphen des Vertrags steht nichts von einer Verpflichtung Preußens. Italien
zu helfen, das muß zugestanden werden; aber wozu ist denn dieser Vertrag
in den Einleitungsworten ein Schutz- und Trutzbündniß genannt worden?
Folgt daraus nicht die unbedingte Verpflichtung Preußens, dem Bundes¬
genossen in jedem Falle beizustehen? Also erst hatte der arge Bismarck ver¬
sucht, durch Beseitigung der Worte "Trutz- und Schutzbündniß" sich ganz
freie Hand zu schaffen, und jetzt wagte er es, da jene Ueberlistung ihm, Dank
Barral's Aufmerksamkeit, mißlungen war, sich über diese, von ihm nunmehr
doch angenommenen Worte hinwegzusetzen und für den Fall, daß Italien
selbst angriffe, seinen Beistand nur in unsichere Aussicht zu stellen! Lamar¬
mora ist überzeugt, daß alle ehrlichen Leute dies Verfahren ebenso tief ver¬
abscheuen müssen, wie er selbst.

Wenn sich der italienische Minister am 2. Mai. als er Govone's Bericht
über die erste Unterredung mit Bismarck las, in dieser aufgeregten Stimmung
befand, so ließ sich das entschuldigen. Denn vor sich glaubte er die Gefahr
zu sehen, von Oesterreich angegriffen und von Preußen Hülflos gelassen zu
werden. Aber ganz unbegreiflich ist, wie diese Stimmung den Empfang von
Govone's zweitem Bericht überdauern konnte, doppelt unbegreiflich, weil La¬
marmora selbst sich schon am 2. Mai beeilt hatte, telegraphisch in Berlin zu
versichern, daß Italien in keinem Fall der Angreifer sein werde.
Damit war ja jede MißHelligkeit beseitigt; denn wurde es angegriffen,
so leistete ihm ja des Königs Wort jetzt Gewähr, daß Preußens Beistand
ihm nicht fehlen werde. Ob das ein Beistand auf Grund des Vertrages oder
ein freiwilliger sei, war doch fürwahr -- um einen Ausdruck zu gebrauchen,
dessen sich Lamarmora sonst mit Vorliebe, nur nicht bei dieser Gelegenheit,
bedient -- ein rein academischer Streit. Und doch erlaubt er sich, es "evident"
zu nennen, daß alle Reklamationen und Proteste nichts gefruchtet haben


Grenzboten l. 187". 54

Preußens Beistand fraglich (unbedingt verweigert war er nicht); 2) es wird
angegriffen — dann kann es unbedingt auf Preußen zählen; 3) es kommt
überhaupt nicht zum Kriege und die Hoffnungen auf Benetien müssen auf bessere
Zeiten verschoben werden. So lauteten die unzweideutigen Erklärungen Preu¬
ßens. War das ein Bruch des Vertrages vom 8. April? Lamarmora will
es glauben machen. Aber in jenem Vertrage war, wie wir gesehen haben,
nur ein einziger Fall vorgesehen: der, daß Preußen und Oesterreich in Krieg
geriethen; dann war Italien zum Beistande verpflichtet. Die Möglichkeit,
daß der Krieg in Italien ausbräche, war gar nicht in Betracht gezogen.
Wie konnte nun Preußen auf Grund eines solchen Vertrages Vertragsbruch
vorgeworfen werden? Gestand es nicht vielmehr über diesen Vertrag
hinaus dem angegriffenen Italien Hülfe zu? Mit Abscheu wendet sich
Lamarmora von einer so spitzfindigen Deutelei ab. Zwar in den sechs Para¬
graphen des Vertrags steht nichts von einer Verpflichtung Preußens. Italien
zu helfen, das muß zugestanden werden; aber wozu ist denn dieser Vertrag
in den Einleitungsworten ein Schutz- und Trutzbündniß genannt worden?
Folgt daraus nicht die unbedingte Verpflichtung Preußens, dem Bundes¬
genossen in jedem Falle beizustehen? Also erst hatte der arge Bismarck ver¬
sucht, durch Beseitigung der Worte „Trutz- und Schutzbündniß" sich ganz
freie Hand zu schaffen, und jetzt wagte er es, da jene Ueberlistung ihm, Dank
Barral's Aufmerksamkeit, mißlungen war, sich über diese, von ihm nunmehr
doch angenommenen Worte hinwegzusetzen und für den Fall, daß Italien
selbst angriffe, seinen Beistand nur in unsichere Aussicht zu stellen! Lamar¬
mora ist überzeugt, daß alle ehrlichen Leute dies Verfahren ebenso tief ver¬
abscheuen müssen, wie er selbst.

