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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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auch in Venetien entwaffne. Aber selbst in diesem an sich ja billigenswerthen
Actenstück schoß er zu Lamarmora's Aerger wieder einen fürchterlichen Bock,
indem er die Ueberzeugung aussprach, daß auch Italien abrüsten würde, wenn
Oesterreich dasselbe thäte. Graf Bismarck täuschte sich, so versichert uns der
General, und wenn er mich gekannt hätte, so würde er eine solche Ansicht
nicht haben äußern können. Wir sind sehr geneigt, uns auch hier auf des
Beleidigten Seite zu stellen, obgleich wir ihn doch noch schlechter kennen, als
der Graf Bismarck. Aber wir kennen -- übrigens nicht aus Lamarmora's
Buche -- die vorhin schon erwähnten einmüthigen Beschlüsse der italienischen
Kammer vom 30. April, und die kannte der preußische Minister, als er seine
Depesche von demselben Datum schrieb, noch nicht. Wir stimmen Lamarmora
vollkommen bei, daß er -- unter solchen Umständen -- nicht der Mann
danach war, wieder abzurüsten, seinem ganzen Volke die Stirn zu bieten und
sich für den bevorstehenden Krieg unmöglich zu machen.

Dazu kam noch seine Besorgniß -- er gesteht sie selbst ein --. daß
Oesterreich plötzlich über ihn herfallen könnte, eine Besorgniß, wegen deren er
zwar von Paris aus officiell beruhigt wurde, die ihm aber doch den Beistand
Preußens sehr dringlich erscheinen ließ. Und gerade in diesem Augenblicke
setzte Preußen allen seinen Schlechtigkeiten die Krone auf. Govone, der am
1. Mai nach Berlin zurückgekehrt war, legte nämlich dem Grafen Bismarck
die Frage vor, ob Preußen bereit sei, nach dem Allianzvertrage an Oesterreich
den Krieg zu erklären, wenn dieses ihn an Italien erklären sollte. Graf
Bismarck sagte: Nach dem Allianzvertrage -- nein, denn dieser berühre nach
seinem Wortlaute den Punkt gar nicht. Auch werde der König keinen neuen
Vertrag, etwa in Form einer Militärconvention, genehmigen, der ihn un¬
bedingt zur Theilnahme verpflichte, wenn der Krieg in Italien ausbräche;
denn er wolle dieses nicht ermuntern, die Dinge auf die Spitze zu treiben.
Allein das Ministerium würde sein Verbleiben im Amte allerdings davon ab¬
hängig machen, und Italien könne sich getrost auf die Macht der Umstände
und der gewichtigsten preußischen Interessen verlassen. Das Alles sagte der
Minister, ohne den König darüber gesprochen zu haben. Am nächsten Tage
hatte er dies nachgeholt, ließ Govone in Eile rufen und theilte ihm die Er¬
klärung des Königs mit. Greift Oesterreich Italien an. so lautete sie, dann
steht Preußen ihm bei; aber Italien darf nicht seinerseits der Angreifer sein;
denn, so gestand Bismarck ganz offen, eine Verständigung Preußens mit
Oesterreich ist immerhin noch möglich, so nachtheilig sie sein würde; indeß
wird sie niemals in der Weise erfolgen, daß Italien dadurch der österreichischen
Armee allein gegenüber stände.

Also drei Fälle waren möglich: 1) Italien greift an -- dann ist


auch in Venetien entwaffne. Aber selbst in diesem an sich ja billigenswerthen
Actenstück schoß er zu Lamarmora's Aerger wieder einen fürchterlichen Bock,
indem er die Ueberzeugung aussprach, daß auch Italien abrüsten würde, wenn
Oesterreich dasselbe thäte. Graf Bismarck täuschte sich, so versichert uns der
General, und wenn er mich gekannt hätte, so würde er eine solche Ansicht
nicht haben äußern können. Wir sind sehr geneigt, uns auch hier auf des
Beleidigten Seite zu stellen, obgleich wir ihn doch noch schlechter kennen, als
der Graf Bismarck. Aber wir kennen — übrigens nicht aus Lamarmora's
Buche — die vorhin schon erwähnten einmüthigen Beschlüsse der italienischen
Kammer vom 30. April, und die kannte der preußische Minister, als er seine
Depesche von demselben Datum schrieb, noch nicht. Wir stimmen Lamarmora
vollkommen bei, daß er — unter solchen Umständen — nicht der Mann
danach war, wieder abzurüsten, seinem ganzen Volke die Stirn zu bieten und
sich für den bevorstehenden Krieg unmöglich zu machen.

Dazu kam noch seine Besorgniß — er gesteht sie selbst ein —. daß
Oesterreich plötzlich über ihn herfallen könnte, eine Besorgniß, wegen deren er
zwar von Paris aus officiell beruhigt wurde, die ihm aber doch den Beistand
Preußens sehr dringlich erscheinen ließ. Und gerade in diesem Augenblicke
setzte Preußen allen seinen Schlechtigkeiten die Krone auf. Govone, der am
1. Mai nach Berlin zurückgekehrt war, legte nämlich dem Grafen Bismarck
die Frage vor, ob Preußen bereit sei, nach dem Allianzvertrage an Oesterreich
den Krieg zu erklären, wenn dieses ihn an Italien erklären sollte. Graf
Bismarck sagte: Nach dem Allianzvertrage — nein, denn dieser berühre nach
seinem Wortlaute den Punkt gar nicht. Auch werde der König keinen neuen
Vertrag, etwa in Form einer Militärconvention, genehmigen, der ihn un¬
bedingt zur Theilnahme verpflichte, wenn der Krieg in Italien ausbräche;
denn er wolle dieses nicht ermuntern, die Dinge auf die Spitze zu treiben.
Allein das Ministerium würde sein Verbleiben im Amte allerdings davon ab¬
hängig machen, und Italien könne sich getrost auf die Macht der Umstände
und der gewichtigsten preußischen Interessen verlassen. Das Alles sagte der
Minister, ohne den König darüber gesprochen zu haben. Am nächsten Tage
hatte er dies nachgeholt, ließ Govone in Eile rufen und theilte ihm die Er¬
klärung des Königs mit. Greift Oesterreich Italien an. so lautete sie, dann
steht Preußen ihm bei; aber Italien darf nicht seinerseits der Angreifer sein;
denn, so gestand Bismarck ganz offen, eine Verständigung Preußens mit
Oesterreich ist immerhin noch möglich, so nachtheilig sie sein würde; indeß
wird sie niemals in der Weise erfolgen, daß Italien dadurch der österreichischen
Armee allein gegenüber stände.

Also drei Fälle waren möglich: 1) Italien greift an — dann ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/430>, abgerufen am 28.08.2024.