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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Friedrich aber gilt das Goethe-Wort- "In der Beschränkung zeigt sich erst
der Meister!"')

Inzwischen regte sich auf französischem Boden eine Opposition gegen die
Lineartaktik. Die Tradition der griechischen Renaissance, der alte Gedanke
der Phalanx fand wieder Anhänger und der Chevalier de Folard ward ihr
begeisterter Prophet.") - Für ihn existirt die Linie als Gefechtsform gar
nicht mehr; die Feuerwirkung verachtet er; die phalangitische Kolonne und
die Stoßtaktik, der Appel an die blanke Waffe sind ihm das Arkanum des
Sieges. Dem Chevalier secundirte in den Hauptsachen der französische Mar¬
schall Moritz von Sachsen und Menil Durand erfand für diese Richtung
das Stichwort: "Orclie ü'Ap^is vn taetihue," 5) Damit schien dem soge¬
nannten preußischen Styl ein national-französischer entgegengesetzt zu sein,
während im Grunde nur für die alte Rivalität der römischen und der grie¬
chischen Renaissance ein neuer Name gefunden war. Uebrigens siegten auch
in Frankreich vorläufig noch die Anhänger der Lineartaktik, und erst unter
ganz besonderen Umständen sollte die Kolonne auf dem Schlachtfelde zur
Herrschaft kommen.

Schon zu Anfang meines Vortrags habe ich darauf hingewiesen, daß
die ausschließliche Anwendung des Schwarm- und Fern-Gefechts, wie sie uns
zuerst bei den Orientalen begegnete, die geringste Potenz von kriegerischer
Tüchtigkeit und den niedrigsten Stand der Kriegskunst bezeichnet. Die Wahrheit
dieses Satzes bestätigte auch wieder das erste Auftreten allgemeiner Tiratlleur-
gefechte in der Neuzeit, schon dadurch, daß diese wirklich dem Barbarenthum,
nämlich den Jndianerkriegen Nordamerikas entstammten. Aber indem die
Neu-England-Staaten jene Fechtweise nothgedrungen adoptirten und, unter¬
stützt von Frankreich, gegen ihr Mutterland zur Anwendung brachten, ver¬
brettete sie sich nach Europa und streute hier ihren Samen in den durch die
große Revolution umgewühlten Kulturboden Frankreichs. Diese Einwirkung
im Verein mit der eigenen Unfähigkeit, in den überlieferten Kunstformen
zu fechten, zu deren Aufrechterhaltung es an Zucht und Schule fehlte -- das
sind die Momente, unter denen sich die Taktik der Revolutionsheere heraus¬
bildete, eine Taktik, die zunächst gar keinen Styl repräsentirt, sondern den
einfachen Rückfall in die Barbarei. -- Es ist das Rousseau'sche Naturprtneip
auf die Kriegskunst angewandt.

Die Erfolge, welche diese Fechtweise erzielte, sind von den Bewunderern






-) Natur und Kunst.
lllstoirs us ?olzche, ttaduit xar Vincent Ilmillisi' avso un vommelltairs psr N.
cle I'vorn; I ?ran6 la Loloime. 1727.
I,es Rövsriss. ?-u'is. 1757.
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Friedrich aber gilt das Goethe-Wort- „In der Beschränkung zeigt sich erst
der Meister!"')

Inzwischen regte sich auf französischem Boden eine Opposition gegen die
Lineartaktik. Die Tradition der griechischen Renaissance, der alte Gedanke
der Phalanx fand wieder Anhänger und der Chevalier de Folard ward ihr
begeisterter Prophet.") - Für ihn existirt die Linie als Gefechtsform gar
nicht mehr; die Feuerwirkung verachtet er; die phalangitische Kolonne und
die Stoßtaktik, der Appel an die blanke Waffe sind ihm das Arkanum des
Sieges. Dem Chevalier secundirte in den Hauptsachen der französische Mar¬
schall Moritz von Sachsen und Menil Durand erfand für diese Richtung
das Stichwort: „Orclie ü'Ap^is vn taetihue," 5) Damit schien dem soge¬
nannten preußischen Styl ein national-französischer entgegengesetzt zu sein,
während im Grunde nur für die alte Rivalität der römischen und der grie¬
chischen Renaissance ein neuer Name gefunden war. Uebrigens siegten auch
in Frankreich vorläufig noch die Anhänger der Lineartaktik, und erst unter
ganz besonderen Umständen sollte die Kolonne auf dem Schlachtfelde zur
Herrschaft kommen.

