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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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die Hand der Mutter küssen, in die Arme des Freundes fallen; wir: sich dem
Könige zu Füßen werfen, der Mutter die Hand küssen, dem Freunde in die
Arme fallen und ähnliches. Beide Constructionen sind grammatisch richtig,
verständlich und gut. Wozu brauchen wir also die fremde nachzuahmen
und zu schreiben: Marquis Posa stürzt zu den Füßen Philipp's (Rodenberg)
-- Sie nahm das Kreuz und hing es um den Hals des Mädchens (Ring)
-- Er schüttelte die Hand des jungen Advocaten auf's herzlichste (Meißner)?
Klingt es nicht gemüthlicher, antheilnehmender, mit einem Worte deutscher,
wenn man sagt: Sie nahm das Kreuz und hing es dem Mädchen um den
Hals? Wozu der akademisch steife Genetiv? -- Wenn ferner, was man
kaum für möglich halten sollte, selbst der sogenannte "Theilungsartikel",
-- richtiger der partitive Genitiv -- hie und da bei Neueren noch spukt, so
möchte man eher an eine affectirte Nachahmung Goethe's als an einen di-
recten Gallicismus denken; denn Goethe liebte diese im Deutschen etwas vor¬
nehm nachlässig klingende Construction im hohen Grade. Und doch ist eine
so ausgedehnte Nachäfferei einer Goethe'schen Eigenthümlichkett kaum glaub¬
lich. Von neuerem vergleiche man z. B. Da sind schon von unsern Kühen
(Auerbach) -- Es gab kein Adelshaus, welches nicht von seinen Söhnen im
Kriege verloren hätte (Storch) -- Ich dachte an die vielen Soldaten, und daß
auch von unsern Landsleuten dabei sind (Holle!) -- Man bemerkte, wie
hier und da von den Sitzenden aufstanden (Hackländer). -- Ein ganz ge¬
meiner grammatischer Fehler und eine abscheuliche Schinderei ist es, Zeit¬
wörter, die wie befehlen, folgen, schmeicheln, deutsch nur mit dem
Dativ, oder wie sich bedanken nur mit einer Praeposition verbunden wer¬
den können, in denkfauler Nachahmung des Französischen, wo sie den Accu¬
sativ bei sich haben, im Passionen persönlich zu construiren. Die erste
Veranlassung zu diesem wahrhaft plebejen Verstoß gegen die Logik hat
jedenfalls das in den französischen Romanen und im französischen Reporter¬
jargon hundert und tausendmal vorkommende suivi gegeben, welches man
eben in gedankenlosester Weise wörtlich übersetzte. Es ist dies einer von den
Fällen, in denen sich sicher nachweisen läßt, wie wir das Einschleppen eines
Gallicismus den lüderlicher Uebersetzern zu danken haben. Vergangnen Sommer
konnte man keine Zeitungsnummer in die Hand nehmen, ohne daß einem so¬
fort in die Augen gefallen wäre, daß die oder jene fürstliche Person "gefolgt
von" ... sich irgendwohin auf Reisen begeben habe. Unter den Roman¬
schriftstellern ist, wie Brandstäter durch massenhafte Beispiele nachweist, na¬
mentlich bei Hesektel und Brachvogel diese abscheuliche Wendung zur wider¬
wärtigsten Manie ausgeartet. Aber selbst guten Stilisten ist sie bisweilen
entschlüpft: Schlegel gefolgt von Platen (D. Strauß) -- gefolgt von
der ganzen Bürgerschaft (Riehl) Theodulf war, gefolgt von seinem Ge-


die Hand der Mutter küssen, in die Arme des Freundes fallen; wir: sich dem
Könige zu Füßen werfen, der Mutter die Hand küssen, dem Freunde in die
Arme fallen und ähnliches. Beide Constructionen sind grammatisch richtig,
verständlich und gut. Wozu brauchen wir also die fremde nachzuahmen
und zu schreiben: Marquis Posa stürzt zu den Füßen Philipp's (Rodenberg)
— Sie nahm das Kreuz und hing es um den Hals des Mädchens (Ring)
— Er schüttelte die Hand des jungen Advocaten auf's herzlichste (Meißner)?
