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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Vertrag zur Ratifikation vorlegte; aber er straft die Behauptung selbst Lügen
durch die Daten, welche er angiebt. Nicht genug, daß er bezeugt, Govone's
Brief und der Vertrag seien am selben Tage von Berlin abgegangen; er
druckt auch sein Telegramm vom 13. April ab, das außer der Anzeige von
der vollzogenen Ratifikation des Vertrags, der am Abend nach Berlin zurück¬
gehen werde, -auch eine Antwort auf den Brief Govone's enthält. Wenn
also der "Versuch" Bismarck's. dem Vertrage den Charakter eines Schutz-
und Trutzbündnisses zu nehmen, ihn wirklich stutzig gemacht hätte, so wäre
die Unterzeichnung, oder doch mindestens die Absenkung der Ratification sehr
leicht zu verhindern gewesen. Aber die Wahrheit ist. trotz Lamarmora's aus¬
drücklicher Betheuerung, daß auf die Formel in der Einleitung des Vertrages
gar Nichts ankam, daß kein Mensch in Florenz an dem Zwischenfall Anstoß
nahm, und daß Lamarmora sich erst nachträglich eingeredet hat, er habe gleich
damals beim Empfange von Govone's Brief, aber leider erst nach geschehener
Ratifikation, Bismarck's perfiden Täuschungsversuch durchschaut. Dieser
angebliche Täuschungsversuch aber war und ist bestimmt, als einer der Haupt¬
pfeiler für den stolzen Mythus zu dienen, den Lamarmora sich von preußischer
Hinterlist und italienischer Vertragstreue zusammengedichtet hat, und den wir
noch weiter kennen lernen werden,

Zuerst aber müssen wir kurz die Lage in Berlin seit Ende März betrachten.
Am 24. d. M. hatte Bismarck als Gegenstück zu der österreichischen Note
vom 16. ein Rundschreiben an die deutschen-Regierungen erlassen, durch
welches er anfragte, wie weit Preußen bet einem Kriege mit Oesterreich auf
ihre Unterstützung rechnen könne. Da die Antworten, welche seinen Gesandten
beim Verlesen dieses Rundschreibens etwa am 27. März zu Theil wurden,
überall ausweichend oder geradezu feindlich lauteten, erging am 28. März
eine königliche Ordre, welche die Kriegsbereitschaft anordnete. Rückte dadurch
die Aussicht auf den Krieg näher, so verdoppelten andererseits auch alle
Friedensfreunde und alle Gegner Bismarck's ihre Bemühungen. Von den
Rheinlanden aus verbreitete sich eine Agitation gegen den Krieg bis in die
österreichischen Provinzen. In den Hofkreisen wühlte man nach Kräften um
Bismarck zu stürzen, und sprach schon siegesgewiß von der Sendung des
Generals Münster (? so berichtet Govone) nach Wien. Herr von der Pfordten
fühlte sich veranlaßt am 31. März beiden Theilen die Vermittlung des Bundes
anzuempfehlen. Auch eine, übrigens sehr freundschaftliche, russische Note suchte
in den ersten Tagen des April eine Verständigung zu erleichtern. Die ganze
preußische Diplomatie, die Gesandten in London und Paris voran, arbeiteten,
wie Bismarck "in äußerster Aufregung" Barral mittheilte, gegen seine kriege¬
rischen Projekte. Er ließ sich dadurch nicht irre machen. Die Rüstungen, zu
denen Baiern und Mürtcmberg in den ersten Apriltagen schritten, spannten


Vertrag zur Ratifikation vorlegte; aber er straft die Behauptung selbst Lügen
durch die Daten, welche er angiebt. Nicht genug, daß er bezeugt, Govone's
Brief und der Vertrag seien am selben Tage von Berlin abgegangen; er
druckt auch sein Telegramm vom 13. April ab, das außer der Anzeige von
der vollzogenen Ratifikation des Vertrags, der am Abend nach Berlin zurück¬
gehen werde, -auch eine Antwort auf den Brief Govone's enthält. Wenn
also der „Versuch" Bismarck's. dem Vertrage den Charakter eines Schutz-
und Trutzbündnisses zu nehmen, ihn wirklich stutzig gemacht hätte, so wäre
die Unterzeichnung, oder doch mindestens die Absenkung der Ratification sehr
leicht zu verhindern gewesen. Aber die Wahrheit ist. trotz Lamarmora's aus¬
drücklicher Betheuerung, daß auf die Formel in der Einleitung des Vertrages
gar Nichts ankam, daß kein Mensch in Florenz an dem Zwischenfall Anstoß
nahm, und daß Lamarmora sich erst nachträglich eingeredet hat, er habe gleich
damals beim Empfange von Govone's Brief, aber leider erst nach geschehener
Ratifikation, Bismarck's perfiden Täuschungsversuch durchschaut. Dieser
angebliche Täuschungsversuch aber war und ist bestimmt, als einer der Haupt¬
pfeiler für den stolzen Mythus zu dienen, den Lamarmora sich von preußischer
Hinterlist und italienischer Vertragstreue zusammengedichtet hat, und den wir
noch weiter kennen lernen werden,

