Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sagt: lerne mir das (!) -- wo es uns begegnet, zu bekämpfen? Solchen
Gallicismen nun vollends, die noch nicht festen Fuß gefaßt haben, die eben
noch im Begriff sind, sich einzuschleichen, gilt es, bei jeder Gelegenheit auf
den Dienst zu lauern, ein strenges Verhör mit ihnen anzustellen, und sie ohne
Gnade über die Grenze zurückzuspediren, wenn sie die Nothwendigkeit ihres
Aufenthaltes in Landen deutscher Zunge nicht auf's überzeugendste nach¬
weisen können. Zu diesen gehören aber unsers Erachtens alle diejenigen, die
wir oben angeführt haben. Man kann freilich auch hier noch Unterschiede
machen. Einzelne von ihnen würden ja im Deutschen ganz erträglich sein,
aber sie sind eben nicht deutsch, und sie sind mindestens überflüssig. Dahin
gehört z. B. "zu den Füßen jemandes fallen" anstatt "einem zu Füßen
fallen." Es braucht auch gar nicht Nachlässigkeit zu sein, die das massen¬
hafte Eindringen dieser und ähnlicher Wendungen verschuldet hat. Möglich,
sogar wahrscheinlich, daß gerade eine gewisse pedantische Schulfuchserei, die
sich den Anschein sprachlicher Correctheit geben möchte, diese Wendungen ab¬
sichtlich bevorzugt hat. Giebt es doch Leute genug, die gerade so viel sprach"
liebe Bildung haben -- namentlich wenn sie die classischen Sprachen nicht
kennen --, daß sie in gewissen Fällen wohl die zweifelnde Frage aufwerfen
können: "Ist das auch richtig?" deren Sprachkenntniß aber nicht so weit
reicht, diese Frage nun auch mit "ja" beantworten zu können. Durch solche
wohlmeinende und übereifrige Halbbildung, die wohl zu zweifeln, aber die
Zweifel nicht zu lösen weiß, werden mehr Irrthümer verschuldet, als man
glauben sollte. Eine ändere Art von Gallicismen, und zu ihr zählen die
meisten oben angeführten, würden sich zwar grammatisch zur Noth auch bei
uns rechtfertigen lassen; aber sie sind im Deutschen mehr als überflüssig: sie
sind schleppend, steif, gekünstelt, undeutlich. Wie widerwärtig ist die Nach¬
äfferei der französischen Parlicipia! Wie geschraubt klingen sie deutsch, was
für alberne Zweideutigkeiten entstehen oft dadurch, welches Quantum von
gutem Willen gehört dazu, sie stets richtig zu beziehen! Und nun sehe man
sie näher an: nicht ein einziges ist darunter, das sich nicht sofort in den
deutlichsten, fließendsten, wohlklingendsten Nebensatz auflösen ließe. Was
klingt wohl vernünftiger und besser: "Vor der Hausthüre angekommen
öffnete sich diese geräuschlos" oder "Als man vor der Hausthüre angekommen
war, öffnete sich diese geräuschlos" -- "die nöthigen Dehors vor den Leuten
berücksichtigt können wir unsern Neigungen nachgehen" oder "wenn wir nur die
nöthigen Dehors vor den Leuten berücksichtigen, so können wir unsern Nei¬
gungen nachgehen"? Endlich bleibt noch eine dritte Art übrig, bei denen es
sich nicht mehr darum handelt, ob sie übe>flüssig, aber vielleicht richtig, ob sie
richtig, aber vielleicht unschön sind, sondern hie eben nach deutschen Denk¬
begriffen einen groben Verstoß gegen die Logik enthalten. Man könnte ein-


sagt: lerne mir das (!) — wo es uns begegnet, zu bekämpfen? Solchen
Gallicismen nun vollends, die noch nicht festen Fuß gefaßt haben, die eben
noch im Begriff sind, sich einzuschleichen, gilt es, bei jeder Gelegenheit auf
den Dienst zu lauern, ein strenges Verhör mit ihnen anzustellen, und sie ohne
Gnade über die Grenze zurückzuspediren, wenn sie die Nothwendigkeit ihres
Aufenthaltes in Landen deutscher Zunge nicht auf's überzeugendste nach¬
weisen können. Zu diesen gehören aber unsers Erachtens alle diejenigen, die
wir oben angeführt haben. Man kann freilich auch hier noch Unterschiede
machen. Einzelne von ihnen würden ja im Deutschen ganz erträglich sein,
aber sie sind eben nicht deutsch, und sie sind mindestens überflüssig. Dahin
gehört z. B. „zu den Füßen jemandes fallen" anstatt „einem zu Füßen
fallen." Es braucht auch gar nicht Nachlässigkeit zu sein, die das massen¬
hafte Eindringen dieser und ähnlicher Wendungen verschuldet hat. Möglich,
sogar wahrscheinlich, daß gerade eine gewisse pedantische Schulfuchserei, die
sich den Anschein sprachlicher Correctheit geben möchte, diese Wendungen ab¬
