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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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den Gang der großen Reichspolitik ja ohne Bedeutung, nur auf das fernere
Schicksal des Reichslandcs werden sie von bestimmenden Einfluß sein. Und
gerade deshalb hat die Regierung selbst das größte Interesse daran, daß der
Wille der Bevölkerung seinen ungetrübten Ausdruck finde. Bekanntlich hat
der Reichskanzler wiederholt die Bereitwilligkeit angedeutet, dem Reichslande
sobald nur möglich eine weitergehende Selbständigkeit zu geben. Die bevor¬
stehenden Wahlen werden den einfachsten Maßstab abgeben, ob dieser
Augenblick bereits gekommen ist. Fallen sie gemäßigt, resp, deutschfreundlich
aus, um so besser! Aber die Regierung hat jedenfalls keine Veranlassung,
günstige Wahlresultate zu machen und sich dadurch der triftigsten Argumente
für die Aufrechterhaltung des Provisoriums zu berauben, während der diesen
Argumenten zu Grunde liegende thatsächliche Zustand unverändert fortbestände.

Uebrigens wird, selbst beim günstigsten Ausfall, das Problem der Zu¬
kunft des Neichslcmdes ein äußerst schwieriges bleiben. Namentlich über das
Maß der Autonomie wird ein Einklang zwischen den Wünschen der Elsaß-
Lothringer und der Bereitwilligkeit der legislativen Factoren des Reichs nicht
so leicht zu erzielen sein. Die Elsässer urtheilen so: das Reichsland kann
alle Attribute der Staatsgewalt beanspruchen, welche nicht durch die Reichs¬
verfassung ausdrücklich dem Reiche vorbehalten werden, also ganz die gleiche
Selbständigkeit, wie die übrigen Bundesstaaten. Da wir aber keine elsaß-
lothriugische Dynastie besitzen, so sind wir Republik und haben das Recht,
uns nach Weise der Hansestädte selbst zu regieren. Die einfache Folge würde
sein, daß Elsaß-Lothringen sich eine republikanische Verfassung und Verwal¬
tung gäbe, in welche ihm Kaiser und Reich, solange es die durch die Reichs-
verfassung ihm auferlegten Pflichten erfüllte, durchaus nichts dreinzureden
haben. Die Staatsgewalt dieser Republik hätte natürlich das Recht, die
Landesbeamten zu ernennen und zu entlassen; auch die Vertreter Elsaß-
Lothringens im Bundesrathe würde sie zu bestellen haben. Natürlich würde
das Land allmählig von dem importirten deutschen Beamtenthum gesäubert
werden, und so würde schließlich wenigstens theilweise der Plan jener trefflichen
Staatskünstler verwirklicht werden, welche bei der Losreißung von Frankreich
aus Elsaß-Lothringen einen neutralen Freistaat zu machen vorschlugen. Wir
denken nicht daran, unsern heutigen Autonomisten den nur allzu durchsichtigen
Hintergedanken jenes Planes unterzuschieben; der Mangel der Neutralität, die
feste Position des Reichs in den elsaßlothringischen Festungen, die nach
Art. 68 der Reichsverfassung dem Kaiser zustehende Befugniß der Verhängung
des Belagerungszustandes würden einer direct französischen Politik ohnehin
einen Riegel vorschieben. Aber daß die Republik Elsaß-Lothringen die Wieder¬
verschmelzung des urdeutschen Landstrichs mit dem alten Mutterlande auf
immer verhindern würde, liegt auf der Hand. Und derartiges haben Deutsch-


den Gang der großen Reichspolitik ja ohne Bedeutung, nur auf das fernere
Schicksal des Reichslandcs werden sie von bestimmenden Einfluß sein. Und
gerade deshalb hat die Regierung selbst das größte Interesse daran, daß der
Wille der Bevölkerung seinen ungetrübten Ausdruck finde. Bekanntlich hat
der Reichskanzler wiederholt die Bereitwilligkeit angedeutet, dem Reichslande
sobald nur möglich eine weitergehende Selbständigkeit zu geben. Die bevor¬
stehenden Wahlen werden den einfachsten Maßstab abgeben, ob dieser
Augenblick bereits gekommen ist. Fallen sie gemäßigt, resp, deutschfreundlich
aus, um so besser! Aber die Regierung hat jedenfalls keine Veranlassung,
günstige Wahlresultate zu machen und sich dadurch der triftigsten Argumente
für die Aufrechterhaltung des Provisoriums zu berauben, während der diesen
Argumenten zu Grunde liegende thatsächliche Zustand unverändert fortbestände.

Uebrigens wird, selbst beim günstigsten Ausfall, das Problem der Zu¬
kunft des Neichslcmdes ein äußerst schwieriges bleiben. Namentlich über das
Maß der Autonomie wird ein Einklang zwischen den Wünschen der Elsaß-
Lothringer und der Bereitwilligkeit der legislativen Factoren des Reichs nicht
so leicht zu erzielen sein. Die Elsässer urtheilen so: das Reichsland kann
alle Attribute der Staatsgewalt beanspruchen, welche nicht durch die Reichs¬
verfassung ausdrücklich dem Reiche vorbehalten werden, also ganz die gleiche
Selbständigkeit, wie die übrigen Bundesstaaten. Da wir aber keine elsaß-
lothriugische Dynastie besitzen, so sind wir Republik und haben das Recht,
uns nach Weise der Hansestädte selbst zu regieren. Die einfache Folge würde
sein, daß Elsaß-Lothringen sich eine republikanische Verfassung und Verwal¬
tung gäbe, in welche ihm Kaiser und Reich, solange es die durch die Reichs-
verfassung ihm auferlegten Pflichten erfüllte, durchaus nichts dreinzureden
haben. Die Staatsgewalt dieser Republik hätte natürlich das Recht, die
Landesbeamten zu ernennen und zu entlassen; auch die Vertreter Elsaß-
Lothringens im Bundesrathe würde sie zu bestellen haben. Natürlich würde
das Land allmählig von dem importirten deutschen Beamtenthum gesäubert
werden, und so würde schließlich wenigstens theilweise der Plan jener trefflichen
Staatskünstler verwirklicht werden, welche bei der Losreißung von Frankreich
aus Elsaß-Lothringen einen neutralen Freistaat zu machen vorschlugen. Wir
denken nicht daran, unsern heutigen Autonomisten den nur allzu durchsichtigen
Hintergedanken jenes Planes unterzuschieben; der Mangel der Neutralität, die
feste Position des Reichs in den elsaßlothringischen Festungen, die nach
Art. 68 der Reichsverfassung dem Kaiser zustehende Befugniß der Verhängung
des Belagerungszustandes würden einer direct französischen Politik ohnehin
einen Riegel vorschieben. Aber daß die Republik Elsaß-Lothringen die Wieder¬
verschmelzung des urdeutschen Landstrichs mit dem alten Mutterlande auf
immer verhindern würde, liegt auf der Hand. Und derartiges haben Deutsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/37>, abgerufen am 23.07.2024.