Zuerst aber müssen wir kurz die Lage in Berlin seit Ende März betrachten.
Am 24. d. M. hatte Bismarck als Gegenstück zu der österreichischen Note
vom 16. ein Rundschreiben an die deutschen-Regierungen erlassen, durch
welches er anfragte, wie weit Preußen bet einem Kriege mit Oesterreich auf
ihre Unterstützung rechnen könne. Da die Antworten, welche seinen Gesandten
beim Verlesen dieses Rundschreibens etwa am 27. März zu Theil wurden,
überall ausweichend oder geradezu feindlich lauteten, erging am 28. März
eine königliche Ordre, welche die Kriegsbereitschaft anordnete. Rückte dadurch
die Aussicht auf den Krieg näher, so verdoppelten andererseits auch alle
Friedensfreunde und alle Gegner Bismarck's ihre Bemühungen. Von den
Rheinlanden aus verbreitete sich eine Agitation gegen den Krieg bis in die
österreichischen Provinzen. In den Hofkreisen wühlte man nach Kräften um
Bismarck zu stürzen, und sprach schon siegesgewiß von der Sendung des
Generals Münster (? so berichtet Govone) nach Wien. Herr von der Pfordten
fühlte sich veranlaßt am 31. März beiden Theilen die Vermittlung des Bundes
anzuempfehlen. Auch eine, übrigens sehr freundschaftliche, russische Note suchte
in den ersten Tagen des April eine Verständigung zu erleichtern. Die ganze
preußische Diplomatie, die Gesandten in London und Paris voran, arbeiteten,
wie Bismarck „in äußerster Aufregung" Barral mittheilte, gegen seine kriege¬
rischen Projekte. Er ließ sich dadurch nicht irre machen. Die Rüstungen, zu
denen Baiern und Mürtcmberg in den ersten Apriltagen schritten, spannten


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[0426] Vertrag zur Ratifikation vorlegte; aber er straft die Behauptung selbst Lügen durch die Daten, welche er angiebt. Nicht genug, daß er bezeugt, Govone's Brief und der Vertrag seien am selben Tage von Berlin abgegangen; er druckt auch sein Telegramm vom 13. April ab, das außer der Anzeige von der vollzogenen Ratifikation des Vertrags, der am Abend nach Berlin zurück¬ gehen werde, -auch eine Antwort auf den Brief Govone's enthält. Wenn also der „Versuch" Bismarck's. dem Vertrage den Charakter eines Schutz- und Trutzbündnisses zu nehmen, ihn wirklich stutzig gemacht hätte, so wäre die Unterzeichnung, oder doch mindestens die Absenkung der Ratification sehr leicht zu verhindern gewesen. Aber die Wahrheit ist. trotz Lamarmora's aus¬ drücklicher Betheuerung, daß auf die Formel in der Einleitung des Vertrages gar Nichts ankam, daß kein Mensch in Florenz an dem Zwischenfall Anstoß nahm, und daß Lamarmora sich erst nachträglich eingeredet hat, er habe gleich damals beim Empfange von Govone's Brief, aber leider erst nach geschehener Ratifikation, Bismarck's perfiden Täuschungsversuch durchschaut. Dieser angebliche Täuschungsversuch aber war und ist bestimmt, als einer der Haupt¬ pfeiler für den stolzen Mythus zu dienen, den Lamarmora sich von preußischer Hinterlist und italienischer Vertragstreue zusammengedichtet hat, und den wir noch weiter kennen lernen werden, Zuerst aber müssen wir kurz die Lage in Berlin seit Ende März betrachten. Am 24. d. M. hatte Bismarck als Gegenstück zu der österreichischen Note vom 16. ein Rundschreiben an die deutschen-Regierungen erlassen, durch welches er anfragte, wie weit Preußen bet einem Kriege mit Oesterreich auf ihre Unterstützung rechnen könne. Da die Antworten, welche seinen Gesandten beim Verlesen dieses Rundschreibens etwa am 27. März zu Theil wurden, überall ausweichend oder geradezu feindlich lauteten, erging am 28. März eine königliche Ordre, welche die Kriegsbereitschaft anordnete. Rückte dadurch die Aussicht auf den Krieg näher, so verdoppelten andererseits auch alle Friedensfreunde und alle Gegner Bismarck's ihre Bemühungen. Von den Rheinlanden aus verbreitete sich eine Agitation gegen den Krieg bis in die österreichischen Provinzen. In den Hofkreisen wühlte man nach Kräften um Bismarck zu stürzen, und sprach schon siegesgewiß von der Sendung des Generals Münster (? so berichtet Govone) nach Wien. Herr von der Pfordten fühlte sich veranlaßt am 31. März beiden Theilen die Vermittlung des Bundes anzuempfehlen. Auch eine, übrigens sehr freundschaftliche, russische Note suchte in den ersten Tagen des April eine Verständigung zu erleichtern. Die ganze preußische Diplomatie, die Gesandten in London und Paris voran, arbeiteten, wie Bismarck „in äußerster Aufregung" Barral mittheilte, gegen seine kriege¬ rischen Projekte. Er ließ sich dadurch nicht irre machen. Die Rüstungen, zu denen Baiern und Mürtcmberg in den ersten Apriltagen schritten, spannten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/426>, abgerufen am 28.08.2024.