Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.scheu vor den gewöhnlichen Lustbarkeiten (Mügge)! So etwas ist weder Blicken wir weiter auf den Gebrauch der einzelnen Redetheile, so ist vor Auch im Gebrauche der einzelnen Casus hat sich mancherlei Französisches scheu vor den gewöhnlichen Lustbarkeiten (Mügge)! So etwas ist weder Blicken wir weiter auf den Gebrauch der einzelnen Redetheile, so ist vor Auch im Gebrauche der einzelnen Casus hat sich mancherlei Französisches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130977"/> <p xml:id="ID_994" prev="#ID_993"> scheu vor den gewöhnlichen Lustbarkeiten (Mügge)! So etwas ist weder<lb/> französisch noch deutsch, sondern es ist nichts weiter als ein grober grammatischer<lb/> Schnitzer, und doch wird jetzt massenhaft so geschrieben. — In der Wort¬<lb/> stellung ist das Französische sclavisch an die Regel gebunden, daß Subject<lb/> und Prädicat gleich bei einander stehen müssen; das Object und alles Wei¬<lb/> tere folgt erst später nach. Im Deutschen bedienen sich dieser Wortstellung,<lb/> wie Brandstäter sagt, in der Regel nur die Kanzelredner und die polnischen<lb/> Juden. Neuerdings scheinen aber auch andre Leute noch Vergnügen an ihr<lb/> zu finden, denn es ist keine Seltenheit, daß einem Sätze begegnen, wie die:<lb/> Keiner würdigt eines Blickes das silbergraue Schindeldach, das halb in den<lb/> Bäumen verborgen (Meißner) — das Fest zu verherrlichen durch seine Gegen¬<lb/> wart, das die Unterthanen veranstaltet für morgen zur Feier seines Geburts¬<lb/> festes (Hesekiel) — Der Cäsar ließ suchen an des Stromes Rand an beiden<lb/> Ufern mit trübem Sinne (Freytag). Es jubelt einen förmlich in der Kehle,<lb/> wenn man solche Sätze halblaut für sich liest. — Gilt es im Deutschen, einen<lb/> Satztheil hervorzuheben, so stellt man ihn voran, oder es genügt auch, den<lb/> Ton darauf zu legen. Der Franzose ist dies nicht im Stande; er muß den<lb/> hervorzuhebenden Satztheil in ein besonderes e'est—pu« gleichsam einwickeln.<lb/> Diese Verlegenheit und Umständlichkeit des Französischen nun auch bei uns<lb/> nachzuahmen, darin scheint man sich jetzt gleichfalls ungemein zu gefallen;<lb/> sonst schriebe man nicht solche Sätze wie: Von hier aus ist es, wo man den<lb/> weitesten Blick über Paris hat (Rodenberg) — Es war im Jahre 1782.<lb/> daß er diese Inschrift dichtete (Stahr) — Es war in diesem Gefühl, daß<lb/> er den Völkern, die er besiegte, ihre eignen Dynastien nahm (Hesekiel).</p><lb/> <p xml:id="ID_995"> Blicken wir weiter auf den Gebrauch der einzelnen Redetheile, so ist vor<lb/> allem eines weitverbreiteten Mißbrauchs zu gedenken, der mit dem unbe¬<lb/> stimmten Artikel getrieben wird. Französisch heißt es: irmreksr ä'un xas<lb/> tvrme, 6am'ö ä'uus main trembltmts; deutsch dagegen: mit festem Schritte<lb/> gehen, mit zitternder Hand schreiben. Die Anwendung des Artikels hat in<lb/> diesem Falle bei uns etwas überaus schleppendes und wird darum nicht besser,<lb/> daß sie sich bereits bei Schiller in der unglaublichsten Weise gehäuft vorfindet.<lb/> Aber bei Neueren ist erst recht kein Mangel daran; aus Hunderten von Bei¬<lb/> spielen, die bei Brandstäter stehen, hier nur ein paar: Der Taubstumme sah<lb/> den Meister mit einer stieren Miene an (Rau) — Sie ging an ihm vorbei<lb/> mit einem ruhigen Blicke (Heyse) — Er reinigte die Kleider mit einer großen<lb/> Sorgfalt (Hackländer) — Ich erwarte ihn stündlich mit einer steigenden<lb/> Ungeduld (Mundt) — Die Gräfin hörte ihn mit einem wehmüthigen<lb/> Lächeln an.</p><lb/> <p xml:id="ID_996" next="#ID_997"> Auch im Gebrauche der einzelnen Casus hat sich mancherlei Französisches<lb/> eingeschlichen. Der Franzose sagt: sich zu den Füßen des Königs werfen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0333]
