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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Hauses vor der Verlegung galt der Beschlußfassung über die veränderte Ge¬
stalt, welche das Gesetz über die Einführung der bürgerlichen Standesbücher
und die bürgerliche Form der Eheschließung im Herrenhaus erhalten. Die
Abgeordneten bewiesen Zurückhaltung genug, alle Abänderungen des Herren¬
hauses ihrerseits unverändert zu genehmigen. Dadurch ist nicht nur der Ab¬
schluß des so nothwendigen Gesetzes beschleunigt, sondern auch der ernstlichen
Gefahr des Scheiterns entzogen worden. Die Abänderungen des Herren¬
hauses waren übrigens nur Verbesserungen, mit einer einzigen, allerdings sehr
nachtheilig eingreifenden Ausnahme. Diese Ausnahme besteht in dem Be¬
schluß, die Uebernahme der Standesbeamtenfunction für die Vorsteher der
ländlichen Amtsbezirke nicht obligatorisch zu machen. Da nun das Herren¬
haus, was wir billigen, die Übertragung der Standesbeamtenfunktion an
Geistliche durch eine in das Gesetz aufgenommene Bestimmung geradezu ver¬
boten hat, so kann die Regierung mehrfach in die Lage kommen, keine zu
jener Funktion geeigneten Personen zu finden. Der Abgeordnete Windthorst
insinuirte sehr richtig, daß nichts übrig gelassen sei, als der Schulmeister und
der Gensdarm. Trotzdem billigen wir, daß Regierung und Abgeordnetenhaus
den Gesetzentwurf wilder yualiwi' angenommen haben. Es wird möglich sei",
bei der Auswahl der Amtsvorsteher darauf zu achten, daß die gewählten Personen
auch zur Uebernahme der Standesbeamtenfunktion bereit sind. nötigenfalls
kann das Gesetz einmal einen Nachtrag erhalten, durch welchen die Zahl der
zur Uebernahme verpflichteten Personen angemessen vergrößert wird. Das
Wichtigste ist aber, daß der praktische Anfang gemacht ist zu der Einfüh¬
rung einer Institution, die sich gewiß als heilsam bewähren wird. Diejenigen
Aenderungen des Herrenhauses, in welchen wir Verbesserungen erblicken
müssen, beziehen sich unter anderem auf eine an die Geistlichen für den ent¬
stehenden Einnahmeausfall -- durch Verlust der Zeugnißgebuhren u. s. w.
zu gewährende Entschädigung, ferner auf die Beaufsichtigung der Standesbuch¬
führung durch Verwaltungsbehörden, anstatt durch Gerichte u. s. w.

Der Landtag wird nun am/Montag nach Ostern wieder zusammen¬
treten und noch eine große Aufgabe vor sich finden, so daß an eine Be¬
endigung der Arbeiten vor Ende Juni schwerlich zu denken ist. Selbst dabei
muß jedoch vorausgesetzt werden, daß nicht etwa eine Verlängerung der Ver¬
tagung eintritt. Damit aber der Landtag unmittelbar nach Ostern seine
Arbeiten aufnehmen könne, muß der Reichstag die seinigen bis Ostern be¬
endigt haben, was sehr wünschenswert!), aber sehr schwer zu erreichen sein
wird. Wir wollen das Beste hoffen.

Der Umstand, daß in dieser Woche der Reichstag wenig Sitzungen ge¬
halten, gestattet uns, einigermaßen nachzuholen, was wir in dem Bericht
über die Vorwoche bei dem überreichen Stoff versäumen mußten.


GmiMcn I. 1874. 50

Hauses vor der Verlegung galt der Beschlußfassung über die veränderte Ge¬
stalt, welche das Gesetz über die Einführung der bürgerlichen Standesbücher
und die bürgerliche Form der Eheschließung im Herrenhaus erhalten. Die
Abgeordneten bewiesen Zurückhaltung genug, alle Abänderungen des Herren¬
hauses ihrerseits unverändert zu genehmigen. Dadurch ist nicht nur der Ab¬
schluß des so nothwendigen Gesetzes beschleunigt, sondern auch der ernstlichen
Gefahr des Scheiterns entzogen worden. Die Abänderungen des Herren¬
hauses waren übrigens nur Verbesserungen, mit einer einzigen, allerdings sehr
nachtheilig eingreifenden Ausnahme. Diese Ausnahme besteht in dem Be¬
schluß, die Uebernahme der Standesbeamtenfunction für die Vorsteher der
ländlichen Amtsbezirke nicht obligatorisch zu machen. Da nun das Herren¬
haus, was wir billigen, die Übertragung der Standesbeamtenfunktion an
Geistliche durch eine in das Gesetz aufgenommene Bestimmung geradezu ver¬
boten hat, so kann die Regierung mehrfach in die Lage kommen, keine zu
jener Funktion geeigneten Personen zu finden. Der Abgeordnete Windthorst
insinuirte sehr richtig, daß nichts übrig gelassen sei, als der Schulmeister und
der Gensdarm. Trotzdem billigen wir, daß Regierung und Abgeordnetenhaus
den Gesetzentwurf wilder yualiwi' angenommen haben. Es wird möglich sei»,
bei der Auswahl der Amtsvorsteher darauf zu achten, daß die gewählten Personen
auch zur Uebernahme der Standesbeamtenfunktion bereit sind. nötigenfalls
kann das Gesetz einmal einen Nachtrag erhalten, durch welchen die Zahl der
zur Uebernahme verpflichteten Personen angemessen vergrößert wird. Das
Wichtigste ist aber, daß der praktische Anfang gemacht ist zu der Einfüh¬
rung einer Institution, die sich gewiß als heilsam bewähren wird. Diejenigen
Aenderungen des Herrenhauses, in welchen wir Verbesserungen erblicken
müssen, beziehen sich unter anderem auf eine an die Geistlichen für den ent¬
stehenden Einnahmeausfall — durch Verlust der Zeugnißgebuhren u. s. w.
zu gewährende Entschädigung, ferner auf die Beaufsichtigung der Standesbuch¬
führung durch Verwaltungsbehörden, anstatt durch Gerichte u. s. w.

