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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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rührt wird, zwei ultramontane Eandidaten aufgetaucht, und in zwei
oberlausitzer Wahlkreisen, dem 1. und 3,, haben sie gar nicht unbeträchtliche
Minderheiten auf sich vereinigt. Dies auffällige Vorgehen und sein nicht
minder auffälliges Resultat werden es erklärlich, vielleicht sogar erwünscht er¬
scheinen lassen, wenn wir in den folgenden Blättern einige abnorme Ver¬
hältnisse zu charakterisiren versuchen, welche bis zur Stunde in dem säch¬
sischen Theile der Oberlausitz bestehen.

Bekanntlich zählt die sächsische Oberlausitz eine nicht unbeträchtliche Zahl
von Wenden unter ihren Bewohnern, die man auf gegen 53,000 Köpfe ver¬
anschlagen mag. Seit einigen Jahrzehnten werden mannichfache Anstrengungen
gemacht, um unter dieser fast ausschließlich ländlichen Bevölkerung ein ge¬
wisses nationalslavisches Interesse zu erregen und ihren Dialekt zu conserviren;
einige kleine wendische Zeitschriften erscheinen in Bautzen, ein wendischer
Volksschriftenverein sorgt für Verbreitung wohlfeiler populärer Schriften in
wendischer Sprache u. s. f. Wir halten diese Bestrebungen sowohl für aus¬
sichtslos, als auch für nicht weiter gefährlich; allgemeine Wehrpflicht und
Steigerung des Verkehrs wirken auch hier als mächtigste Faktoren der Ger-
manisirung, und mögen auch einzelne wendische Heißsporne nach "Mütterchen
Moskau" wallfahrten und panslavistischen Ideen huldigen, die ungeheure
Mehrzahl der Wenden ist solchen Phantastereien abhold.

Es ist ferner allbekannt, daß die Oberlausitz in Bautzen ein katholisches
Domcapitel und außerdem zwei Cistertiensernonnenklöster Warienthal und
Marienstern) besitzt, um welche sich die relativ zahlreichste und compakteste
Masse der sächsischen Katholiken (etwa 30,000) gruppirt, an denen sie ihren
Halt findet. Eine besonders prononcirte Haltung der oberlausitzer Katholiken
ist bis auf die jüngste Zeit nicht hervorgetreten, sie haben hier und da eine
neue Gemeinde gegründet, eine neue Kirche gebaut, aber weiter keine auf¬
fällige Propaganda gemacht. Um so mehr muß das jüngste Vorgehen einer
geschlossenen ultramontanen Partei auffallen.

An sich würde ein solches bei der geringen Anzahl der Katholiken nichts
Bedenkliches haben, an sich ist auch, wie bemerkt, die wendische Bewegung
harmlos, um so mehr, als Wendenthum und Katholicismus sich nicht decken,
vielmehr der bei weitem größte Theil der Wenden der evangelischen Kirche
angehört. Aber die Sache verliert durchaus das harmlose Aussehen, wenn
man weiß, daß die Tschechen die "Revindication" der Oberlausitz noch keines¬
wegs aufgegeben haben, daß auf jeder tschechischen "Beseda" neben dem
böhmischen Löwen und dem Adler Schlesiens auch die goldne Mauer der
Oberlausitz prangt, daß vor allem zwischen den oberlausitzer Katholiken und
Böhmen sehr enge Beziehungen bestehen, endlich, daß gewisse politische An¬
sprüche der Krone Böhmen, also Oesterreichs, aus die Oberlausitz Sachs. Antheils


rührt wird, zwei ultramontane Eandidaten aufgetaucht, und in zwei
oberlausitzer Wahlkreisen, dem 1. und 3,, haben sie gar nicht unbeträchtliche
Minderheiten auf sich vereinigt. Dies auffällige Vorgehen und sein nicht
minder auffälliges Resultat werden es erklärlich, vielleicht sogar erwünscht er¬
scheinen lassen, wenn wir in den folgenden Blättern einige abnorme Ver¬
hältnisse zu charakterisiren versuchen, welche bis zur Stunde in dem säch¬
sischen Theile der Oberlausitz bestehen.

Bekanntlich zählt die sächsische Oberlausitz eine nicht unbeträchtliche Zahl
von Wenden unter ihren Bewohnern, die man auf gegen 53,000 Köpfe ver¬
anschlagen mag. Seit einigen Jahrzehnten werden mannichfache Anstrengungen
gemacht, um unter dieser fast ausschließlich ländlichen Bevölkerung ein ge¬
wisses nationalslavisches Interesse zu erregen und ihren Dialekt zu conserviren;
einige kleine wendische Zeitschriften erscheinen in Bautzen, ein wendischer
Volksschriftenverein sorgt für Verbreitung wohlfeiler populärer Schriften in
wendischer Sprache u. s. f. Wir halten diese Bestrebungen sowohl für aus¬
sichtslos, als auch für nicht weiter gefährlich; allgemeine Wehrpflicht und
Steigerung des Verkehrs wirken auch hier als mächtigste Faktoren der Ger-
manisirung, und mögen auch einzelne wendische Heißsporne nach „Mütterchen
Moskau" wallfahrten und panslavistischen Ideen huldigen, die ungeheure
Mehrzahl der Wenden ist solchen Phantastereien abhold.

