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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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heraus -- von Anfang an in die "royalistische Verschwörung" eingeweiht,
und im Stillen einer ihrer Hauptleiter: im Stillen, denn ein offenes
Eintreten Broglie's für die Sonderbestrebungen gewisser Parteien hätte denn
doch in einem allzuhandgreiflichen Widerspruch gestanden mit der Stellung
und den Pflichten eines Ministeriums, das seinen Stolz darein zu setzen erklärt
hatte, ein Werkzeug der Nationalversammlung zu sein, dessen offenkundige
Thätigkeit in dieser Angelegenheit also erst dann in Anspruch genommen
werden durfte, wenn die Nationalversammlung gesprochen hatte. Außerdem
durfte auch Herr von Broglie die Drohung der beiden bonapartistischen Minister
nicht allzuleicht nehmen, die ihn darüber nicht in Zweifel gelassen hatten, daß
jede offene Betheiligung des leitenden Staatsmanns an den Schritten der
Fusionisten ihren augenblicklichen Rücktritt zur Folge haben würde. Endlich
aber war Broglie keineswegs der Mann dazu, sein ministerielles Dasein un¬
auflöslich an eine Sache zu knüpfen, deren Ausgang, wie hoffnungsvoll sich
die Aussichten der Wiederherstellung des Königthums auch stellen mochten,
doch immerhin noch zweifelhaft war. Broglie war bereit, der königlichen
Sache soweit zu dienen, daß er im Falle des Sieges aus einen Löwenantheil
bet Vertheilung der Beute Anspruch machen konnte, aber er war keineswegs
geneigt, seine eigene Sache für die Erhöhung des Grafen von Chambord aufs
Spiel zu setzen.

Uebrigens waren die Royalisten selbst mit der anfänglich bewahrten
äußeren Zurückhaltung Broglie's durchaus nicht unzufrieden. Ihnen genügte
es vollkommen, die Gewißheit zu haben, daß derselbe ihrer Sache günstig ge¬
sinnt und entschlossen war, jeden Mehrheitsbeschluß der Nationalversammlung
zur Ausführung zu bringen. Sie konnten sich ganz ungestört der Arbeit
hingeben, den erforderlichen Beschluß vorzubereiten. Damit hofften sie, bis
zum November zu Stande zu kommen. Gelang es früher, die Einigung
zwischen allen Betheiltgten zu erzielen, desto besser. Für diesen Fall war
man entschlossen, durch die Permanenzcommission, in der die Royalisten das
entschiedene Uebergewicht hatten, die Nationalversammlung sofort einzuberufen
und von ihr die Wiederherstellung des Königthums proclamiren zu lassen.

Hätte es sich nur um die Verständigung der beiden bourbonischen Par¬
teien gehandelt, so würde man in der That in wenigen Wochen zum Ziele
gekommen sein. Die große Masse der Legitimisten zeigte sich keineswegs
spröde. Der Gedanke an Wiederherstellung der Zustände, welche in den
Falten des Ltlienbanners sich verbargen, erschien ihnen als baare Thorheit,
und eine Beschränkung des Parlamentarismus wäre ihnen schon im eigenen
Interesse unerwünscht gewesen. Dagegen waren einige andere Bedenken und
Schwierigkeiten nicht so leicht zu überwinden, als man gehofft hatte. Die
Hauptschwierigkeit bereitete ihnen der Eigensinn des Grafen von Chambord,


heraus — von Anfang an in die „royalistische Verschwörung" eingeweiht,
und im Stillen einer ihrer Hauptleiter: im Stillen, denn ein offenes
Eintreten Broglie's für die Sonderbestrebungen gewisser Parteien hätte denn
doch in einem allzuhandgreiflichen Widerspruch gestanden mit der Stellung
und den Pflichten eines Ministeriums, das seinen Stolz darein zu setzen erklärt
hatte, ein Werkzeug der Nationalversammlung zu sein, dessen offenkundige
Thätigkeit in dieser Angelegenheit also erst dann in Anspruch genommen
werden durfte, wenn die Nationalversammlung gesprochen hatte. Außerdem
durfte auch Herr von Broglie die Drohung der beiden bonapartistischen Minister
nicht allzuleicht nehmen, die ihn darüber nicht in Zweifel gelassen hatten, daß
jede offene Betheiligung des leitenden Staatsmanns an den Schritten der
Fusionisten ihren augenblicklichen Rücktritt zur Folge haben würde. Endlich
aber war Broglie keineswegs der Mann dazu, sein ministerielles Dasein un¬
auflöslich an eine Sache zu knüpfen, deren Ausgang, wie hoffnungsvoll sich
die Aussichten der Wiederherstellung des Königthums auch stellen mochten,
doch immerhin noch zweifelhaft war. Broglie war bereit, der königlichen
Sache soweit zu dienen, daß er im Falle des Sieges aus einen Löwenantheil
bet Vertheilung der Beute Anspruch machen konnte, aber er war keineswegs
geneigt, seine eigene Sache für die Erhöhung des Grafen von Chambord aufs
Spiel zu setzen.

Uebrigens waren die Royalisten selbst mit der anfänglich bewahrten
äußeren Zurückhaltung Broglie's durchaus nicht unzufrieden. Ihnen genügte
es vollkommen, die Gewißheit zu haben, daß derselbe ihrer Sache günstig ge¬
sinnt und entschlossen war, jeden Mehrheitsbeschluß der Nationalversammlung
zur Ausführung zu bringen. Sie konnten sich ganz ungestört der Arbeit
hingeben, den erforderlichen Beschluß vorzubereiten. Damit hofften sie, bis
zum November zu Stande zu kommen. Gelang es früher, die Einigung
zwischen allen Betheiltgten zu erzielen, desto besser. Für diesen Fall war
man entschlossen, durch die Permanenzcommission, in der die Royalisten das
entschiedene Uebergewicht hatten, die Nationalversammlung sofort einzuberufen
und von ihr die Wiederherstellung des Königthums proclamiren zu lassen.

Hätte es sich nur um die Verständigung der beiden bourbonischen Par¬
teien gehandelt, so würde man in der That in wenigen Wochen zum Ziele
gekommen sein. Die große Masse der Legitimisten zeigte sich keineswegs
spröde. Der Gedanke an Wiederherstellung der Zustände, welche in den
Falten des Ltlienbanners sich verbargen, erschien ihnen als baare Thorheit,
und eine Beschränkung des Parlamentarismus wäre ihnen schon im eigenen
Interesse unerwünscht gewesen. Dagegen waren einige andere Bedenken und
Schwierigkeiten nicht so leicht zu überwinden, als man gehofft hatte. Die
Hauptschwierigkeit bereitete ihnen der Eigensinn des Grafen von Chambord,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/412>, abgerufen am 30.08.2024.