Der Landtag wird nun am/Montag nach Ostern wieder zusammen¬
treten und noch eine große Aufgabe vor sich finden, so daß an eine Be¬
endigung der Arbeiten vor Ende Juni schwerlich zu denken ist. Selbst dabei
muß jedoch vorausgesetzt werden, daß nicht etwa eine Verlängerung der Ver¬
tagung eintritt. Damit aber der Landtag unmittelbar nach Ostern seine
Arbeiten aufnehmen könne, muß der Reichstag die seinigen bis Ostern be¬
endigt haben, was sehr wünschenswert!), aber sehr schwer zu erreichen sein
wird. Wir wollen das Beste hoffen.

Der Umstand, daß in dieser Woche der Reichstag wenig Sitzungen ge¬
halten, gestattet uns, einigermaßen nachzuholen, was wir in dem Bericht
über die Vorwoche bei dem überreichen Stoff versäumen mußten.


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[0399] Hauses vor der Verlegung galt der Beschlußfassung über die veränderte Ge¬ stalt, welche das Gesetz über die Einführung der bürgerlichen Standesbücher und die bürgerliche Form der Eheschließung im Herrenhaus erhalten. Die Abgeordneten bewiesen Zurückhaltung genug, alle Abänderungen des Herren¬ hauses ihrerseits unverändert zu genehmigen. Dadurch ist nicht nur der Ab¬ schluß des so nothwendigen Gesetzes beschleunigt, sondern auch der ernstlichen Gefahr des Scheiterns entzogen worden. Die Abänderungen des Herren¬ hauses waren übrigens nur Verbesserungen, mit einer einzigen, allerdings sehr nachtheilig eingreifenden Ausnahme. Diese Ausnahme besteht in dem Be¬ schluß, die Uebernahme der Standesbeamtenfunction für die Vorsteher der ländlichen Amtsbezirke nicht obligatorisch zu machen. Da nun das Herren¬ haus, was wir billigen, die Übertragung der Standesbeamtenfunktion an Geistliche durch eine in das Gesetz aufgenommene Bestimmung geradezu ver¬ boten hat, so kann die Regierung mehrfach in die Lage kommen, keine zu jener Funktion geeigneten Personen zu finden. Der Abgeordnete Windthorst insinuirte sehr richtig, daß nichts übrig gelassen sei, als der Schulmeister und der Gensdarm. Trotzdem billigen wir, daß Regierung und Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf wilder yualiwi' angenommen haben. Es wird möglich sei», bei der Auswahl der Amtsvorsteher darauf zu achten, daß die gewählten Personen auch zur Uebernahme der Standesbeamtenfunktion bereit sind. nötigenfalls kann das Gesetz einmal einen Nachtrag erhalten, durch welchen die Zahl der zur Uebernahme verpflichteten Personen angemessen vergrößert wird. Das Wichtigste ist aber, daß der praktische Anfang gemacht ist zu der Einfüh¬ rung einer Institution, die sich gewiß als heilsam bewähren wird. Diejenigen Aenderungen des Herrenhauses, in welchen wir Verbesserungen erblicken müssen, beziehen sich unter anderem auf eine an die Geistlichen für den ent¬ stehenden Einnahmeausfall — durch Verlust der Zeugnißgebuhren u. s. w. zu gewährende Entschädigung, ferner auf die Beaufsichtigung der Standesbuch¬ führung durch Verwaltungsbehörden, anstatt durch Gerichte u. s. w. Der Landtag wird nun am/Montag nach Ostern wieder zusammen¬ treten und noch eine große Aufgabe vor sich finden, so daß an eine Be¬ endigung der Arbeiten vor Ende Juni schwerlich zu denken ist. Selbst dabei muß jedoch vorausgesetzt werden, daß nicht etwa eine Verlängerung der Ver¬ tagung eintritt. Damit aber der Landtag unmittelbar nach Ostern seine Arbeiten aufnehmen könne, muß der Reichstag die seinigen bis Ostern be¬ endigt haben, was sehr wünschenswert!), aber sehr schwer zu erreichen sein wird. Wir wollen das Beste hoffen. Der Umstand, daß in dieser Woche der Reichstag wenig Sitzungen ge¬ halten, gestattet uns, einigermaßen nachzuholen, was wir in dem Bericht über die Vorwoche bei dem überreichen Stoff versäumen mußten. GmiMcn I. 1874. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/399>, abgerufen am 22.07.2024.