Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.übereilte Schritt mußte nicht allein das preußische Ehrgefühl lebhaft reizen übereilte Schritt mußte nicht allein das preußische Ehrgefühl lebhaft reizen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131022"/> <p xml:id="ID_1101" prev="#ID_1100" next="#ID_1102"> übereilte Schritt mußte nicht allein das preußische Ehrgefühl lebhaft reizen<lb/> und dadurch Bismarck's Stellung befestigen, sondern er rückte auch den Aus¬<lb/> bruch der Feindseligkeiten weit näher, als man bislang hatte annehmen können.<lb/> Der preußische Ministerpräsident, unerschöpflich an Plänen und geschmeidig<lb/> wie keiner, sie den jedesmaligen Umständen anzupassen, gründete darauf einen<lb/> neuen Borschlag. Man solle, so empfahl er, in den allgemeinen Freund¬<lb/> schaftsvertrag, von dem am 14. die Rede gewesen war, die Bestimmung<lb/> aufnehmen, daß beim Eintritt gewisser kriegerischer Eventualitäten so¬<lb/> fort ein schon jetzt zu vereinbarendes Schutz- und Trutzbündniß in Kraft<lb/> trete. Aber auch damit kam er schlecht an. Barral und Govone wußten<lb/> nicht, was sie aus diesen stets wechselnden Vorschlägen, deren gemeinsamen<lb/> Grundzug sie nicht zu erkennen vermochten, machen sollten, und vollends dem<lb/> unglücklichen Lamarmora ward ganz wirr im Kopf, da ihm der Telegraph<lb/> jeden Tag ein anderes Project meldete. Zu allem Ueberfluß fing nun gar<lb/> sein eigener Gesandter noch an, durch selbständige Vorschläge seine Confusion<lb/> zu vermehren. Barral fragte nämlich am 21., ob es nicht vielleicht gut wäre,<lb/> das von Bismarck in erster Linie am 14. März vorgeschlagene sofortige Kriegs-<lb/> bündniß mit der Einschränkung anzunehmen, daß es hinfällig sein solle, wenn<lb/> der Krieg nicht binnen zwei Monaten ausgebrochen sei. Jetzt war Lamar¬<lb/> mora ganz durchhin, und was noch lächerlicher ist, er mäkelt auch nachträg-<lb/> lich, um sich zu entschuldigen, noch an Barral's Telegramm herum und will<lb/> es als zweideutig hinstellen: er habe nicht daraus ersehen können, ob die<lb/> zweimonatliche Frist für den vorgeschlagenen allgemeinen Freundschaftsvertrag<lb/> oder für das Kriegsbündniß habe gelten sollen. Glücklicher Weise war Barral<lb/> resoluter als sein Auftraggeber, und Bismarck zugänglicher für fremde Vor¬<lb/> schläge als Govone. Am 23. März verständigten sich der preußische Minister<lb/> und der italienische Gesandte dahin, des Letzteren Vorschlag festzuhalten und<lb/> auszuarbeiten, mit der einzigen Aenderung, daß statt zweier drei Monate<lb/> Gültigkeit für das projectirte Bündniß stipulirt werden sollten. Nachricht<lb/> von dieser Verständigung wurde sogleich an Lamarmora gesandt. Aber gegen<lb/> diesen schien sich jetzt Alles verschworen zu haben. Den festen Boden, den er<lb/> nun glücklich (und wahrlich ohne sein Verdienst) unter den Füßen zu haben<lb/> glaubte, entriß ihm grausam ein Telegramm Nigras vom selben Tage, das<lb/> ihm meldete-. Meine Ansicht ist, man müsse sich für den Augenblick auf den<lb/> allgemeinen Freundschaftsvertrag beschränken. „Meine Ansicht ist!" Welch<lb/> unglückliche Zweideutigkeit war das wieder! Sollte das heißen: meine Pri¬<lb/> vatansicht, oder steckte dahinter der Rath des Kaisers? Das mußte um jeden<lb/> Preis ergründet werden; denn welches Unglück wäre es gewesen, wenn man<lb/> gegen Napoleon's Willen das dreimonatliche Schutz- und Trutzbündniß<lb/> angenommen hätte! Noch am selben Tage ersuchte also Lamarmora den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
übereilte Schritt mußte nicht allein das preußische Ehrgefühl lebhaft reizen
und dadurch Bismarck's Stellung befestigen, sondern er rückte auch den Aus¬
bruch der Feindseligkeiten weit näher, als man bislang hatte annehmen können.