Schon zu Anfang meines Vortrags habe ich darauf hingewiesen, daß
die ausschließliche Anwendung des Schwarm- und Fern-Gefechts, wie sie uns
zuerst bei den Orientalen begegnete, die geringste Potenz von kriegerischer
Tüchtigkeit und den niedrigsten Stand der Kriegskunst bezeichnet. Die Wahrheit
dieses Satzes bestätigte auch wieder das erste Auftreten allgemeiner Tiratlleur-
gefechte in der Neuzeit, schon dadurch, daß diese wirklich dem Barbarenthum,
nämlich den Jndianerkriegen Nordamerikas entstammten. Aber indem die
Neu-England-Staaten jene Fechtweise nothgedrungen adoptirten und, unter¬
stützt von Frankreich, gegen ihr Mutterland zur Anwendung brachten, ver¬
brettete sie sich nach Europa und streute hier ihren Samen in den durch die
große Revolution umgewühlten Kulturboden Frankreichs. Diese Einwirkung
im Verein mit der eigenen Unfähigkeit, in den überlieferten Kunstformen
zu fechten, zu deren Aufrechterhaltung es an Zucht und Schule fehlte — das
sind die Momente, unter denen sich die Taktik der Revolutionsheere heraus¬
bildete, eine Taktik, die zunächst gar keinen Styl repräsentirt, sondern den
einfachen Rückfall in die Barbarei. — Es ist das Rousseau'sche Naturprtneip
auf die Kriegskunst angewandt.

Die Erfolge, welche diese Fechtweise erzielte, sind von den Bewunderern






-) Natur und Kunst.
lllstoirs us ?olzche, ttaduit xar Vincent Ilmillisi' avso un vommelltairs psr N.
cle I'vorn; I ?ran6 la Loloime. 1727.
I,es Rövsriss. ?-u'is. 1757.
'
1) ?rojöt et'um ol'ni'n tr-wykUn «n wotiqnsi, um In pi>5it!uißi<! onup«'" >1onM>?, »on-
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[0306] Friedrich aber gilt das Goethe-Wort- „In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister!"') Inzwischen regte sich auf französischem Boden eine Opposition gegen die Lineartaktik. Die Tradition der griechischen Renaissance, der alte Gedanke der Phalanx fand wieder Anhänger und der Chevalier de Folard ward ihr begeisterter Prophet.") - Für ihn existirt die Linie als Gefechtsform gar nicht mehr; die Feuerwirkung verachtet er; die phalangitische Kolonne und die Stoßtaktik, der Appel an die blanke Waffe sind ihm das Arkanum des Sieges. Dem Chevalier secundirte in den Hauptsachen der französische Mar¬ schall Moritz von Sachsen und Menil Durand erfand für diese Richtung das Stichwort: „Orclie ü'Ap^is vn taetihue," 5) Damit schien dem soge¬ nannten preußischen Styl ein national-französischer entgegengesetzt zu sein, während im Grunde nur für die alte Rivalität der römischen und der grie¬ chischen Renaissance ein neuer Name gefunden war. Uebrigens siegten auch in Frankreich vorläufig noch die Anhänger der Lineartaktik, und erst unter ganz besonderen Umständen sollte die Kolonne auf dem Schlachtfelde zur Herrschaft kommen. Schon zu Anfang meines Vortrags habe ich darauf hingewiesen, daß die ausschließliche Anwendung des Schwarm- und Fern-Gefechts, wie sie uns zuerst bei den Orientalen begegnete, die geringste Potenz von kriegerischer Tüchtigkeit und den niedrigsten Stand der Kriegskunst bezeichnet. Die Wahrheit dieses Satzes bestätigte auch wieder das erste Auftreten allgemeiner Tiratlleur- gefechte in der Neuzeit, schon dadurch, daß diese wirklich dem Barbarenthum, nämlich den Jndianerkriegen Nordamerikas entstammten. Aber indem die Neu-England-Staaten jene Fechtweise nothgedrungen adoptirten und, unter¬ stützt von Frankreich, gegen ihr Mutterland zur Anwendung brachten, ver¬ brettete sie sich nach Europa und streute hier ihren Samen in den durch die große Revolution umgewühlten Kulturboden Frankreichs. Diese Einwirkung im Verein mit der eigenen Unfähigkeit, in den überlieferten Kunstformen zu fechten, zu deren Aufrechterhaltung es an Zucht und Schule fehlte — das sind die Momente, unter denen sich die Taktik der Revolutionsheere heraus¬ bildete, eine Taktik, die zunächst gar keinen Styl repräsentirt, sondern den einfachen Rückfall in die Barbarei. — Es ist das Rousseau'sche Naturprtneip auf die Kriegskunst angewandt. Die Erfolge, welche diese Fechtweise erzielte, sind von den Bewunderern -) Natur und Kunst. lllstoirs us ?olzche, ttaduit xar Vincent Ilmillisi' avso un vommelltairs psr N. cle I'vorn; I ?ran6 la Loloime. 1727. I,es Rövsriss. ?-u'is. 1757. ' 1) ?rojöt et'um ol'ni'n tr-wykUn «n wotiqnsi, um In pi>5it!uißi<! onup«'" >1onM>?, »on- tsmie p»r Jo müIiuiZs «le» -vrmes. I7!>5.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/306>, abgerufen am 26.08.2024.