Wenn sich der italienische Minister am 2. Mai. als er Govone's Bericht
über die erste Unterredung mit Bismarck las, in dieser aufgeregten Stimmung
befand, so ließ sich das entschuldigen. Denn vor sich glaubte er die Gefahr
zu sehen, von Oesterreich angegriffen und von Preußen Hülflos gelassen zu
werden. Aber ganz unbegreiflich ist, wie diese Stimmung den Empfang von
Govone's zweitem Bericht überdauern konnte, doppelt unbegreiflich, weil La¬
marmora selbst sich schon am 2. Mai beeilt hatte, telegraphisch in Berlin zu
versichern, daß Italien in keinem Fall der Angreifer sein werde.
Damit war ja jede MißHelligkeit beseitigt; denn wurde es angegriffen,
so leistete ihm ja des Königs Wort jetzt Gewähr, daß Preußens Beistand
ihm nicht fehlen werde. Ob das ein Beistand auf Grund des Vertrages oder
ein freiwilliger sei, war doch fürwahr — um einen Ausdruck zu gebrauchen,
dessen sich Lamarmora sonst mit Vorliebe, nur nicht bei dieser Gelegenheit,
bedient — ein rein academischer Streit. Und doch erlaubt er sich, es „evident"
zu nennen, daß alle Reklamationen und Proteste nichts gefruchtet haben


Grenzboten l. 187«. 54
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[0431] Preußens Beistand fraglich (unbedingt verweigert war er nicht); 2) es wird angegriffen — dann kann es unbedingt auf Preußen zählen; 3) es kommt überhaupt nicht zum Kriege und die Hoffnungen auf Benetien müssen auf bessere Zeiten verschoben werden. So lauteten die unzweideutigen Erklärungen Preu¬ ßens. War das ein Bruch des Vertrages vom 8. April? Lamarmora will es glauben machen. Aber in jenem Vertrage war, wie wir gesehen haben, nur ein einziger Fall vorgesehen: der, daß Preußen und Oesterreich in Krieg geriethen; dann war Italien zum Beistande verpflichtet. Die Möglichkeit, daß der Krieg in Italien ausbräche, war gar nicht in Betracht gezogen. Wie konnte nun Preußen auf Grund eines solchen Vertrages Vertragsbruch vorgeworfen werden? Gestand es nicht vielmehr über diesen Vertrag hinaus dem angegriffenen Italien Hülfe zu? Mit Abscheu wendet sich Lamarmora von einer so spitzfindigen Deutelei ab. Zwar in den sechs Para¬ graphen des Vertrags steht nichts von einer Verpflichtung Preußens. Italien zu helfen, das muß zugestanden werden; aber wozu ist denn dieser Vertrag in den Einleitungsworten ein Schutz- und Trutzbündniß genannt worden? Folgt daraus nicht die unbedingte Verpflichtung Preußens, dem Bundes¬ genossen in jedem Falle beizustehen? Also erst hatte der arge Bismarck ver¬ sucht, durch Beseitigung der Worte „Trutz- und Schutzbündniß" sich ganz freie Hand zu schaffen, und jetzt wagte er es, da jene Ueberlistung ihm, Dank Barral's Aufmerksamkeit, mißlungen war, sich über diese, von ihm nunmehr doch angenommenen Worte hinwegzusetzen und für den Fall, daß Italien selbst angriffe, seinen Beistand nur in unsichere Aussicht zu stellen! Lamar¬ mora ist überzeugt, daß alle ehrlichen Leute dies Verfahren ebenso tief ver¬ abscheuen müssen, wie er selbst. Wenn sich der italienische Minister am 2. Mai. als er Govone's Bericht über die erste Unterredung mit Bismarck las, in dieser aufgeregten Stimmung befand, so ließ sich das entschuldigen. Denn vor sich glaubte er die Gefahr zu sehen, von Oesterreich angegriffen und von Preußen Hülflos gelassen zu werden. Aber ganz unbegreiflich ist, wie diese Stimmung den Empfang von Govone's zweitem Bericht überdauern konnte, doppelt unbegreiflich, weil La¬ marmora selbst sich schon am 2. Mai beeilt hatte, telegraphisch in Berlin zu versichern, daß Italien in keinem Fall der Angreifer sein werde. Damit war ja jede MißHelligkeit beseitigt; denn wurde es angegriffen, so leistete ihm ja des Königs Wort jetzt Gewähr, daß Preußens Beistand ihm nicht fehlen werde. Ob das ein Beistand auf Grund des Vertrages oder ein freiwilliger sei, war doch fürwahr — um einen Ausdruck zu gebrauchen, dessen sich Lamarmora sonst mit Vorliebe, nur nicht bei dieser Gelegenheit, bedient — ein rein academischer Streit. Und doch erlaubt er sich, es „evident" zu nennen, daß alle Reklamationen und Proteste nichts gefruchtet haben Grenzboten l. 187«. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/431>, abgerufen am 28.08.2024.