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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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an dem parlamentarischen System festhalten, da nur dies ihren persönlichen
Interessen eine gewisse Bürgschaft gewährte gegen die Gefahr, nach Wieder¬
herstellung der Monarchie bei Seite geschoben zu werden. Und da die ge¬
mäßigten Legitimisten ihre fanatischen Parteigenossen hinreichend kannten, um
auch in Bezug auf ihre Personen die Ausschließlichkeit derselben zu fürchten,
so blieb auch ihnen Nichts übrig, als an der parlamentarischen Regierung
streng fest zu halten. Und so bildete denn unter den Royalisten die ent¬
schieden constitutionelle Partei eine so bedeutende Mehrheit, daß auch die im
Herzen dem Absolutismus zugewandten Anhänger des Grafen von Chambord
es nicht wagten, ihre Ansichten auszusprechen, es vielmehr den extremen kleri¬
kalen Blättern, wie dem "Univers" überließen, die Nothwendigkeit einer
Wiederherstellung des reinen d. h. des absoluten Königthums zu predigen.
In Betreff dieses Punktes fühlten sich die "liberalen" Royalisten daher ziem¬
lich sicher, indem sie überzeugt waren, daß der Graf sich der Nothwendigkeit
fügen, und die erforderlichen Zugeständnisse machen werde.

Anders verhielt es sich mit der Fahnensrage. In dieser Frage concen-
trirt sich der ganze innere Gegensatz zwischen Legitimismus und Orleanismus,
ja zwischen dem alten und neuen Frankreich; hier steht in schroffster Weise
Princip gegen Princip, oder richtiger ausgedrückt, Symbol gegen Symbol.
Ueber Principien läßt sich allenfalls ein Compromiß schließen, indem die eine
Partei im Wesentlichen die Sache preisgiebt, wenn nur die Form gewahrt
wird. Die ideale, naive, oft unreife und unklare, aber wenigstens aufrichtige
Begeisterung für die Grundsätze von 1789 war den Franzosen unter dem
demoralisirenden Einfluß unausgesetzter Parteikämpfe, in denen es sich zuletzt
nur um die Befriedigung der gemeinsten Interessen, des Ehrgeizes und Eigen¬
nutzes handelte, völlig abhanden gekommen; um so zäher aber klammerte man
sich an das Symbol der Grundsätze, d. h. an die Tricolore. Die Tricolore
war das Sinnbild des neuen Frankreichs, das Sinnbild der Gleichheit aller
Klassen, der Beseitigung aller Provinciellen Besonderheiten, sie hatte einst Sieg,
reich von den Zinnen fast aller europäischen Hauptstädte geweht, sie war vor
allem dem Heere theuer, und daß man die Empfindlichkeit des Heeres schonen
müsse, wenn man einen Fürsten, der dem Volke fast ganz fremd geworden
war, mit dessen Namen nur eine kleine Gemeinde begeisterter Anhänger einen
der Nation geradezu unverständlichen Cultus trieb, aus dem Exil auf den
Thron erheben wollte, das sahen selbst die Verständigeren unter den Legiti¬
misten ein. Aber sie konnten sich allerdings nicht der Zweifel entschlagen,
ob auch der Prinz es einsehen werde, der hundertmal erklärt hatte, daß seine
Person Nichts, daß sein Princip Alles sei, daß er als Träger und treuer
Bewahrer seines Princips, und nur als solcher den heiligen Beruf habe, die
Aera der Revolutionen zu schließen, Frankreich vor innerem Verderben zu


an dem parlamentarischen System festhalten, da nur dies ihren persönlichen
Interessen eine gewisse Bürgschaft gewährte gegen die Gefahr, nach Wieder¬
herstellung der Monarchie bei Seite geschoben zu werden. Und da die ge¬
mäßigten Legitimisten ihre fanatischen Parteigenossen hinreichend kannten, um
auch in Bezug auf ihre Personen die Ausschließlichkeit derselben zu fürchten,
so blieb auch ihnen Nichts übrig, als an der parlamentarischen Regierung
streng fest zu halten. Und so bildete denn unter den Royalisten die ent¬
schieden constitutionelle Partei eine so bedeutende Mehrheit, daß auch die im
Herzen dem Absolutismus zugewandten Anhänger des Grafen von Chambord
es nicht wagten, ihre Ansichten auszusprechen, es vielmehr den extremen kleri¬
kalen Blättern, wie dem „Univers" überließen, die Nothwendigkeit einer
Wiederherstellung des reinen d. h. des absoluten Königthums zu predigen.
In Betreff dieses Punktes fühlten sich die „liberalen" Royalisten daher ziem¬
lich sicher, indem sie überzeugt waren, daß der Graf sich der Nothwendigkeit
fügen, und die erforderlichen Zugeständnisse machen werde.