Der preußische Ministerpräsident, unerschöpflich an Plänen und geschmeidig
wie keiner, sie den jedesmaligen Umständen anzupassen, gründete darauf einen
neuen Borschlag. Man solle, so empfahl er, in den allgemeinen Freund¬
schaftsvertrag, von dem am 14. die Rede gewesen war, die Bestimmung
aufnehmen, daß beim Eintritt gewisser kriegerischer Eventualitäten so¬
fort ein schon jetzt zu vereinbarendes Schutz- und Trutzbündniß in Kraft
trete. Aber auch damit kam er schlecht an. Barral und Govone wußten
nicht, was sie aus diesen stets wechselnden Vorschlägen, deren gemeinsamen
Grundzug sie nicht zu erkennen vermochten, machen sollten, und vollends dem
unglücklichen Lamarmora ward ganz wirr im Kopf, da ihm der Telegraph
jeden Tag ein anderes Project meldete. Zu allem Ueberfluß fing nun gar
sein eigener Gesandter noch an, durch selbständige Vorschläge seine Confusion
zu vermehren. Barral fragte nämlich am 21., ob es nicht vielleicht gut wäre,
das von Bismarck in erster Linie am 14. März vorgeschlagene sofortige Kriegs-
bündniß mit der Einschränkung anzunehmen, daß es hinfällig sein solle, wenn
der Krieg nicht binnen zwei Monaten ausgebrochen sei. Jetzt war Lamar¬
mora ganz durchhin, und was noch lächerlicher ist, er mäkelt auch nachträg-
lich, um sich zu entschuldigen, noch an Barral's Telegramm herum und will
es als zweideutig hinstellen: er habe nicht daraus ersehen können, ob die
zweimonatliche Frist für den vorgeschlagenen allgemeinen Freundschaftsvertrag
oder für das Kriegsbündniß habe gelten sollen. Glücklicher Weise war Barral
resoluter als sein Auftraggeber, und Bismarck zugänglicher für fremde Vor¬
schläge als Govone. Am 23. März verständigten sich der preußische Minister
und der italienische Gesandte dahin, des Letzteren Vorschlag festzuhalten und
auszuarbeiten, mit der einzigen Aenderung, daß statt zweier drei Monate
Gültigkeit für das projectirte Bündniß stipulirt werden sollten. Nachricht
von dieser Verständigung wurde sogleich an Lamarmora gesandt. Aber gegen
diesen schien sich jetzt Alles verschworen zu haben. Den festen Boden, den er
nun glücklich (und wahrlich ohne sein Verdienst) unter den Füßen zu haben
glaubte, entriß ihm grausam ein Telegramm Nigras vom selben Tage, das
ihm meldete-. Meine Ansicht ist, man müsse sich für den Augenblick auf den
allgemeinen Freundschaftsvertrag beschränken. „Meine Ansicht ist!" Welch
unglückliche Zweideutigkeit war das wieder! Sollte das heißen: meine Pri¬
vatansicht, oder steckte dahinter der Rath des Kaisers? Das mußte um jeden
Preis ergründet werden; denn welches Unglück wäre es gewesen, wenn man
gegen Napoleon's Willen das dreimonatliche Schutz- und Trutzbündniß
angenommen hätte! Noch am selben Tage ersuchte also Lamarmora den
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