sichtlich bevorzugt hat. Giebt es doch Leute genug, die gerade so viel sprach«
liebe Bildung haben — namentlich wenn sie die classischen Sprachen nicht
kennen —, daß sie in gewissen Fällen wohl die zweifelnde Frage aufwerfen
können: „Ist das auch richtig?" deren Sprachkenntniß aber nicht so weit
reicht, diese Frage nun auch mit „ja" beantworten zu können. Durch solche
wohlmeinende und übereifrige Halbbildung, die wohl zu zweifeln, aber die
Zweifel nicht zu lösen weiß, werden mehr Irrthümer verschuldet, als man
glauben sollte. Eine ändere Art von Gallicismen, und zu ihr zählen die
meisten oben angeführten, würden sich zwar grammatisch zur Noth auch bei
uns rechtfertigen lassen; aber sie sind im Deutschen mehr als überflüssig: sie
sind schleppend, steif, gekünstelt, undeutlich. Wie widerwärtig ist die Nach¬
äfferei der französischen Parlicipia! Wie geschraubt klingen sie deutsch, was
für alberne Zweideutigkeiten entstehen oft dadurch, welches Quantum von
gutem Willen gehört dazu, sie stets richtig zu beziehen! Und nun sehe man
sie näher an: nicht ein einziges ist darunter, das sich nicht sofort in den
deutlichsten, fließendsten, wohlklingendsten Nebensatz auflösen ließe. Was
klingt wohl vernünftiger und besser: „Vor der Hausthüre angekommen
öffnete sich diese geräuschlos" oder „Als man vor der Hausthüre angekommen
war, öffnete sich diese geräuschlos" — „die nöthigen Dehors vor den Leuten
berücksichtigt können wir unsern Neigungen nachgehen" oder „wenn wir nur die
nöthigen Dehors vor den Leuten berücksichtigen, so können wir unsern Nei¬
gungen nachgehen"? Endlich bleibt noch eine dritte Art übrig, bei denen es
sich nicht mehr darum handelt, ob sie übe>flüssig, aber vielleicht richtig, ob sie
richtig, aber vielleicht unschön sind, sondern hie eben nach deutschen Denk¬
begriffen einen groben Verstoß gegen die Logik enthalten. Man könnte ein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130982"/>
          <p xml:id="ID_1004" prev="#ID_1003" next="#ID_1005"> sagt: lerne mir das (!) &#x2014; wo es uns begegnet, zu bekämpfen? Solchen<lb/>
Gallicismen nun vollends, die noch nicht festen Fuß gefaßt haben, die eben<lb/>
noch im Begriff sind, sich einzuschleichen, gilt es, bei jeder Gelegenheit auf<lb/>
den Dienst zu lauern, ein strenges Verhör mit ihnen anzustellen, und sie ohne<lb/>
Gnade über die Grenze zurückzuspediren, wenn sie die Nothwendigkeit ihres<lb/>
Aufenthaltes in Landen deutscher Zunge nicht auf's überzeugendste nach¬<lb/>
weisen können. Zu diesen gehören aber unsers Erachtens alle diejenigen, die<lb/>
wir oben angeführt haben.  Man kann freilich auch hier noch Unterschiede<lb/>
machen. Einzelne von ihnen würden ja im Deutschen ganz erträglich sein,<lb/>
aber sie sind eben nicht deutsch, und sie sind mindestens überflüssig. Dahin<lb/>
gehört z. B. &#x201E;zu den Füßen jemandes fallen" anstatt &#x201E;einem zu Füßen<lb/>
fallen."  Es braucht auch gar nicht Nachlässigkeit zu sein, die das massen¬<lb/>
hafte Eindringen dieser und ähnlicher Wendungen verschuldet hat. Möglich,<lb/>
sogar wahrscheinlich, daß gerade eine gewisse pedantische Schulfuchserei, die<lb/>
sich den Anschein sprachlicher Correctheit geben möchte, diese Wendungen ab¬<lb/>
sichtlich bevorzugt hat. Giebt es doch Leute genug, die gerade so viel sprach«<lb/>
liebe Bildung haben &#x2014; namentlich wenn sie die classischen Sprachen nicht<lb/>
kennen &#x2014;, daß sie in gewissen Fällen wohl die zweifelnde Frage aufwerfen<lb/>
können: &#x201E;Ist das auch richtig?" deren Sprachkenntniß aber nicht so weit<lb/>
reicht, diese Frage nun auch mit &#x201E;ja" beantworten zu können.  Durch solche<lb/>
wohlmeinende und übereifrige Halbbildung, die wohl zu zweifeln, aber die<lb/>
Zweifel nicht zu lösen weiß, werden mehr Irrthümer verschuldet, als man<lb/>
glauben sollte. Eine ändere Art von Gallicismen, und zu ihr zählen die<lb/>
meisten oben angeführten, würden sich zwar grammatisch zur Noth auch bei<lb/>
uns rechtfertigen lassen; aber sie sind im Deutschen mehr als überflüssig: sie<lb/>
sind schleppend, steif, gekünstelt, undeutlich.  Wie widerwärtig ist die Nach¬<lb/>
äfferei der französischen Parlicipia! Wie geschraubt klingen sie deutsch, was<lb/>
