Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aufblühen dieser Früh ren ais san ce der Kriegskunst plaidirt ein prophe¬
tischer Geist wie Machiavelli für die Treffenstellung, für die römische Legion. --
Das Vorherrschen der blanken Waffen, der Piken, ließ indessen noch auf zwei
Jahrhunderte hinaus die Phalanx Fundamentalform der Kriegskunst bleiben.
-- Erst als die Feuerwaffe des Fußvolks durch immer neue Verbesserungen
handlicher und wirkungsvoller wurde, da trat an die Kriegskünstler die Auf¬
gabe heran, Pikeniere und Schützen zweckmäßiger zu verbinden, als es im
phalangitijchen Gewalthaufen möglich war. und es ist das Verdienst der
niederländischen Feldherren, namentlich Oraniens. erkannt zu haben, wie die
bloße Wucht der Masse sich übertreffen lasse, wenn man die Tiefe der Truppen
zu Gunsten ihrer Frontausdehnung, also ihrer Feuerwirkung, vermindere,
wenn man die taktischen Einheiten verkleinere und folglich vermehre, wenn
man sie treffenartig gliedere, mit einem Worte, wenn man sich der legionaren
Ordnung nähere. -- Zum europäischen Styl aber wurde dies niederländische
System erst durch Gustav Adolf. Er wird mit Recht der Schöpfer der neuen
Taktik genannt; er zuerst hat das Treffensystem in seiner Reinheit, d. h. im
Sinne der Römer, wiederhergestellt, und erst die Brigadestellung des Schweden¬
königs führt die schon von Machiavelli angestrebte römische Taktik ins Leben
ein. -- Das ist die Hochrenaissance der Kriegskunst.

Hand in Hand mit Vermehrung der taktischen Einheiten und mit Ein¬
führung der Treffenstellung ging eine ununterbrochene Steigerung der For¬
derungen an die Manövrir- und Exereirfähigkeit der Truppen. Nicht umsonst
wird schon Moritz von Oranien ein "Erfinder und Aufsucher des Drittens"
genannt; er mußte es sein; denn die flüssigere Fechtart, die neuen Evolutionen
forderten unbedingt größere Gewandheit und Genauigkeit der Einzelbewegungen
als bisher. -- Bald jedoch trat das Exercitium auch noch in anderer Weise
in den Vordergrund. Seit die stehenden Garden anfingen, einen wesentlichen
Theil fürstlichen Hofglanzes auszumachen, da sollten sie sich auch als etwas
an sich Schönes, anmuthig Anzuschauendes erweisen, welches ebensowohl zu
gefallen als zu imponiren vermöge. Und wie in der Periode des Barock¬
bau Styles die willkürliche unorganische Anwendung architektonischer Glieder,
die Uebertreibung der Construetionselemente bis zu pomphafter Prahlerei ge¬
trieben wird und die Emancipirung der Decoration an die Tagesordnung
kommt, gerade so wird in der Barockperiode der Kriegskunst das Exer-
citium nach und nach vom eigentlichen Gefechtszweck emancipirt; und obwohl
bis zu einer gewissen Grenze auch die Ausbildung für die Parade unleugbar
mit der für den Felddienst zusammenging, so wurde diese Grenze doch fast
allenthalben überschritten. Dies Ueberwuchern der Paradeformen, dies Spielen
mit dem constructiver Detail, dauert lange an: man kann sagen ebensolange
als der monarchische Absolutismus und das Söldnerthum in den Heeren.


Aufblühen dieser Früh ren ais san ce der Kriegskunst plaidirt ein prophe¬
tischer Geist wie Machiavelli für die Treffenstellung, für die römische Legion. —
Das Vorherrschen der blanken Waffen, der Piken, ließ indessen noch auf zwei
Jahrhunderte hinaus die Phalanx Fundamentalform der Kriegskunst bleiben.
— Erst als die Feuerwaffe des Fußvolks durch immer neue Verbesserungen
handlicher und wirkungsvoller wurde, da trat an die Kriegskünstler die Auf¬
gabe heran, Pikeniere und Schützen zweckmäßiger zu verbinden, als es im
phalangitijchen Gewalthaufen möglich war. und es ist das Verdienst der
niederländischen Feldherren, namentlich Oraniens. erkannt zu haben, wie die
bloße Wucht der Masse sich übertreffen lasse, wenn man die Tiefe der Truppen
zu Gunsten ihrer Frontausdehnung, also ihrer Feuerwirkung, vermindere,
wenn man die taktischen Einheiten verkleinere und folglich vermehre, wenn
man sie treffenartig gliedere, mit einem Worte, wenn man sich der legionaren
Ordnung nähere. — Zum europäischen Styl aber wurde dies niederländische
System erst durch Gustav Adolf. Er wird mit Recht der Schöpfer der neuen
Taktik genannt; er zuerst hat das Treffensystem in seiner Reinheit, d. h. im
Sinne der Römer, wiederhergestellt, und erst die Brigadestellung des Schweden¬
königs führt die schon von Machiavelli angestrebte römische Taktik ins Leben
ein. — Das ist die Hochrenaissance der Kriegskunst.

Hand in Hand mit Vermehrung der taktischen Einheiten und mit Ein¬
führung der Treffenstellung ging eine ununterbrochene Steigerung der For¬
derungen an die Manövrir- und Exereirfähigkeit der Truppen. Nicht umsonst
wird schon Moritz von Oranien ein „Erfinder und Aufsucher des Drittens"
genannt; er mußte es sein; denn die flüssigere Fechtart, die neuen Evolutionen
forderten unbedingt größere Gewandheit und Genauigkeit der Einzelbewegungen
als bisher. — Bald jedoch trat das Exercitium auch noch in anderer Weise
in den Vordergrund. Seit die stehenden Garden anfingen, einen wesentlichen
Theil fürstlichen Hofglanzes auszumachen, da sollten sie sich auch als etwas
an sich Schönes, anmuthig Anzuschauendes erweisen, welches ebensowohl zu
gefallen als zu imponiren vermöge. Und wie in der Periode des Barock¬
bau Styles die willkürliche unorganische Anwendung architektonischer Glieder,
die Uebertreibung der Construetionselemente bis zu pomphafter Prahlerei ge¬
trieben wird und die Emancipirung der Decoration an die Tagesordnung
kommt, gerade so wird in der Barockperiode der Kriegskunst das Exer-
citium nach und nach vom eigentlichen Gefechtszweck emancipirt; und obwohl
bis zu einer gewissen Grenze auch die Ausbildung für die Parade unleugbar
mit der für den Felddienst zusammenging, so wurde diese Grenze doch fast
allenthalben überschritten. Dies Ueberwuchern der Paradeformen, dies Spielen
mit dem constructiver Detail, dauert lange an: man kann sagen ebensolange
als der monarchische Absolutismus und das Söldnerthum in den Heeren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130948"/>
          <p xml:id="ID_918" prev="#ID_917"> Aufblühen dieser Früh ren ais san ce der Kriegskunst plaidirt ein prophe¬<lb/>
tischer Geist wie Machiavelli für die Treffenstellung, für die römische Legion. &#x2014;<lb/>
Das Vorherrschen der blanken Waffen, der Piken, ließ indessen noch auf zwei<lb/>
Jahrhunderte hinaus die Phalanx Fundamentalform der Kriegskunst bleiben.<lb/>
&#x2014; Erst als die Feuerwaffe des Fußvolks durch immer neue Verbesserungen<lb/>
handlicher und wirkungsvoller wurde, da trat an die Kriegskünstler die Auf¬<lb/>
gabe heran, Pikeniere und Schützen zweckmäßiger zu verbinden, als es im<lb/>
phalangitijchen Gewalthaufen möglich war. und es ist das Verdienst der<lb/>
niederländischen Feldherren, namentlich Oraniens. erkannt zu haben, wie die<lb/>
bloße Wucht der Masse sich übertreffen lasse, wenn man die Tiefe der Truppen<lb/>
zu Gunsten ihrer Frontausdehnung, also ihrer Feuerwirkung, vermindere,<lb/>
wenn man die taktischen Einheiten verkleinere und folglich vermehre, wenn<lb/>
man sie treffenartig gliedere, mit einem Worte, wenn man sich der legionaren<lb/>
Ordnung nähere. &#x2014; Zum europäischen Styl aber wurde dies niederländische<lb/>
System erst durch Gustav Adolf. Er wird mit Recht der Schöpfer der neuen<lb/>
Taktik genannt; er zuerst hat das Treffensystem in seiner Reinheit, d. h. im<lb/>
Sinne der Römer, wiederhergestellt, und erst die Brigadestellung des Schweden¬<lb/>
königs führt die schon von Machiavelli angestrebte römische Taktik ins Leben<lb/>
ein. &#x2014; Das ist die Hochrenaissance der Kriegskunst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_919" next="#ID_920"> Hand in Hand mit Vermehrung der taktischen Einheiten und mit Ein¬<lb/>
führung der Treffenstellung ging eine ununterbrochene Steigerung der For¬<lb/>
derungen an die Manövrir- und Exereirfähigkeit der Truppen. Nicht umsonst<lb/>
wird schon Moritz von Oranien ein &#x201E;Erfinder und Aufsucher des Drittens"<lb/>
genannt; er mußte es sein; denn die flüssigere Fechtart, die neuen Evolutionen<lb/>
forderten unbedingt größere Gewandheit und Genauigkeit der Einzelbewegungen<lb/>
als bisher. &#x2014; Bald jedoch trat das Exercitium auch noch in anderer Weise<lb/>
in den Vordergrund. Seit die stehenden Garden anfingen, einen wesentlichen<lb/>
Theil fürstlichen Hofglanzes auszumachen, da sollten sie sich auch als etwas<lb/>
an sich Schönes, anmuthig Anzuschauendes erweisen, welches ebensowohl zu<lb/>