Klingt es nicht gemüthlicher, antheilnehmender, mit einem Worte deutscher,
wenn man sagt: Sie nahm das Kreuz und hing es dem Mädchen um den
Hals? Wozu der akademisch steife Genetiv? — Wenn ferner, was man
kaum für möglich halten sollte, selbst der sogenannte „Theilungsartikel",
— richtiger der partitive Genitiv — hie und da bei Neueren noch spukt, so
möchte man eher an eine affectirte Nachahmung Goethe's als an einen di-
recten Gallicismus denken; denn Goethe liebte diese im Deutschen etwas vor¬
nehm nachlässig klingende Construction im hohen Grade. Und doch ist eine
so ausgedehnte Nachäfferei einer Goethe'schen Eigenthümlichkett kaum glaub¬
lich. Von neuerem vergleiche man z. B. Da sind schon von unsern Kühen
(Auerbach) — Es gab kein Adelshaus, welches nicht von seinen Söhnen im
Kriege verloren hätte (Storch) — Ich dachte an die vielen Soldaten, und daß
auch von unsern Landsleuten dabei sind (Holle!) — Man bemerkte, wie
hier und da von den Sitzenden aufstanden (Hackländer). — Ein ganz ge¬
meiner grammatischer Fehler und eine abscheuliche Schinderei ist es, Zeit¬
wörter, die wie befehlen, folgen, schmeicheln, deutsch nur mit dem
Dativ, oder wie sich bedanken nur mit einer Praeposition verbunden wer¬
den können, in denkfauler Nachahmung des Französischen, wo sie den Accu¬
sativ bei sich haben, im Passionen persönlich zu construiren. Die erste
Veranlassung zu diesem wahrhaft plebejen Verstoß gegen die Logik hat
jedenfalls das in den französischen Romanen und im französischen Reporter¬
jargon hundert und tausendmal vorkommende suivi gegeben, welches man
eben in gedankenlosester Weise wörtlich übersetzte. Es ist dies einer von den
Fällen, in denen sich sicher nachweisen läßt, wie wir das Einschleppen eines
Gallicismus den lüderlicher Uebersetzern zu danken haben. Vergangnen Sommer
konnte man keine Zeitungsnummer in die Hand nehmen, ohne daß einem so¬
fort in die Augen gefallen wäre, daß die oder jene fürstliche Person „gefolgt
von" ... sich irgendwohin auf Reisen begeben habe. Unter den Roman¬
schriftstellern ist, wie Brandstäter durch massenhafte Beispiele nachweist, na¬
mentlich bei Hesektel und Brachvogel diese abscheuliche Wendung zur wider¬
wärtigsten Manie ausgeartet. Aber selbst guten Stilisten ist sie bisweilen
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[0334] die Hand der Mutter küssen, in die Arme des Freundes fallen; wir: sich dem Könige zu Füßen werfen, der Mutter die Hand küssen, dem Freunde in die Arme fallen und ähnliches. Beide Constructionen sind grammatisch richtig, verständlich und gut. Wozu brauchen wir also die fremde nachzuahmen und zu schreiben: Marquis Posa stürzt zu den Füßen Philipp's (Rodenberg) — Sie nahm das Kreuz und hing es um den Hals des Mädchens (Ring) — Er schüttelte die Hand des jungen Advocaten auf's herzlichste (Meißner)? Klingt es nicht gemüthlicher, antheilnehmender, mit einem Worte deutscher, wenn man sagt: Sie nahm das Kreuz und hing es dem Mädchen um den Hals? Wozu der akademisch steife Genetiv? — Wenn ferner, was man kaum für möglich halten sollte, selbst der sogenannte „Theilungsartikel", — richtiger der partitive Genitiv — hie und da bei Neueren noch spukt, so möchte man eher an eine affectirte Nachahmung Goethe's als an einen di- recten Gallicismus denken; denn Goethe liebte diese im Deutschen etwas vor¬ nehm nachlässig klingende Construction im hohen Grade. Und doch ist eine so ausgedehnte Nachäfferei einer Goethe'schen Eigenthümlichkett kaum glaub¬ lich. Von neuerem vergleiche man z. B. Da sind schon von unsern Kühen (Auerbach) — Es gab kein Adelshaus, welches nicht von seinen Söhnen im Kriege verloren hätte (Storch) — Ich dachte an die vielen Soldaten, und daß auch von unsern Landsleuten dabei sind (Holle!) — Man bemerkte, wie hier und da von den Sitzenden aufstanden (Hackländer). — Ein ganz ge¬ meiner grammatischer Fehler und eine abscheuliche Schinderei ist es, Zeit¬ wörter, die wie befehlen, folgen, schmeicheln, deutsch nur mit dem Dativ, oder wie sich bedanken nur mit einer Praeposition verbunden wer¬ den können, in denkfauler Nachahmung des Französischen, wo sie den Accu¬ sativ bei sich haben, im Passionen persönlich zu construiren. Die erste Veranlassung zu diesem wahrhaft plebejen Verstoß gegen die Logik hat jedenfalls das in den französischen Romanen und im französischen Reporter¬ jargon hundert und tausendmal vorkommende suivi gegeben, welches man eben in gedankenlosester Weise wörtlich übersetzte. Es ist dies einer von den Fällen, in denen sich sicher nachweisen läßt, wie wir das Einschleppen eines Gallicismus den lüderlicher Uebersetzern zu danken haben. Vergangnen Sommer konnte man keine Zeitungsnummer in die Hand nehmen, ohne daß einem so¬ fort in die Augen gefallen wäre, daß die oder jene fürstliche Person „gefolgt von" ... sich irgendwohin auf Reisen begeben habe. Unter den Roman¬ schriftstellern ist, wie Brandstäter durch massenhafte Beispiele nachweist, na¬ mentlich bei Hesektel und Brachvogel diese abscheuliche Wendung zur wider¬ wärtigsten Manie ausgeartet. Aber selbst guten Stilisten ist sie bisweilen entschlüpft: Schlegel gefolgt von Platen (D. Strauß) — gefolgt von der ganzen Bürgerschaft (Riehl) Theodulf war, gefolgt von seinem Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/334>, abgerufen am 02.10.2024.