für alberne Zweideutigkeiten entstehen oft dadurch, welches Quantum von<lb/>
gutem Willen gehört dazu, sie stets richtig zu beziehen! Und nun sehe man<lb/>
sie näher an: nicht ein einziges ist darunter, das sich nicht sofort in den<lb/>
deutlichsten, fließendsten, wohlklingendsten Nebensatz auflösen ließe. Was<lb/>
klingt wohl vernünftiger und besser: &#x201E;Vor der Hausthüre angekommen<lb/>
öffnete sich diese geräuschlos" oder &#x201E;Als man vor der Hausthüre angekommen<lb/>
war, öffnete sich diese geräuschlos" &#x2014; &#x201E;die nöthigen Dehors vor den Leuten<lb/>
berücksichtigt können wir unsern Neigungen nachgehen" oder &#x201E;wenn wir nur die<lb/>
nöthigen Dehors vor den Leuten berücksichtigen, so können wir unsern Nei¬<lb/>
gungen nachgehen"? Endlich bleibt noch eine dritte Art übrig, bei denen es<lb/>
sich nicht mehr darum handelt, ob sie übe&gt;flüssig, aber vielleicht richtig, ob sie<lb/>
richtig, aber vielleicht unschön sind, sondern hie eben nach deutschen Denk¬<lb/>
begriffen einen groben Verstoß gegen die Logik enthalten. Man könnte ein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] sagt: lerne mir das (!) — wo es uns begegnet, zu bekämpfen? Solchen Gallicismen nun vollends, die noch nicht festen Fuß gefaßt haben, die eben noch im Begriff sind, sich einzuschleichen, gilt es, bei jeder Gelegenheit auf den Dienst zu lauern, ein strenges Verhör mit ihnen anzustellen, und sie ohne Gnade über die Grenze zurückzuspediren, wenn sie die Nothwendigkeit ihres Aufenthaltes in Landen deutscher Zunge nicht auf's überzeugendste nach¬ weisen können. Zu diesen gehören aber unsers Erachtens alle diejenigen, die wir oben angeführt haben. Man kann freilich auch hier noch Unterschiede machen. Einzelne von ihnen würden ja im Deutschen ganz erträglich sein, aber sie sind eben nicht deutsch, und sie sind mindestens überflüssig. Dahin gehört z. B. „zu den Füßen jemandes fallen" anstatt „einem zu Füßen fallen." Es braucht auch gar nicht Nachlässigkeit zu sein, die das massen¬ hafte Eindringen dieser und ähnlicher Wendungen verschuldet hat. Möglich, sogar wahrscheinlich, daß gerade eine gewisse pedantische Schulfuchserei, die sich den Anschein sprachlicher Correctheit geben möchte, diese Wendungen ab¬ sichtlich bevorzugt hat. Giebt es doch Leute genug, die gerade so viel sprach« liebe Bildung haben — namentlich wenn sie die classischen Sprachen nicht kennen —, daß sie in gewissen Fällen wohl die zweifelnde Frage aufwerfen können: „Ist das auch richtig?" deren Sprachkenntniß aber nicht so weit reicht, diese Frage nun auch mit „ja" beantworten zu können. Durch solche wohlmeinende und übereifrige Halbbildung, die wohl zu zweifeln, aber die Zweifel nicht zu lösen weiß, werden mehr Irrthümer verschuldet, als man glauben sollte. Eine ändere Art von Gallicismen, und zu ihr zählen die meisten oben angeführten, würden sich zwar grammatisch zur Noth auch bei uns rechtfertigen lassen; aber sie sind im Deutschen mehr als überflüssig: sie sind schleppend, steif, gekünstelt, undeutlich. Wie widerwärtig ist die Nach¬ äfferei der französischen Parlicipia! Wie geschraubt klingen sie deutsch, was für alberne Zweideutigkeiten entstehen oft dadurch, welches Quantum von gutem Willen gehört dazu, sie stets richtig zu beziehen! Und nun sehe man sie näher an: nicht ein einziges ist darunter, das sich nicht sofort in den deutlichsten, fließendsten, wohlklingendsten Nebensatz auflösen ließe. Was klingt wohl vernünftiger und besser: „Vor der Hausthüre angekommen öffnete sich diese geräuschlos" oder „Als man vor der Hausthüre angekommen war, öffnete sich diese geräuschlos" — „die nöthigen Dehors vor den Leuten berücksichtigt können wir unsern Neigungen nachgehen" oder „wenn wir nur die nöthigen Dehors vor den Leuten berücksichtigen, so können wir unsern Nei¬ gungen nachgehen"? Endlich bleibt noch eine dritte Art übrig, bei denen es sich nicht mehr darum handelt, ob sie übe>flüssig, aber vielleicht richtig, ob sie richtig, aber vielleicht unschön sind, sondern hie eben nach deutschen Denk¬ begriffen einen groben Verstoß gegen die Logik enthalten. Man könnte ein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/338>, abgerufen am 26.12.2024.