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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Novelle, andererseits mit den "Unterredungen von dem Reiche der Geister"
schlagend hervorgeht, direct an Apel sich angelehnt; alles, was aus dem
Originalstoffe überhaupt Gutes gemacht worden ist, das kommt auf Apel's
Rechnung- Den lange gesuchten und nun endlich gefundenen "Quartanten"
aber besitzt die Leipziger Stadtbibliothek nicht und hat ihn nie besessen.
Es liegt also in Kind's "Freischützbuche" sowohl, wie in dem oben mitgetheilten
Briefe entweder ein Gedächtnißfehler oder eine abgeschmackte MYstification
vor. Das letztere halte ich trotz allem, was man über Kind denken mag,
für unwahrscheinlich. Auch Ambros schließt aus zwei Momenten des Text¬
buches, die sich wohl in den "Unterredungen", aber nicht bei Apel wieder¬
finden, daß Kind "das alte Buch auch gekannt habe". Vielleicht ist auch der
Umstand nicht ganz bedeutungslos, daß schon in den "Unterredungen" die
Freischützgeschichte in Böhmen spielt, und daß Kind gerade dies in seinem
Briefe ausdrücklich hervorhebt. Zu den mancherlei seltsamen Erfahrungen,
die man ziemlich häufig auf Bibliotheken machen kann, gehört auch die. daß
Leute kommen und behaupten, sie hätten hier vor zwei oder drei Jahren
einmal das oder jenes Buch mit ungefähr dem und dem Inhalt oder dem
und dem Einband entliehen und möchten es nun gern noch einmal einsehen.
Thut man ihnen überhaupt den Gefallen und geht auf solche unbestimmte
Wünsche ein, so stellt sich dann nicht selten heraus, daß das gesuchte Buch
entweder von einer andern Bibliothek entliehen war, oder daß es mit einem
andern Buche verwechselt worden ist. Wenn das nach zwei, drei Jahren
schon geschieht, um wieviel leichter konnte Kind nach Jahrzehnten von seinem
Gedächtniß im Stiche gelassen werden! Nun steht aber jetzt fest, daß das
"Gespensterbuch" von Apel und Laun in der Hauptsache aus zwei Quellen
geschöpft ist: aus jenen "Unterredungen" und sodann aus einem etwa gleich¬
zeitigen sehr ähnlichen Buche, dem "Höllischem Proteus" des Erasmus Francisci.
(Nürnberg, 1690.) Das letztere Buch besitzt die Leipziger Stadtbibliothek und
besaß es bereits, als Apel und Kind gemeinschaftlich in ihren Schätzen stöberten.
Der Irrthum Kind's lag also sehr nahe.

Als Curiosum möge schließlich noch erwähnt sein, daß Richard Wagner
die phantastischen Ergüsse, die er vor mehr als dreißig Jahren den Franzosen
bei der ersten Pariser Aufführung der Weber'schen Oper zum Besten gab, und
in denen er den "Freischütz" unter die "deutschen Sagen" rechnet und die
"Wolfsschlucht" allen Ernstes ..inmitten jener böhmischen Wälder, so alt wie
die Welt" localisirt. 1871 im ersten Bande seiner gesammelten Schriften und
Dichtungen völlig unbefangen und ohne auch nur eine Silbe der Berichtigung
G. Wustmann. hinzuzufügen, wieder hat mit abdrucken lassen.




Grenzboten !, 1874.53

Novelle, andererseits mit den „Unterredungen von dem Reiche der Geister"
schlagend hervorgeht, direct an Apel sich angelehnt; alles, was aus dem
Originalstoffe überhaupt Gutes gemacht worden ist, das kommt auf Apel's
Rechnung- Den lange gesuchten und nun endlich gefundenen „Quartanten"
aber besitzt die Leipziger Stadtbibliothek nicht und hat ihn nie besessen.
Es liegt also in Kind's „Freischützbuche" sowohl, wie in dem oben mitgetheilten
Briefe entweder ein Gedächtnißfehler oder eine abgeschmackte MYstification
vor. Das letztere halte ich trotz allem, was man über Kind denken mag,
für unwahrscheinlich. Auch Ambros schließt aus zwei Momenten des Text¬
buches, die sich wohl in den „Unterredungen", aber nicht bei Apel wieder¬
finden, daß Kind „das alte Buch auch gekannt habe". Vielleicht ist auch der
Umstand nicht ganz bedeutungslos, daß schon in den „Unterredungen" die
Freischützgeschichte in Böhmen spielt, und daß Kind gerade dies in seinem
Briefe ausdrücklich hervorhebt. Zu den mancherlei seltsamen Erfahrungen,
die man ziemlich häufig auf Bibliotheken machen kann, gehört auch die. daß
Leute kommen und behaupten, sie hätten hier vor zwei oder drei Jahren
einmal das oder jenes Buch mit ungefähr dem und dem Inhalt oder dem
und dem Einband entliehen und möchten es nun gern noch einmal einsehen.
Thut man ihnen überhaupt den Gefallen und geht auf solche unbestimmte
Wünsche ein, so stellt sich dann nicht selten heraus, daß das gesuchte Buch
entweder von einer andern Bibliothek entliehen war, oder daß es mit einem
andern Buche verwechselt worden ist. Wenn das nach zwei, drei Jahren
schon geschieht, um wieviel leichter konnte Kind nach Jahrzehnten von seinem
Gedächtniß im Stiche gelassen werden! Nun steht aber jetzt fest, daß das
„Gespensterbuch" von Apel und Laun in der Hauptsache aus zwei Quellen
geschöpft ist: aus jenen „Unterredungen" und sodann aus einem etwa gleich¬
zeitigen sehr ähnlichen Buche, dem „Höllischem Proteus" des Erasmus Francisci.
(Nürnberg, 1690.) Das letztere Buch besitzt die Leipziger Stadtbibliothek und
besaß es bereits, als Apel und Kind gemeinschaftlich in ihren Schätzen stöberten.
Der Irrthum Kind's lag also sehr nahe.

