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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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heit, nach der überall das einzelne Individuum zur vollen Geltung gelangen
will, gestattet ein gewissermaßen entsagendes Aufgehen im Ganzen, in der
durch Freundschaftsbande zusammengefügten Gemeinschaft, nicht. Jeder zieht
eben seinen eigenen Weg, und vergeblich suchen wir nach jenem imponirenden
Gemeingeist, nach jenem chevaleresken Hauch, der das deutsche Studentenwesen
durchweht, nach jenem tiefsinnigen Hang zur Freundschaft, zu treuem An-
einanderschließen; vergeblich auch nach jenen harmlosen Freuden, die selbst den
verpöntem Trinkgelagen und Bierreisen einen eigenthümlichen Reiz verleihen.
Unsere französische Freundin hat allerdings Recht, wenn sie behauptet, daß
ihre studirenden Landsleute, obwohl sie nicht gerade den Mäßigkeitsvereinlern
zuzählen, doch nicht entfernt die Biervertilgungsfertigkeit eines deutschen Stu¬
denten erreichen, auch nicht die Gewohnheit haben, sich gegenseitig die Gesichter
zu zerfetzen. Der französische Student allerdings "paukt" nicht, und wenn
er überhaupt eine Ahnung von der Fechtkunst hat, so kennt er gewöhnlich
nur das Floret, -- denn der Romane, man verzeihe diese wissenschaftlich längst
verworfene allgemeine Bezeichnung, der Romane sticht; während der biedere
Deutsche mit besonderer Vorliebe haut. Indessen kennt die Schule der so¬
genannten "-M-öWe dran^iso" noch einige andere Kunstfertigkeiten, z. B.
die, mit der Faust einen überraschenden und betäubenden Hieb ins Gesicht,
oder mit dem Fuß, insbesondere mit dem Hacken einen vernichtenden Tritt
gegen den Unterleib des Gegners zu führen, welche Fertigkeit uns für einen
"Mntlkinlm" immer einigermaßen unziemlich hat erscheinen wollen.

In die Verlegenheit, einen Wassergang für die Couleur oder ein plato¬
nisch geliebtes "Gretchen" machen zu müssen, kann der gallische Student über¬
haupt so leicht nicht gerathen; hiergegen schützt er sich von vornherein, indem
er keiner Couleur gehört, und den Gegenstand seines Herzens in Gestalt einer "Ille¬
gitimen" in seine unmittelbare Nähe, d.h. in seine vier Pfähle versetzt. Wir berühren
hier eine Sitte, die nicht allein unter den Studenten der Hauptstadt, sondern auch
unter denen der Provinz, die im Ganzen einen getreuen Abklatsch ihrer Kollegen
aus dem Quartier Ladin bilden, ziemlich allgemein ist. Der studirende Jüng¬
ling hat eine beständige Genossin seiner Studien, seiner akademischen Freuden
und Leiden, eine "vtuäikntv", die seinem Haushalte vorsteht. Freilich giebt
es noch eine andere Species, eine Art Halbstudentinnen, die dem Stande der
"Grisetten" angehören und sich^ als ehrbare Handschuhmacherinnen, Räche¬
rinnen. Plätterinnen, Stickerinnen und andere auf "innen"ausgehende Evastöchter
thätig erweisen, ihre arbeitslose Zeit aber dem liebebedürftigen Musensöhne
widmen. Mit der 6tuäikmte oder Grisette speist der Student zu Mittag und
zu Abend in einem Restaurant, in welchem er mit seiner Pseudo-Gemahlin zu
ermäßigtem Preise abonnirt ist; nachdem auch der obligate "mana^-im" ge¬
meinschaftlich eingenommen, tritt, je nachdem Lima sich im. abnehmenden oder


heit, nach der überall das einzelne Individuum zur vollen Geltung gelangen
will, gestattet ein gewissermaßen entsagendes Aufgehen im Ganzen, in der
durch Freundschaftsbande zusammengefügten Gemeinschaft, nicht. Jeder zieht
eben seinen eigenen Weg, und vergeblich suchen wir nach jenem imponirenden
Gemeingeist, nach jenem chevaleresken Hauch, der das deutsche Studentenwesen
durchweht, nach jenem tiefsinnigen Hang zur Freundschaft, zu treuem An-
einanderschließen; vergeblich auch nach jenen harmlosen Freuden, die selbst den
verpöntem Trinkgelagen und Bierreisen einen eigenthümlichen Reiz verleihen.
Unsere französische Freundin hat allerdings Recht, wenn sie behauptet, daß
ihre studirenden Landsleute, obwohl sie nicht gerade den Mäßigkeitsvereinlern
zuzählen, doch nicht entfernt die Biervertilgungsfertigkeit eines deutschen Stu¬
denten erreichen, auch nicht die Gewohnheit haben, sich gegenseitig die Gesichter
zu zerfetzen. Der französische Student allerdings „paukt" nicht, und wenn
er überhaupt eine Ahnung von der Fechtkunst hat, so kennt er gewöhnlich
nur das Floret, — denn der Romane, man verzeihe diese wissenschaftlich längst
verworfene allgemeine Bezeichnung, der Romane sticht; während der biedere
Deutsche mit besonderer Vorliebe haut. Indessen kennt die Schule der so¬
genannten „-M-öWe dran^iso" noch einige andere Kunstfertigkeiten, z. B.
die, mit der Faust einen überraschenden und betäubenden Hieb ins Gesicht,
oder mit dem Fuß, insbesondere mit dem Hacken einen vernichtenden Tritt
gegen den Unterleib des Gegners zu führen, welche Fertigkeit uns für einen
„Mntlkinlm" immer einigermaßen unziemlich hat erscheinen wollen.

In die Verlegenheit, einen Wassergang für die Couleur oder ein plato¬
nisch geliebtes „Gretchen" machen zu müssen, kann der gallische Student über¬
haupt so leicht nicht gerathen; hiergegen schützt er sich von vornherein, indem
er keiner Couleur gehört, und den Gegenstand seines Herzens in Gestalt einer „Ille¬
gitimen" in seine unmittelbare Nähe, d.h. in seine vier Pfähle versetzt. Wir berühren
hier eine Sitte, die nicht allein unter den Studenten der Hauptstadt, sondern auch
unter denen der Provinz, die im Ganzen einen getreuen Abklatsch ihrer Kollegen
aus dem Quartier Ladin bilden, ziemlich allgemein ist. Der studirende Jüng¬
ling hat eine beständige Genossin seiner Studien, seiner akademischen Freuden
und Leiden, eine „vtuäikntv", die seinem Haushalte vorsteht. Freilich giebt
es noch eine andere Species, eine Art Halbstudentinnen, die dem Stande der
„Grisetten" angehören und sich^ als ehrbare Handschuhmacherinnen, Räche¬
rinnen. Plätterinnen, Stickerinnen und andere auf „innen"ausgehende Evastöchter
thätig erweisen, ihre arbeitslose Zeit aber dem liebebedürftigen Musensöhne
widmen. Mit der 6tuäikmte oder Grisette speist der Student zu Mittag und
zu Abend in einem Restaurant, in welchem er mit seiner Pseudo-Gemahlin zu
ermäßigtem Preise abonnirt ist; nachdem auch der obligate „mana^-im" ge¬
meinschaftlich eingenommen, tritt, je nachdem Lima sich im. abnehmenden oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/350>, abgerufen am 26.12.2024.