Es ist ferner allbekannt, daß die Oberlausitz in Bautzen ein katholisches
Domcapitel und außerdem zwei Cistertiensernonnenklöster Warienthal und
Marienstern) besitzt, um welche sich die relativ zahlreichste und compakteste
Masse der sächsischen Katholiken (etwa 30,000) gruppirt, an denen sie ihren
Halt findet. Eine besonders prononcirte Haltung der oberlausitzer Katholiken
ist bis auf die jüngste Zeit nicht hervorgetreten, sie haben hier und da eine
neue Gemeinde gegründet, eine neue Kirche gebaut, aber weiter keine auf¬
fällige Propaganda gemacht. Um so mehr muß das jüngste Vorgehen einer
geschlossenen ultramontanen Partei auffallen.

An sich würde ein solches bei der geringen Anzahl der Katholiken nichts
Bedenkliches haben, an sich ist auch, wie bemerkt, die wendische Bewegung
harmlos, um so mehr, als Wendenthum und Katholicismus sich nicht decken,
vielmehr der bei weitem größte Theil der Wenden der evangelischen Kirche
angehört. Aber die Sache verliert durchaus das harmlose Aussehen, wenn
man weiß, daß die Tschechen die „Revindication" der Oberlausitz noch keines¬
wegs aufgegeben haben, daß auf jeder tschechischen „Beseda" neben dem
böhmischen Löwen und dem Adler Schlesiens auch die goldne Mauer der
Oberlausitz prangt, daß vor allem zwischen den oberlausitzer Katholiken und
Böhmen sehr enge Beziehungen bestehen, endlich, daß gewisse politische An¬
sprüche der Krone Böhmen, also Oesterreichs, aus die Oberlausitz Sachs. Antheils


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[0310] rührt wird, zwei ultramontane Eandidaten aufgetaucht, und in zwei oberlausitzer Wahlkreisen, dem 1. und 3,, haben sie gar nicht unbeträchtliche Minderheiten auf sich vereinigt. Dies auffällige Vorgehen und sein nicht minder auffälliges Resultat werden es erklärlich, vielleicht sogar erwünscht er¬ scheinen lassen, wenn wir in den folgenden Blättern einige abnorme Ver¬ hältnisse zu charakterisiren versuchen, welche bis zur Stunde in dem säch¬ sischen Theile der Oberlausitz bestehen. Bekanntlich zählt die sächsische Oberlausitz eine nicht unbeträchtliche Zahl von Wenden unter ihren Bewohnern, die man auf gegen 53,000 Köpfe ver¬ anschlagen mag. Seit einigen Jahrzehnten werden mannichfache Anstrengungen gemacht, um unter dieser fast ausschließlich ländlichen Bevölkerung ein ge¬ wisses nationalslavisches Interesse zu erregen und ihren Dialekt zu conserviren; einige kleine wendische Zeitschriften erscheinen in Bautzen, ein wendischer Volksschriftenverein sorgt für Verbreitung wohlfeiler populärer Schriften in wendischer Sprache u. s. f. Wir halten diese Bestrebungen sowohl für aus¬ sichtslos, als auch für nicht weiter gefährlich; allgemeine Wehrpflicht und Steigerung des Verkehrs wirken auch hier als mächtigste Faktoren der Ger- manisirung, und mögen auch einzelne wendische Heißsporne nach „Mütterchen Moskau" wallfahrten und panslavistischen Ideen huldigen, die ungeheure Mehrzahl der Wenden ist solchen Phantastereien abhold. Es ist ferner allbekannt, daß die Oberlausitz in Bautzen ein katholisches Domcapitel und außerdem zwei Cistertiensernonnenklöster Warienthal und Marienstern) besitzt, um welche sich die relativ zahlreichste und compakteste Masse der sächsischen Katholiken (etwa 30,000) gruppirt, an denen sie ihren Halt findet. Eine besonders prononcirte Haltung der oberlausitzer Katholiken ist bis auf die jüngste Zeit nicht hervorgetreten, sie haben hier und da eine neue Gemeinde gegründet, eine neue Kirche gebaut, aber weiter keine auf¬ fällige Propaganda gemacht. Um so mehr muß das jüngste Vorgehen einer geschlossenen ultramontanen Partei auffallen. An sich würde ein solches bei der geringen Anzahl der Katholiken nichts Bedenkliches haben, an sich ist auch, wie bemerkt, die wendische Bewegung harmlos, um so mehr, als Wendenthum und Katholicismus sich nicht decken, vielmehr der bei weitem größte Theil der Wenden der evangelischen Kirche angehört. Aber die Sache verliert durchaus das harmlose Aussehen, wenn man weiß, daß die Tschechen die „Revindication" der Oberlausitz noch keines¬ wegs aufgegeben haben, daß auf jeder tschechischen „Beseda" neben dem böhmischen Löwen und dem Adler Schlesiens auch die goldne Mauer der Oberlausitz prangt, daß vor allem zwischen den oberlausitzer Katholiken und Böhmen sehr enge Beziehungen bestehen, endlich, daß gewisse politische An¬ sprüche der Krone Böhmen, also Oesterreichs, aus die Oberlausitz Sachs. Antheils

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/310>, abgerufen am 25.12.2024.