gefallen als zu imponiren vermöge. Und wie in der Periode des Barock¬<lb/>
bau Styles die willkürliche unorganische Anwendung architektonischer Glieder,<lb/>
die Uebertreibung der Construetionselemente bis zu pomphafter Prahlerei ge¬<lb/>
trieben wird und die Emancipirung der Decoration an die Tagesordnung<lb/>
kommt, gerade so wird in der Barockperiode der Kriegskunst das Exer-<lb/>
citium nach und nach vom eigentlichen Gefechtszweck emancipirt; und obwohl<lb/>
bis zu einer gewissen Grenze auch die Ausbildung für die Parade unleugbar<lb/>
mit der für den Felddienst zusammenging, so wurde diese Grenze doch fast<lb/>
allenthalben überschritten. Dies Ueberwuchern der Paradeformen, dies Spielen<lb/>
mit dem constructiver Detail, dauert lange an: man kann sagen ebensolange<lb/>
als der monarchische Absolutismus und das Söldnerthum in den Heeren.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0304] Aufblühen dieser Früh ren ais san ce der Kriegskunst plaidirt ein prophe¬ tischer Geist wie Machiavelli für die Treffenstellung, für die römische Legion. — Das Vorherrschen der blanken Waffen, der Piken, ließ indessen noch auf zwei Jahrhunderte hinaus die Phalanx Fundamentalform der Kriegskunst bleiben. — Erst als die Feuerwaffe des Fußvolks durch immer neue Verbesserungen handlicher und wirkungsvoller wurde, da trat an die Kriegskünstler die Auf¬ gabe heran, Pikeniere und Schützen zweckmäßiger zu verbinden, als es im phalangitijchen Gewalthaufen möglich war. und es ist das Verdienst der niederländischen Feldherren, namentlich Oraniens. erkannt zu haben, wie die bloße Wucht der Masse sich übertreffen lasse, wenn man die Tiefe der Truppen zu Gunsten ihrer Frontausdehnung, also ihrer Feuerwirkung, vermindere, wenn man die taktischen Einheiten verkleinere und folglich vermehre, wenn man sie treffenartig gliedere, mit einem Worte, wenn man sich der legionaren Ordnung nähere. — Zum europäischen Styl aber wurde dies niederländische System erst durch Gustav Adolf. Er wird mit Recht der Schöpfer der neuen Taktik genannt; er zuerst hat das Treffensystem in seiner Reinheit, d. h. im Sinne der Römer, wiederhergestellt, und erst die Brigadestellung des Schweden¬ königs führt die schon von Machiavelli angestrebte römische Taktik ins Leben ein. — Das ist die Hochrenaissance der Kriegskunst. Hand in Hand mit Vermehrung der taktischen Einheiten und mit Ein¬ führung der Treffenstellung ging eine ununterbrochene Steigerung der For¬ derungen an die Manövrir- und Exereirfähigkeit der Truppen. Nicht umsonst wird schon Moritz von Oranien ein „Erfinder und Aufsucher des Drittens" genannt; er mußte es sein; denn die flüssigere Fechtart, die neuen Evolutionen forderten unbedingt größere Gewandheit und Genauigkeit der Einzelbewegungen als bisher. — Bald jedoch trat das Exercitium auch noch in anderer Weise in den Vordergrund. Seit die stehenden Garden anfingen, einen wesentlichen Theil fürstlichen Hofglanzes auszumachen, da sollten sie sich auch als etwas an sich Schönes, anmuthig Anzuschauendes erweisen, welches ebensowohl zu gefallen als zu imponiren vermöge. Und wie in der Periode des Barock¬ bau Styles die willkürliche unorganische Anwendung architektonischer Glieder, die Uebertreibung der Construetionselemente bis zu pomphafter Prahlerei ge¬ trieben wird und die Emancipirung der Decoration an die Tagesordnung kommt, gerade so wird in der Barockperiode der Kriegskunst das Exer- citium nach und nach vom eigentlichen Gefechtszweck emancipirt; und obwohl bis zu einer gewissen Grenze auch die Ausbildung für die Parade unleugbar mit der für den Felddienst zusammenging, so wurde diese Grenze doch fast allenthalben überschritten. Dies Ueberwuchern der Paradeformen, dies Spielen mit dem constructiver Detail, dauert lange an: man kann sagen ebensolange als der monarchische Absolutismus und das Söldnerthum in den Heeren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/304
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/304>, abgerufen am 26.08.2024.