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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Aus den Tagen des älteren Puysegur. der unter Mazarin den höchsten Barock¬
styl der Taktik ausgebildet hat. pflanzt es sich fort in jene R ocoeoperiode
der Kunst, welche in den Lustlagern August's.des Starken ihre üppigsten
Blüthen triel) und endlich in jene steife Zopfzeit, die allerdings mit un¬
endlich viel höherem Ernste auf dem Sande des Potsdamer Lustgartens uullu,
äivs sins unen, vorübergehen ließ. -- Die mechanische Lineartaktik Friedrich
Wilhelm's I. und des alten Dessauers mit dem langsamen Avancirmarsch von
7S Schritten in der Minute, aber auch mit dem Schnellfeuer von 8 Schuß
in der Minute, welches die Bataillone als "wandelnde Batterien" erscheinen
ließ"') -- das war die formale Erbschaft, die der große Friedrich antrat; und
fast möchte man zweifeln, daß es dem Genie möglich sei, sich in solchen eng
abgemessenen pedantischen Formen zu bethätigen.


Doch wer durchdrungen ist vom ewig Wahren,
Dem muß die Form sich unbewußt vereinen,
Und was dem Stümper mag gefährlich scheinen,
Das muß den Meister göttlich offenbaren. **)

Aus seiner ersten Schlacht lernte Friedrich mehr als Andere aus hundert.***)
-- Die einfache und doch so große Maxime von der überwältigenden Kraft
der Initiative, von der Macht des Angriffs ging ihm auf, und mit einem
Schlage durchdrang ihn das Gefühl von der Wichtigkeit, den Angriffsstoß
auf Einen Punkt zu führen und hier unbedingt zu siegen, und damit zugleich
kam ihm die Offenbarung, wie das mit dem Kanon der Lineartaktik zu
machen sei: er faßte den Gedanken der schiefen Schlachtordnung; er verband
mit dem legionaren Treffensystem dieselbe Idee, welche zuerst Epaminondas
mit der Phalanx ausgeführt.

Wenn man sich nun aber des unsterblichen Ruhmes freut, den Friedrich
in jenen starren Formen der Zopfzeit zu erfechten gewußt, so wolle man doch
nie vergessen, daß es nur der Genius war, der sich frei in ihm bewegte,
nicht aber die Form selbst, durch die das kaum Begreifliche gelang. Und
doch, seine Zeitgenossen vergaßen das bereits! Schon sie modelten die groß."
artigen Bewegungen, welche der König im Kriege angewandt, wieder in geo¬
metrische Spielereien und evolutionäre Spekulationen um und wähnten, in
diesen das Geheimniß der Kunst zu besitzen. So wird denn der Styl der
ganzen Periode selbst durch einen Geist wie Friedrich nicht geändert.--Es ist
überhaupt nur eine Viertel-Wahrheit, wenn man sagt: se^Je e'est I'Komme;
der Styl ist vielmehr, im Großen genommen, Gesetz, Gesetz der Zeit, und
ihm muß sich jede Individualität, auch die mächtigste, unterwerfen. -- Bon





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") A. v. Ploten: Da" So"alt an Goethe.
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Aus den Tagen des älteren Puysegur. der unter Mazarin den höchsten Barock¬
styl der Taktik ausgebildet hat. pflanzt es sich fort in jene R ocoeoperiode
der Kunst, welche in den Lustlagern August's.des Starken ihre üppigsten
Blüthen triel) und endlich in jene steife Zopfzeit, die allerdings mit un¬
endlich viel höherem Ernste auf dem Sande des Potsdamer Lustgartens uullu,
äivs sins unen, vorübergehen ließ. — Die mechanische Lineartaktik Friedrich
Wilhelm's I. und des alten Dessauers mit dem langsamen Avancirmarsch von
7S Schritten in der Minute, aber auch mit dem Schnellfeuer von 8 Schuß
in der Minute, welches die Bataillone als „wandelnde Batterien" erscheinen
ließ"') — das war die formale Erbschaft, die der große Friedrich antrat; und
fast möchte man zweifeln, daß es dem Genie möglich sei, sich in solchen eng
abgemessenen pedantischen Formen zu bethätigen.


Doch wer durchdrungen ist vom ewig Wahren,
Dem muß die Form sich unbewußt vereinen,
Und was dem Stümper mag gefährlich scheinen,
Das muß den Meister göttlich offenbaren. **)

Aus seiner ersten Schlacht lernte Friedrich mehr als Andere aus hundert.***)
— Die einfache und doch so große Maxime von der überwältigenden Kraft
der Initiative, von der Macht des Angriffs ging ihm auf, und mit einem
Schlage durchdrang ihn das Gefühl von der Wichtigkeit, den Angriffsstoß
auf Einen Punkt zu führen und hier unbedingt zu siegen, und damit zugleich
kam ihm die Offenbarung, wie das mit dem Kanon der Lineartaktik zu
machen sei: er faßte den Gedanken der schiefen Schlachtordnung; er verband
mit dem legionaren Treffensystem dieselbe Idee, welche zuerst Epaminondas
mit der Phalanx ausgeführt.