Anders verhielt es sich mit der Fahnensrage. In dieser Frage concen-
trirt sich der ganze innere Gegensatz zwischen Legitimismus und Orleanismus,
ja zwischen dem alten und neuen Frankreich; hier steht in schroffster Weise
Princip gegen Princip, oder richtiger ausgedrückt, Symbol gegen Symbol.
Ueber Principien läßt sich allenfalls ein Compromiß schließen, indem die eine
Partei im Wesentlichen die Sache preisgiebt, wenn nur die Form gewahrt
wird. Die ideale, naive, oft unreife und unklare, aber wenigstens aufrichtige
Begeisterung für die Grundsätze von 1789 war den Franzosen unter dem
demoralisirenden Einfluß unausgesetzter Parteikämpfe, in denen es sich zuletzt
nur um die Befriedigung der gemeinsten Interessen, des Ehrgeizes und Eigen¬
nutzes handelte, völlig abhanden gekommen; um so zäher aber klammerte man
sich an das Symbol der Grundsätze, d. h. an die Tricolore. Die Tricolore
war das Sinnbild des neuen Frankreichs, das Sinnbild der Gleichheit aller
Klassen, der Beseitigung aller Provinciellen Besonderheiten, sie hatte einst Sieg,
reich von den Zinnen fast aller europäischen Hauptstädte geweht, sie war vor
allem dem Heere theuer, und daß man die Empfindlichkeit des Heeres schonen
müsse, wenn man einen Fürsten, der dem Volke fast ganz fremd geworden
war, mit dessen Namen nur eine kleine Gemeinde begeisterter Anhänger einen
der Nation geradezu unverständlichen Cultus trieb, aus dem Exil auf den
Thron erheben wollte, das sahen selbst die Verständigeren unter den Legiti¬
misten ein. Aber sie konnten sich allerdings nicht der Zweifel entschlagen,
ob auch der Prinz es einsehen werde, der hundertmal erklärt hatte, daß seine
Person Nichts, daß sein Princip Alles sei, daß er als Träger und treuer
Bewahrer seines Princips, und nur als solcher den heiligen Beruf habe, die
Aera der Revolutionen zu schließen, Frankreich vor innerem Verderben zu


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[0298] an dem parlamentarischen System festhalten, da nur dies ihren persönlichen Interessen eine gewisse Bürgschaft gewährte gegen die Gefahr, nach Wieder¬ herstellung der Monarchie bei Seite geschoben zu werden. Und da die ge¬ mäßigten Legitimisten ihre fanatischen Parteigenossen hinreichend kannten, um auch in Bezug auf ihre Personen die Ausschließlichkeit derselben zu fürchten, so blieb auch ihnen Nichts übrig, als an der parlamentarischen Regierung streng fest zu halten. Und so bildete denn unter den Royalisten die ent¬ schieden constitutionelle Partei eine so bedeutende Mehrheit, daß auch die im Herzen dem Absolutismus zugewandten Anhänger des Grafen von Chambord es nicht wagten, ihre Ansichten auszusprechen, es vielmehr den extremen kleri¬ kalen Blättern, wie dem „Univers" überließen, die Nothwendigkeit einer Wiederherstellung des reinen d. h. des absoluten Königthums zu predigen. In Betreff dieses Punktes fühlten sich die „liberalen" Royalisten daher ziem¬ lich sicher, indem sie überzeugt waren, daß der Graf sich der Nothwendigkeit fügen, und die erforderlichen Zugeständnisse machen werde. Anders verhielt es sich mit der Fahnensrage. In dieser Frage concen- trirt sich der ganze innere Gegensatz zwischen Legitimismus und Orleanismus, ja zwischen dem alten und neuen Frankreich; hier steht in schroffster Weise Princip gegen Princip, oder richtiger ausgedrückt, Symbol gegen Symbol. Ueber Principien läßt sich allenfalls ein Compromiß schließen, indem die eine Partei im Wesentlichen die Sache preisgiebt, wenn nur die Form gewahrt wird. Die ideale, naive, oft unreife und unklare, aber wenigstens aufrichtige Begeisterung für die Grundsätze von 1789 war den Franzosen unter dem demoralisirenden Einfluß unausgesetzter Parteikämpfe, in denen es sich zuletzt nur um die Befriedigung der gemeinsten Interessen, des Ehrgeizes und Eigen¬ nutzes handelte, völlig abhanden gekommen; um so zäher aber klammerte man sich an das Symbol der Grundsätze, d. h. an die Tricolore. Die Tricolore war das Sinnbild des neuen Frankreichs, das Sinnbild der Gleichheit aller Klassen, der Beseitigung aller Provinciellen Besonderheiten, sie hatte einst Sieg, reich von den Zinnen fast aller europäischen Hauptstädte geweht, sie war vor allem dem Heere theuer, und daß man die Empfindlichkeit des Heeres schonen müsse, wenn man einen Fürsten, der dem Volke fast ganz fremd geworden war, mit dessen Namen nur eine kleine Gemeinde begeisterter Anhänger einen der Nation geradezu unverständlichen Cultus trieb, aus dem Exil auf den Thron erheben wollte, das sahen selbst die Verständigeren unter den Legiti¬ misten ein. Aber sie konnten sich allerdings nicht der Zweifel entschlagen, ob auch der Prinz es einsehen werde, der hundertmal erklärt hatte, daß seine Person Nichts, daß sein Princip Alles sei, daß er als Träger und treuer Bewahrer seines Princips, und nur als solcher den heiligen Beruf habe, die Aera der Revolutionen zu schließen, Frankreich vor innerem Verderben zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/298>, abgerufen am 25.08.2024.