Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schlechte, vor Ingo getreten (Freytag). Als Beispiele desselben Fehlers bei
andern Verden führen wir noch an: Ich bin der Hausvogt und bin von
der Markgräfin befohlen, Euch zu geleiten (Stifter) -- Sei bedankt für
das Gastgeschenk (Freytag) -- Der Amtmann streichelte sich höchst ge¬
schmeichelt das Kinn (Hesekiel) -- Rüding verbeugte sich geschmeichelt
(Hackländer) -- Adlige hohe Herren wollten hier tüchtig geschmeichelt,
dort bewundert werden (H. Grimm). -- Umgekehrt werden nun eine Masse
von Zusammensetzungen mit machen und lassen jetzt entsprechend dem
französischen sairg sa>voir und ähnlichen Wendungen bei uns mit dem Dativ
verbunden, obwohl hier der Accusativ das einzig richtige und deutsche ist.
Jeder Schulknabe hört den Fehler aus folgenden Sätzen heraus: Sie sollten
ihren Pferden den Sporn fühlen lassen (Laube) -- Diejenigen, welche später
der Welt glauben machen wollten (Hesekiel) -- Könnte ich Ihnen nur
Adelens sanfte Stimme hören lassen! (Redwitz) -- Aber ich hatte es mir zu¬
geschworen, ihr nichts merken zu lassen (Ring) -- um dem jungen Mädchen
die Kälte ihres Bruders vergessen zu machen (Marlitt) -- Während an der
Donau unten jetzt dem Türk' der Kaiseradler seine Fang' verspüren läßt
(Scheffel).

Im Gebrauche der Zeitwörter machen sich ebenfalls jetzt verschiedene un¬
verkennbare Gallicismen mehr und mehr breit. Dazu gehört es z. B.. wenn
man gehen und kommen ganz in der Weise von aller und venir pleona-
ftisch als Hilfsverba braucht, also schreibt: Da wir nach unsrer heimlichen
Verbindung seinen Segen anzuflehen kamen (Dingelstädt) -- Er nahm
sich vor, uns in Baden-Baden noch besuchen zu kommen (F. Lewald), ein
plumpes Ueberbieten des französischen völiir voir, welches eben nicht bedeutet
besuchen kommen, sondern einfach besuchen -- Wir haben dich erwartet;
komm deinen Platz neben uns einzunehmen (Schücking). -- Unendlich
häufig findet sich ferner das Reflexiv im Sinne des Passiv, namentlich wenn der
Nebenbegriff der Leichtigkeit oder Schwierigkeit einer Handlung bezeichnet wer¬
den soll: Er wollte nachsehn, ob die Luft in Amerika sich nicht freudiger
einathmete (H. Grimm) -- Die Wünsche der fremden Künstlerin erriethen
sich leicht (Riehl) -- die Verbesserungen, die unter seiner Regierung sich ge.
macht (Rodenberg) -- Ich nähme mir einen Verzagten zum Manne; der
meistert sich leicht (Hesekiel) -- In einem Hause mit weitreichenden Besitz-
thum unterbricht sich die Andacht des Geistes (Auerbach) -- Das Leben
setzt sich eben nur aus kleinen Ereignissen zusammen (F. Lewald). -- Der
greuligste Unfug wird aber mit Participialeonstructionen getrieben; vor allem,
indem man Participia einem Satze vorausschiebt, die sich dann auf einen in
diesem Satze nachfolgenden easus obliquus beziehen sollen, während sie in
Wahrheit, da sie ja gänzlich unfleetirt sind, nur mit dem Subject verbun-


Grmzbotm I. 1874. 42

schlechte, vor Ingo getreten (Freytag). Als Beispiele desselben Fehlers bei
andern Verden führen wir noch an: Ich bin der Hausvogt und bin von
der Markgräfin befohlen, Euch zu geleiten (Stifter) — Sei bedankt für
das Gastgeschenk (Freytag) — Der Amtmann streichelte sich höchst ge¬
schmeichelt das Kinn (Hesekiel) — Rüding verbeugte sich geschmeichelt
(Hackländer) — Adlige hohe Herren wollten hier tüchtig geschmeichelt,
dort bewundert werden (H. Grimm). — Umgekehrt werden nun eine Masse
von Zusammensetzungen mit machen und lassen jetzt entsprechend dem
französischen sairg sa>voir und ähnlichen Wendungen bei uns mit dem Dativ
verbunden, obwohl hier der Accusativ das einzig richtige und deutsche ist.
Jeder Schulknabe hört den Fehler aus folgenden Sätzen heraus: Sie sollten
ihren Pferden den Sporn fühlen lassen (Laube) — Diejenigen, welche später
der Welt glauben machen wollten (Hesekiel) — Könnte ich Ihnen nur
Adelens sanfte Stimme hören lassen! (Redwitz) — Aber ich hatte es mir zu¬
geschworen, ihr nichts merken zu lassen (Ring) — um dem jungen Mädchen
die Kälte ihres Bruders vergessen zu machen (Marlitt) — Während an der
Donau unten jetzt dem Türk' der Kaiseradler seine Fang' verspüren läßt
(Scheffel).

Im Gebrauche der Zeitwörter machen sich ebenfalls jetzt verschiedene un¬
verkennbare Gallicismen mehr und mehr breit. Dazu gehört es z. B.. wenn
man gehen und kommen ganz in der Weise von aller und venir pleona-
ftisch als Hilfsverba braucht, also schreibt: Da wir nach unsrer heimlichen
Verbindung seinen Segen anzuflehen kamen (Dingelstädt) — Er nahm
sich vor, uns in Baden-Baden noch besuchen zu kommen (F. Lewald), ein
plumpes Ueberbieten des französischen völiir voir, welches eben nicht bedeutet
besuchen kommen, sondern einfach besuchen — Wir haben dich erwartet;
komm deinen Platz neben uns einzunehmen (Schücking). — Unendlich
häufig findet sich ferner das Reflexiv im Sinne des Passiv, namentlich wenn der
Nebenbegriff der Leichtigkeit oder Schwierigkeit einer Handlung bezeichnet wer¬
den soll: Er wollte nachsehn, ob die Luft in Amerika sich nicht freudiger
einathmete (H. Grimm) — Die Wünsche der fremden Künstlerin erriethen
sich leicht (Riehl) — die Verbesserungen, die unter seiner Regierung sich ge.
macht (Rodenberg) — Ich nähme mir einen Verzagten zum Manne; der
meistert sich leicht (Hesekiel) — In einem Hause mit weitreichenden Besitz-
thum unterbricht sich die Andacht des Geistes (Auerbach) — Das Leben
setzt sich eben nur aus kleinen Ereignissen zusammen (F. Lewald). — Der
greuligste Unfug wird aber mit Participialeonstructionen getrieben; vor allem,
indem man Participia einem Satze vorausschiebt, die sich dann auf einen in
diesem Satze nachfolgenden easus obliquus beziehen sollen, während sie in
Wahrheit, da sie ja gänzlich unfleetirt sind, nur mit dem Subject verbun-


