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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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formen einander gegenüberstehen: die Republik und das Kaiserreich. Die
zwischen beiden liegenden Regierungsformen werden es niemals wagen, sich
gegen das Verdict des Landes aufzulehnen." Nach diesen Worten hätte man
meinen sollen, daß auch der rothe Prinz sich mit dem Rouher'schen Stand¬
punkte versöhnen werde. Allein, soeben giebt er die kategorische Erklärung
ab, daß er niemals der Anhänger einer Regierung sein werde, die nicht di¬
rekt vom Volke eingesetzt sei. Danach scheint also die Differenz zwischen
Rouher und dem Prinzen darin zu bestehen, daß Jener den "axpel an pouplo"
auf gelegenere Zeit, wenn nöthig, bis nach Ablauf der Mac Mahon'schen
sieben Jahre aufgeschoben wissen will, während dieser die betreffende Agitation,
ohne jede Rücksicht auf das Bestehende, fortzusetzen sucht. Mich dünkt, die
Erklärung für diese Divergenz der Absichten wird man sehr nahe suchen
müssen, nämlich in den allergewöhnlichsten persönlichen Motiven. Je älter
der Sohn des dritten Napoleon wird, um somehr verringern sich für seinen
Oheim die Aussichten, seinerseits das Erbe des unglücklichen Vetters anzu¬
treten. -- Einen praktischen Versuch, zu seinem Ziele zu gelangen, wird sich
übrigens der rothe Prinz wohl ebenso vergehen lassen, wie es den Anhängern
des kaiserlichen Sohnes -- trotz derartiger Ankündigungen englischer und
sonstiger Blätter -- nicht einfallen wird, denselben nach seiner demnächstigen
GroMhrigkeitserklärung direkt nach Paris und auf den Thron zu führen.

Der Dreißigerausschuß -- man wird den Leser bei Erwähnung desselben
nachgerade um Entschuldigung bitten müssen -- arbeitet emsig weiter. Die
Subcommission, welche sich mit der Hauptarbeit, den konstitutionellen Grund¬
lagen des Sraatswesens, d. h. einstweilen des Septennimns zu beschäftigen
hat, scheint sich sogar dermaßen in ihre Studien vertieft zu haben, daß sie
der Außenwelt ganz vergessen hat; man hört und sieht nichts mehr von ihr.
Desto mehr macht die Hauptcommission, welche das Wahlgesetz behandelt,
von sich reden. Ihr hat Broglie neuerdings einen Wink gegeben, endlich
einmal zum Ziele kommen zu wollen, und so hat sie es denn in zwanzig und
einigen Sitzungen wirklich fertig gebracht, die Frage nach dem Modus der
Abstimmung unter Ablehnung aller Amendements in Uebereinstimmung mit
der, bekanntlich noch von dem Thiers'schen Justizminister Dufaure angefertig¬
ten Vorlage zu erledigen. Welche Schaar der scharfsinnigsten Vorschläge
zur Verstümmlung des LiM'aZg univMöl ist dabei ans Licht gebracht, um
selbst von dieser Commission erbarmungslos wieder abgethan zu werden!

Man hatte eine Verquickung von Census und indirekter Wahl in der
Weise ersonnen, daß die gesammte Wählerschaft eine gewisse Anzahl von
Wahlmännern ernennen sollte, die dann zusammen mit einer Kategorie von
Höchstbesteuerten die Deputirten zu wählen gehabt haben würden. Nachdem
diese Projecte beseitigt waren, handelte es sich um die Frage: ob Beibehaltung


formen einander gegenüberstehen: die Republik und das Kaiserreich. Die
zwischen beiden liegenden Regierungsformen werden es niemals wagen, sich
gegen das Verdict des Landes aufzulehnen." Nach diesen Worten hätte man
meinen sollen, daß auch der rothe Prinz sich mit dem Rouher'schen Stand¬
punkte versöhnen werde. Allein, soeben giebt er die kategorische Erklärung
ab, daß er niemals der Anhänger einer Regierung sein werde, die nicht di¬
rekt vom Volke eingesetzt sei. Danach scheint also die Differenz zwischen
Rouher und dem Prinzen darin zu bestehen, daß Jener den «axpel an pouplo"
auf gelegenere Zeit, wenn nöthig, bis nach Ablauf der Mac Mahon'schen
sieben Jahre aufgeschoben wissen will, während dieser die betreffende Agitation,
ohne jede Rücksicht auf das Bestehende, fortzusetzen sucht. Mich dünkt, die
Erklärung für diese Divergenz der Absichten wird man sehr nahe suchen
müssen, nämlich in den allergewöhnlichsten persönlichen Motiven. Je älter
der Sohn des dritten Napoleon wird, um somehr verringern sich für seinen
Oheim die Aussichten, seinerseits das Erbe des unglücklichen Vetters anzu¬
treten. — Einen praktischen Versuch, zu seinem Ziele zu gelangen, wird sich
übrigens der rothe Prinz wohl ebenso vergehen lassen, wie es den Anhängern
des kaiserlichen Sohnes — trotz derartiger Ankündigungen englischer und
sonstiger Blätter — nicht einfallen wird, denselben nach seiner demnächstigen
GroMhrigkeitserklärung direkt nach Paris und auf den Thron zu führen.

Der Dreißigerausschuß — man wird den Leser bei Erwähnung desselben
nachgerade um Entschuldigung bitten müssen — arbeitet emsig weiter. Die
Subcommission, welche sich mit der Hauptarbeit, den konstitutionellen Grund¬
lagen des Sraatswesens, d. h. einstweilen des Septennimns zu beschäftigen
hat, scheint sich sogar dermaßen in ihre Studien vertieft zu haben, daß sie
der Außenwelt ganz vergessen hat; man hört und sieht nichts mehr von ihr.
Desto mehr macht die Hauptcommission, welche das Wahlgesetz behandelt,
von sich reden. Ihr hat Broglie neuerdings einen Wink gegeben, endlich
einmal zum Ziele kommen zu wollen, und so hat sie es denn in zwanzig und
einigen Sitzungen wirklich fertig gebracht, die Frage nach dem Modus der
Abstimmung unter Ablehnung aller Amendements in Uebereinstimmung mit
der, bekanntlich noch von dem Thiers'schen Justizminister Dufaure angefertig¬
ten Vorlage zu erledigen. Welche Schaar der scharfsinnigsten Vorschläge
zur Verstümmlung des LiM'aZg univMöl ist dabei ans Licht gebracht, um
selbst von dieser Commission erbarmungslos wieder abgethan zu werden!

Man hatte eine Verquickung von Census und indirekter Wahl in der
Weise ersonnen, daß die gesammte Wählerschaft eine gewisse Anzahl von
Wahlmännern ernennen sollte, die dann zusammen mit einer Kategorie von
Höchstbesteuerten die Deputirten zu wählen gehabt haben würden. Nachdem
diese Projecte beseitigt waren, handelte es sich um die Frage: ob Beibehaltung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/320>, abgerufen am 26.12.2024.