scheu vor den gewöhnlichen Lustbarkeiten (Mügge)! So etwas ist weder
französisch noch deutsch, sondern es ist nichts weiter als ein grober grammatischer
Schnitzer, und doch wird jetzt massenhaft so geschrieben. — In der Wort¬
stellung ist das Französische sclavisch an die Regel gebunden, daß Subject
und Prädicat gleich bei einander stehen müssen; das Object und alles Wei¬
tere folgt erst später nach. Im Deutschen bedienen sich dieser Wortstellung,
wie Brandstäter sagt, in der Regel nur die Kanzelredner und die polnischen
Juden. Neuerdings scheinen aber auch andre Leute noch Vergnügen an ihr
zu finden, denn es ist keine Seltenheit, daß einem Sätze begegnen, wie die:
Keiner würdigt eines Blickes das silbergraue Schindeldach, das halb in den
Bäumen verborgen (Meißner) — das Fest zu verherrlichen durch seine Gegen¬
wart, das die Unterthanen veranstaltet für morgen zur Feier seines Geburts¬
festes (Hesekiel) — Der Cäsar ließ suchen an des Stromes Rand an beiden
Ufern mit trübem Sinne (Freytag). Es jubelt einen förmlich in der Kehle,
wenn man solche Sätze halblaut für sich liest. — Gilt es im Deutschen, einen
Satztheil hervorzuheben, so stellt man ihn voran, oder es genügt auch, den
Ton darauf zu legen. Der Franzose ist dies nicht im Stande; er muß den
hervorzuhebenden Satztheil in ein besonderes e'est—pu« gleichsam einwickeln.
Diese Verlegenheit und Umständlichkeit des Französischen nun auch bei uns
nachzuahmen, darin scheint man sich jetzt gleichfalls ungemein zu gefallen;
sonst schriebe man nicht solche Sätze wie: Von hier aus ist es, wo man den
weitesten Blick über Paris hat (Rodenberg) — Es war im Jahre 1782.
daß er diese Inschrift dichtete (Stahr) — Es war in diesem Gefühl, daß
er den Völkern, die er besiegte, ihre eignen Dynastien nahm (Hesekiel).
Blicken wir weiter auf den Gebrauch der einzelnen Redetheile, so ist vor
allem eines weitverbreiteten Mißbrauchs zu gedenken, der mit dem unbe¬
stimmten Artikel getrieben wird. Französisch heißt es: irmreksr ä'un xas
tvrme, 6am'ö ä'uus main trembltmts; deutsch dagegen: mit festem Schritte
gehen, mit zitternder Hand schreiben. Die Anwendung des Artikels hat in
diesem Falle bei uns etwas überaus schleppendes und wird darum nicht besser,
daß sie sich bereits bei Schiller in der unglaublichsten Weise gehäuft vorfindet.
Aber bei Neueren ist erst recht kein Mangel daran; aus Hunderten von Bei¬
spielen, die bei Brandstäter stehen, hier nur ein paar: Der Taubstumme sah
den Meister mit einer stieren Miene an (Rau) — Sie ging an ihm vorbei
mit einem ruhigen Blicke (Heyse) — Er reinigte die Kleider mit einer großen
Sorgfalt (Hackländer) — Ich erwarte ihn stündlich mit einer steigenden
Ungeduld (Mundt) — Die Gräfin hörte ihn mit einem wehmüthigen
Lächeln an.
Auch im Gebrauche der einzelnen Casus hat sich mancherlei Französisches
eingeschlichen. Der Franzose sagt: sich zu den Füßen des Königs werfen.
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