Wenn man sich nun aber des unsterblichen Ruhmes freut, den Friedrich
in jenen starren Formen der Zopfzeit zu erfechten gewußt, so wolle man doch
nie vergessen, daß es nur der Genius war, der sich frei in ihm bewegte,
nicht aber die Form selbst, durch die das kaum Begreifliche gelang. Und
doch, seine Zeitgenossen vergaßen das bereits! Schon sie modelten die groß.«
artigen Bewegungen, welche der König im Kriege angewandt, wieder in geo¬
metrische Spielereien und evolutionäre Spekulationen um und wähnten, in
diesen das Geheimniß der Kunst zu besitzen. So wird denn der Styl der
ganzen Periode selbst durch einen Geist wie Friedrich nicht geändert.—Es ist
überhaupt nur eine Viertel-Wahrheit, wenn man sagt: se^Je e'est I'Komme;
der Styl ist vielmehr, im Großen genommen, Gesetz, Gesetz der Zeit, und
ihm muß sich jede Individualität, auch die mächtigste, unterwerfen. — Bon





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[0305] Aus den Tagen des älteren Puysegur. der unter Mazarin den höchsten Barock¬ styl der Taktik ausgebildet hat. pflanzt es sich fort in jene R ocoeoperiode der Kunst, welche in den Lustlagern August's.des Starken ihre üppigsten Blüthen triel) und endlich in jene steife Zopfzeit, die allerdings mit un¬ endlich viel höherem Ernste auf dem Sande des Potsdamer Lustgartens uullu, äivs sins unen, vorübergehen ließ. — Die mechanische Lineartaktik Friedrich Wilhelm's I. und des alten Dessauers mit dem langsamen Avancirmarsch von 7S Schritten in der Minute, aber auch mit dem Schnellfeuer von 8 Schuß in der Minute, welches die Bataillone als „wandelnde Batterien" erscheinen ließ"') — das war die formale Erbschaft, die der große Friedrich antrat; und fast möchte man zweifeln, daß es dem Genie möglich sei, sich in solchen eng abgemessenen pedantischen Formen zu bethätigen. Doch wer durchdrungen ist vom ewig Wahren, Dem muß die Form sich unbewußt vereinen, Und was dem Stümper mag gefährlich scheinen, Das muß den Meister göttlich offenbaren. **) Aus seiner ersten Schlacht lernte Friedrich mehr als Andere aus hundert.***) — Die einfache und doch so große Maxime von der überwältigenden Kraft der Initiative, von der Macht des Angriffs ging ihm auf, und mit einem Schlage durchdrang ihn das Gefühl von der Wichtigkeit, den Angriffsstoß auf Einen Punkt zu führen und hier unbedingt zu siegen, und damit zugleich kam ihm die Offenbarung, wie das mit dem Kanon der Lineartaktik zu machen sei: er faßte den Gedanken der schiefen Schlachtordnung; er verband mit dem legionaren Treffensystem dieselbe Idee, welche zuerst Epaminondas mit der Phalanx ausgeführt. Wenn man sich nun aber des unsterblichen Ruhmes freut, den Friedrich in jenen starren Formen der Zopfzeit zu erfechten gewußt, so wolle man doch nie vergessen, daß es nur der Genius war, der sich frei in ihm bewegte, nicht aber die Form selbst, durch die das kaum Begreifliche gelang. Und doch, seine Zeitgenossen vergaßen das bereits! Schon sie modelten die groß.« artigen Bewegungen, welche der König im Kriege angewandt, wieder in geo¬ metrische Spielereien und evolutionäre Spekulationen um und wähnten, in diesen das Geheimniß der Kunst zu besitzen. So wird denn der Styl der ganzen Periode selbst durch einen Geist wie Friedrich nicht geändert.—Es ist überhaupt nur eine Viertel-Wahrheit, wenn man sagt: se^Je e'est I'Komme; der Styl ist vielmehr, im Großen genommen, Gesetz, Gesetz der Zeit, und ihm muß sich jede Individualität, auch die mächtigste, unterwerfen. — Bon ") ki'rSäöriv: llistoirs As mon tswps. I. ") A. v. Ploten: Da« So»alt an Goethe. ?roa.'rie a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/305>, abgerufen am 26.08.2024.