Als Curiosum möge schließlich noch erwähnt sein, daß Richard Wagner
die phantastischen Ergüsse, die er vor mehr als dreißig Jahren den Franzosen
bei der ersten Pariser Aufführung der Weber'schen Oper zum Besten gab, und
in denen er den „Freischütz" unter die „deutschen Sagen" rechnet und die
„Wolfsschlucht" allen Ernstes ..inmitten jener böhmischen Wälder, so alt wie
die Welt" localisirt. 1871 im ersten Bande seiner gesammelten Schriften und
Dichtungen völlig unbefangen und ohne auch nur eine Silbe der Berichtigung
G. Wustmann. hinzuzufügen, wieder hat mit abdrucken lassen.




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[0423] Novelle, andererseits mit den „Unterredungen von dem Reiche der Geister" schlagend hervorgeht, direct an Apel sich angelehnt; alles, was aus dem Originalstoffe überhaupt Gutes gemacht worden ist, das kommt auf Apel's Rechnung- Den lange gesuchten und nun endlich gefundenen „Quartanten" aber besitzt die Leipziger Stadtbibliothek nicht und hat ihn nie besessen. Es liegt also in Kind's „Freischützbuche" sowohl, wie in dem oben mitgetheilten Briefe entweder ein Gedächtnißfehler oder eine abgeschmackte MYstification vor. Das letztere halte ich trotz allem, was man über Kind denken mag, für unwahrscheinlich. Auch Ambros schließt aus zwei Momenten des Text¬ buches, die sich wohl in den „Unterredungen", aber nicht bei Apel wieder¬ finden, daß Kind „das alte Buch auch gekannt habe". Vielleicht ist auch der Umstand nicht ganz bedeutungslos, daß schon in den „Unterredungen" die Freischützgeschichte in Böhmen spielt, und daß Kind gerade dies in seinem Briefe ausdrücklich hervorhebt. Zu den mancherlei seltsamen Erfahrungen, die man ziemlich häufig auf Bibliotheken machen kann, gehört auch die. daß Leute kommen und behaupten, sie hätten hier vor zwei oder drei Jahren einmal das oder jenes Buch mit ungefähr dem und dem Inhalt oder dem und dem Einband entliehen und möchten es nun gern noch einmal einsehen. Thut man ihnen überhaupt den Gefallen und geht auf solche unbestimmte Wünsche ein, so stellt sich dann nicht selten heraus, daß das gesuchte Buch entweder von einer andern Bibliothek entliehen war, oder daß es mit einem andern Buche verwechselt worden ist. Wenn das nach zwei, drei Jahren schon geschieht, um wieviel leichter konnte Kind nach Jahrzehnten von seinem Gedächtniß im Stiche gelassen werden! Nun steht aber jetzt fest, daß das „Gespensterbuch" von Apel und Laun in der Hauptsache aus zwei Quellen geschöpft ist: aus jenen „Unterredungen" und sodann aus einem etwa gleich¬ zeitigen sehr ähnlichen Buche, dem „Höllischem Proteus" des Erasmus Francisci. (Nürnberg, 1690.) Das letztere Buch besitzt die Leipziger Stadtbibliothek und besaß es bereits, als Apel und Kind gemeinschaftlich in ihren Schätzen stöberten. Der Irrthum Kind's lag also sehr nahe. Als Curiosum möge schließlich noch erwähnt sein, daß Richard Wagner die phantastischen Ergüsse, die er vor mehr als dreißig Jahren den Franzosen bei der ersten Pariser Aufführung der Weber'schen Oper zum Besten gab, und in denen er den „Freischütz" unter die „deutschen Sagen" rechnet und die „Wolfsschlucht" allen Ernstes ..inmitten jener böhmischen Wälder, so alt wie die Welt" localisirt. 1871 im ersten Bande seiner gesammelten Schriften und Dichtungen völlig unbefangen und ohne auch nur eine Silbe der Berichtigung G. Wustmann. hinzuzufügen, wieder hat mit abdrucken lassen. Grenzboten !, 1874.53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/423>, abgerufen am 29.08.2024.