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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Feinde sah und grade diese Familie seines unversöhnlichen Hasses würdigte.
Die Orleanisten haben nicht den Sturz des Kaiserthums herbeigeführt, aber
sie bereiteten seiner Consolidirung die größten Schwierigkeiten, indem sie seine
Aussöhnung mit derjenigen Classe hinderten, die durch Besitz und Bil¬
dung den größten und nachhaltigsten Einfluß auf die öffentliche Meinung
ausübte.

Als das Kaiserthum in einem Augenblicke der äußersten Kraftlosigkeit,
jedes Widerstandes unfähig, zusammen gebrochen war und als sodann die
radikale Republik, die sich an seine Stelle gesetzt, abgewirthschaftet hatte, war
aus den Wahlen von 1871 unter dem Einfluß von Umständen, die schon in
den früheren Aufsätzen erörtert sind, eine überwiegend monarchisch ge¬
sinnte Versammlung hervorgegangen. Zum geringeren Theil bestand diese
monarchische Mehrheit aus unbedingten und grundsätzlichen Anhängern des
legitimen Königthums; die überwiegende Mehrzahl von orleanistisch gesinnten,
nicht etwa aus besonderer Ergebenheit für den jüngeren Zweig des könig¬
lichen Hauses, sondern aus Borliebe für die gesellschaftlichen Principien von
1789 und für das parlamentarische System, das mit dem Orleanismus un¬
zertrennlich verknüpft schien. Sie würden, wenn sie in der Versammlung die
Mehrheit gebildet hätten, ohne Zweifel sofort zur Wiederherstellung der or°
leanistischen Monarchie geschritten sein, und einem solchen Schritte würde sich
auch wahrscheinlich die Mehrzahl der conservativen Republikaner angeschlossen
haben, die ja ihren Grundsätzen nach nichts andres als Anhänger der con°
stitutionellen Monarchie waren, und sich später zur Republik nur deshalb be¬
kannten, weil sie nicht an die Möglichkeit der Herstellung einer parlamenta¬
risch liberalen Monarchie glaubten und das parlamentarische Regime auch in
der sogenannten conservativen Republik hinreichend zu wahren hofften. Da
aber die Orleanisten wohl innerhalb der monarchischen Partei, nicht aber in
der Versammlung die Mehrheit besaßen, so mußten sie vorläufig auf ihre
Wiederherstellungspläne verzichten: vorläufig, denn ein endgültiger Verzicht
auf ihr Verfassungsidcal war von ihnen so wenig, wie von irgend einer
andern Fraction zu erwarten. Nach der Aussöhnung der beiden Zweige des
Hauses Frankreich mußte ihnen natürlich die Lage der Dinge unter einem
neuen Gesichtspunkte erscheinen. Wenn die Partei, dem Beispiel der Familien
folgend zu einer vollständigen Aussöhnung und zu einer Verständigung über
die Verfassungsfrage gelangte, so ließ sich -- das war bei der Schwäche der
Republikaner einleuchtend -- die Herstellung der Monarchie durchsetzen. An
der Rückkehr zu dem Princip des reinen Erbrechts nahmen sie keinen Anstoß:
im Gegentheil sie sahen darin nur eine Bürgschaft für die Festigkeit der neu
zu begründenden Monarchie. Die Person des Grafen von Chambord war
ihnen nicht grade sympathisch; aber der Mangel an Sympathie für den recht-


Feinde sah und grade diese Familie seines unversöhnlichen Hasses würdigte.
Die Orleanisten haben nicht den Sturz des Kaiserthums herbeigeführt, aber
sie bereiteten seiner Consolidirung die größten Schwierigkeiten, indem sie seine
Aussöhnung mit derjenigen Classe hinderten, die durch Besitz und Bil¬
dung den größten und nachhaltigsten Einfluß auf die öffentliche Meinung
ausübte.

Als das Kaiserthum in einem Augenblicke der äußersten Kraftlosigkeit,
jedes Widerstandes unfähig, zusammen gebrochen war und als sodann die
radikale Republik, die sich an seine Stelle gesetzt, abgewirthschaftet hatte, war
aus den Wahlen von 1871 unter dem Einfluß von Umständen, die schon in
den früheren Aufsätzen erörtert sind, eine überwiegend monarchisch ge¬
sinnte Versammlung hervorgegangen. Zum geringeren Theil bestand diese
monarchische Mehrheit aus unbedingten und grundsätzlichen Anhängern des
legitimen Königthums; die überwiegende Mehrzahl von orleanistisch gesinnten,
nicht etwa aus besonderer Ergebenheit für den jüngeren Zweig des könig¬
lichen Hauses, sondern aus Borliebe für die gesellschaftlichen Principien von
1789 und für das parlamentarische System, das mit dem Orleanismus un¬
zertrennlich verknüpft schien. Sie würden, wenn sie in der Versammlung die
Mehrheit gebildet hätten, ohne Zweifel sofort zur Wiederherstellung der or°
leanistischen Monarchie geschritten sein, und einem solchen Schritte würde sich
auch wahrscheinlich die Mehrzahl der conservativen Republikaner angeschlossen
haben, die ja ihren Grundsätzen nach nichts andres als Anhänger der con°
stitutionellen Monarchie waren, und sich später zur Republik nur deshalb be¬
kannten, weil sie nicht an die Möglichkeit der Herstellung einer parlamenta¬
risch liberalen Monarchie glaubten und das parlamentarische Regime auch in
der sogenannten conservativen Republik hinreichend zu wahren hofften. Da
aber die Orleanisten wohl innerhalb der monarchischen Partei, nicht aber in
der Versammlung die Mehrheit besaßen, so mußten sie vorläufig auf ihre
Wiederherstellungspläne verzichten: vorläufig, denn ein endgültiger Verzicht
auf ihr Verfassungsidcal war von ihnen so wenig, wie von irgend einer
andern Fraction zu erwarten. Nach der Aussöhnung der beiden Zweige des
Hauses Frankreich mußte ihnen natürlich die Lage der Dinge unter einem
neuen Gesichtspunkte erscheinen. Wenn die Partei, dem Beispiel der Familien
folgend zu einer vollständigen Aussöhnung und zu einer Verständigung über
die Verfassungsfrage gelangte, so ließ sich — das war bei der Schwäche der
Republikaner einleuchtend — die Herstellung der Monarchie durchsetzen. An
der Rückkehr zu dem Princip des reinen Erbrechts nahmen sie keinen Anstoß:
im Gegentheil sie sahen darin nur eine Bürgschaft für die Festigkeit der neu
zu begründenden Monarchie. Die Person des Grafen von Chambord war
ihnen nicht grade sympathisch; aber der Mangel an Sympathie für den recht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/296>, abgerufen am 25.08.2024.