Grmzbotm I. 1874. 42
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130979"/>
          <p xml:id="ID_998" prev="#ID_997"> schlechte, vor Ingo getreten (Freytag). Als Beispiele desselben Fehlers bei<lb/>
andern Verden führen wir noch an: Ich bin der Hausvogt und bin von<lb/>
der Markgräfin befohlen, Euch zu geleiten (Stifter) &#x2014; Sei bedankt für<lb/>
das Gastgeschenk (Freytag) &#x2014; Der Amtmann streichelte sich höchst ge¬<lb/>
schmeichelt das Kinn (Hesekiel) &#x2014; Rüding verbeugte sich geschmeichelt<lb/>
(Hackländer) &#x2014; Adlige hohe Herren wollten hier tüchtig geschmeichelt,<lb/>
dort bewundert werden (H. Grimm). &#x2014; Umgekehrt werden nun eine Masse<lb/>
von Zusammensetzungen mit machen und lassen jetzt entsprechend dem<lb/>
französischen sairg sa&gt;voir und ähnlichen Wendungen bei uns mit dem Dativ<lb/>
verbunden, obwohl hier der Accusativ das einzig richtige und deutsche ist.<lb/>
Jeder Schulknabe hört den Fehler aus folgenden Sätzen heraus: Sie sollten<lb/>
ihren Pferden den Sporn fühlen lassen (Laube) &#x2014; Diejenigen, welche später<lb/>
der Welt glauben machen wollten (Hesekiel) &#x2014; Könnte ich Ihnen nur<lb/>
Adelens sanfte Stimme hören lassen! (Redwitz) &#x2014; Aber ich hatte es mir zu¬<lb/>
geschworen, ihr nichts merken zu lassen (Ring) &#x2014; um dem jungen Mädchen<lb/>
die Kälte ihres Bruders vergessen zu machen (Marlitt) &#x2014; Während an der<lb/>
Donau unten jetzt dem Türk' der Kaiseradler seine Fang' verspüren läßt<lb/>
(Scheffel).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_999" next="#ID_1000"> Im Gebrauche der Zeitwörter machen sich ebenfalls jetzt verschiedene un¬<lb/>
verkennbare Gallicismen mehr und mehr breit. Dazu gehört es z. B.. wenn<lb/>
man gehen und kommen ganz in der Weise von aller und venir pleona-<lb/>
ftisch als Hilfsverba braucht, also schreibt: Da wir nach unsrer heimlichen<lb/>
Verbindung seinen Segen anzuflehen kamen (Dingelstädt) &#x2014; Er nahm<lb/>
sich vor, uns in Baden-Baden noch besuchen zu kommen (F. Lewald), ein<lb/>
plumpes Ueberbieten des französischen völiir voir, welches eben nicht bedeutet<lb/>
besuchen kommen, sondern einfach besuchen &#x2014; Wir haben dich erwartet;<lb/>
komm deinen Platz neben uns einzunehmen (Schücking). &#x2014; Unendlich<lb/>
häufig findet sich ferner das Reflexiv im Sinne des Passiv, namentlich wenn der<lb/>
Nebenbegriff der Leichtigkeit oder Schwierigkeit einer Handlung bezeichnet wer¬<lb/>
den soll: Er wollte nachsehn, ob die Luft in Amerika sich nicht freudiger<lb/>
einathmete (H. Grimm) &#x2014; Die Wünsche der fremden Künstlerin erriethen<lb/>
sich leicht (Riehl) &#x2014; die Verbesserungen, die unter seiner Regierung sich ge.<lb/>
macht (Rodenberg) &#x2014; Ich nähme mir einen Verzagten zum Manne; der<lb/>
meistert sich leicht (Hesekiel) &#x2014; In einem Hause mit weitreichenden Besitz-<lb/>
thum unterbricht sich die Andacht des Geistes (Auerbach) &#x2014; Das Leben<lb/>
setzt sich eben nur aus kleinen Ereignissen zusammen (F. Lewald). &#x2014; Der<lb/>
greuligste Unfug wird aber mit Participialeonstructionen getrieben; vor allem,<lb/>
indem man Participia einem Satze vorausschiebt, die sich dann auf einen in<lb/>
diesem Satze nachfolgenden easus obliquus beziehen sollen, während sie in<lb/>
Wahrheit, da sie ja gänzlich unfleetirt sind, nur mit dem Subject verbun-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbotm I. 1874. 42</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] schlechte, vor Ingo getreten (Freytag). Als Beispiele desselben Fehlers bei andern Verden führen wir noch an: Ich bin der Hausvogt und bin von der Markgräfin befohlen, Euch zu geleiten (Stifter) — Sei bedankt für das Gastgeschenk (Freytag) — Der Amtmann streichelte sich höchst ge¬ schmeichelt das Kinn (Hesekiel) — Rüding verbeugte sich geschmeichelt (Hackländer) — Adlige hohe Herren wollten hier tüchtig geschmeichelt, dort bewundert werden (H. Grimm). — Umgekehrt werden nun eine Masse von Zusammensetzungen mit machen und lassen jetzt entsprechend dem französischen sairg sa>voir und ähnlichen Wendungen bei uns mit dem Dativ verbunden, obwohl hier der Accusativ das einzig richtige und deutsche ist. Jeder Schulknabe hört den Fehler aus folgenden Sätzen heraus: Sie sollten ihren Pferden den Sporn fühlen lassen (Laube) — Diejenigen, welche später der Welt glauben machen wollten (Hesekiel) — Könnte ich Ihnen nur Adelens sanfte Stimme hören lassen! (Redwitz) — Aber ich hatte es mir zu¬ geschworen, ihr nichts merken zu lassen (Ring) — um dem jungen Mädchen die Kälte ihres Bruders vergessen zu machen (Marlitt) — Während an der Donau unten jetzt dem Türk' der Kaiseradler seine Fang' verspüren läßt (Scheffel). Im Gebrauche der Zeitwörter machen sich ebenfalls jetzt verschiedene un¬ verkennbare Gallicismen mehr und mehr breit. Dazu gehört es z. B.. wenn man gehen und kommen ganz in der Weise von aller und venir pleona- ftisch als Hilfsverba braucht, also schreibt: Da wir nach unsrer heimlichen Verbindung seinen Segen anzuflehen kamen (Dingelstädt) — Er nahm sich vor, uns in Baden-Baden noch besuchen zu kommen (F. Lewald), ein plumpes Ueberbieten des französischen völiir voir, welches eben nicht bedeutet besuchen kommen, sondern einfach besuchen — Wir haben dich erwartet; komm deinen Platz neben uns einzunehmen (Schücking). — Unendlich häufig findet sich ferner das Reflexiv im Sinne des Passiv, namentlich wenn der Nebenbegriff der Leichtigkeit oder Schwierigkeit einer Handlung bezeichnet wer¬ den soll: Er wollte nachsehn, ob die Luft in Amerika sich nicht freudiger einathmete (H. Grimm) — Die Wünsche der fremden Künstlerin erriethen sich leicht (Riehl) — die Verbesserungen, die unter seiner Regierung sich ge. macht (Rodenberg) — Ich nähme mir einen Verzagten zum Manne; der meistert sich leicht (Hesekiel) — In einem Hause mit weitreichenden Besitz- thum unterbricht sich die Andacht des Geistes (Auerbach) — Das Leben setzt sich eben nur aus kleinen Ereignissen zusammen (F. Lewald). — Der greuligste Unfug wird aber mit Participialeonstructionen getrieben; vor allem, indem man Participia einem Satze vorausschiebt, die sich dann auf einen in diesem Satze nachfolgenden easus obliquus beziehen sollen, während sie in Wahrheit, da sie ja gänzlich unfleetirt sind, nur mit dem Subject verbun- Grmzbotm I. 1874. 42

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/335>, abgerufen am 02.10.2024.