Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.retten und seinen äußern Glanz wiederherzustellen, der sich allen Ernstes ein¬ Dieser ebenso beschränkte wie ehrenfeste Prätendent nun hielt an seinem retten und seinen äußern Glanz wiederherzustellen, der sich allen Ernstes ein¬ Dieser ebenso beschränkte wie ehrenfeste Prätendent nun hielt an seinem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130943"/> <p xml:id="ID_906" prev="#ID_905"> retten und seinen äußern Glanz wiederherzustellen, der sich allen Ernstes ein¬<lb/> bildete, daß ganz Europa seiner Rückkehr auf den französischen Thron harre,<lb/> weil ganz Europa das Gefühl habe, seiner zu bedürfen, dessen vertraute Or¬<lb/> gane täglich wiederholten, daß die bloße Thatsache seiner Thronbesteigung<lb/> hinreichen werde, um die aus allen Fugen gegangene europäische Rechts¬<lb/> ordnung wiederherzustellen, d. h. um Rom dem Papste zurückzugeben, die<lb/> vertriebenen italienischen Fürstenfamilien in ihre Staaten, Don Carlos auf<lb/> den spanischen Thron zurückzuführen, das deutsche Reich zu zertrümmern,<lb/> Elsaß und Lothringen wieder an die untheilbare französische Monarchie zu<lb/> leiten. Es ist eine ganz eigenartige, seltsame Erscheinung, dieser wunderliche<lb/> Vertreter des Legitimitätsprincips. Es giebt wohl kaum einen gebildeten<lb/> Mann in Europa, vielleicht Pius IX. ausgenommen, der von der Macht der<lb/> Thatsachen, die seit 20 Jahren sich vollzogen haben, so absolut unklare Vor¬<lb/> stellungen hat, als der Graf von Chambord, der in seinem einsamen öster¬<lb/> reichischen Landsitz von wenigen vertrauten Freunden umgeben, von der Welt<lb/> lange Zeit hindurch fast ganz vergessen, seinerseits die Welt durch die Brille<lb/> eines Systems anschaute, in der die Personen und Ereignisse sich in fratzenhaft<lb/> verzerrter Gestalt wiederspiegelten. Und diese phantastischen Anschauungen<lb/> waren ihm gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen; sie bildeten die<lb/> Substanz seines geistigen Daseins; sie waren die Triebfeder seines Denkens<lb/> und Trachtens, und Leidens, denn Handelns kann man nicht sagen, da<lb/> die Starrheit seines Princips ja jedes Handeln ausschloß. Von einem uner¬<lb/> schütterlichen Glauben an seinen Retterberuf erfüllt, glaubte er diesen Beruf<lb/> zu entweihen, ihn gleichsam seiner mystischen Kraft zu entkleiden, wenn er<lb/> einen Schritt thäte, um ihn zur Geltung zu bringen. Seine ganze Präten¬<lb/> dententhätigkeit beschränkte sich darauf, daß er von Zeit zu Zeit die Franzosen<lb/> durch Veröffentlichung von gelegentlichen Briefen an vertraute Anhänger an<lb/> sein Dasein erinnerte und seine Bereitwilligkeit erklärte, sein Land zu retten,<lb/> wenn dieses sich retten lassen wolle, wobei außerdem noch die große Schwie¬<lb/> rigkeit obwaltete, wie das Land diesen Willen kundgeben sollte, ohne einen<lb/> Souveränetätsact auszuüben und dadurch der Souveränetät des Grafen zu<lb/> nahe zu treten.</p><lb/> <p xml:id="ID_907"> Dieser ebenso beschränkte wie ehrenfeste Prätendent nun hielt an seinem<lb/> Symbol, dem Lilienbanner, ebenso fest, wie die Franzosen an ihrer Tricolore.<lb/> Was aber war denn nun der eigentliche Inhalt dieses von ganz Frankreich<lb/><note type="byline"> Georg Zelle.</note> gefurchteren und verabscheuten Symbols? </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
retten und seinen äußern Glanz wiederherzustellen, der sich allen Ernstes ein¬
bildete, daß ganz Europa seiner Rückkehr auf den französischen Thron harre,
weil ganz Europa das Gefühl habe, seiner zu bedürfen, dessen vertraute Or¬
gane täglich wiederholten, daß die bloße Thatsache seiner Thronbesteigung
hinreichen werde, um die aus allen Fugen gegangene europäische Rechts¬
ordnung wiederherzustellen, d. h. um Rom dem Papste zurückzugeben, die
vertriebenen italienischen Fürstenfamilien in ihre Staaten, Don Carlos auf
den spanischen Thron zurückzuführen, das deutsche Reich zu zertrümmern,
Elsaß und Lothringen wieder an die untheilbare französische Monarchie zu
leiten. Es ist eine ganz eigenartige, seltsame Erscheinung, dieser wunderliche
Vertreter des Legitimitätsprincips. Es giebt wohl kaum einen gebildeten
Mann in Europa, vielleicht Pius IX. ausgenommen, der von der Macht der
Thatsachen, die seit 20 Jahren sich vollzogen haben, so absolut unklare Vor¬
stellungen hat, als der Graf von Chambord, der in seinem einsamen öster¬
reichischen Landsitz von wenigen vertrauten Freunden umgeben, von der Welt
lange Zeit hindurch fast ganz vergessen, seinerseits die Welt durch die Brille
eines Systems anschaute, in der die Personen und Ereignisse sich in fratzenhaft
verzerrter Gestalt wiederspiegelten. Und diese phantastischen Anschauungen
waren ihm gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen; sie bildeten die
Substanz seines geistigen Daseins; sie waren die Triebfeder seines Denkens
und Trachtens, und Leidens, denn Handelns kann man nicht sagen, da
die Starrheit seines Princips ja jedes Handeln ausschloß. Von einem uner¬
schütterlichen Glauben an seinen Retterberuf erfüllt, glaubte er diesen Beruf
zu entweihen, ihn gleichsam seiner mystischen Kraft zu entkleiden, wenn er
einen Schritt thäte, um ihn zur Geltung zu bringen. Seine ganze Präten¬
dententhätigkeit beschränkte sich darauf, daß er von Zeit zu Zeit die Franzosen
durch Veröffentlichung von gelegentlichen Briefen an vertraute Anhänger an
sein Dasein erinnerte und seine Bereitwilligkeit erklärte, sein Land zu retten,
wenn dieses sich retten lassen wolle, wobei außerdem noch die große Schwie¬
rigkeit obwaltete, wie das Land diesen Willen kundgeben sollte, ohne einen
Souveränetätsact auszuüben und dadurch der Souveränetät des Grafen zu
nahe zu treten.
Dieser ebenso beschränkte wie ehrenfeste Prätendent nun hielt an seinem
Symbol, dem Lilienbanner, ebenso fest, wie die Franzosen an ihrer Tricolore.
Was aber war denn nun der eigentliche Inhalt dieses von ganz Frankreich
Georg Zelle. gefurchteren und verabscheuten Symbols?
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |