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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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dabei dieselben Ketten zu tragen hat, die den übrigen Klassen angelegt
werden. So ist also die orleanistische Partei vermöge ihrer Tradition die Ver¬
treterin und Trägerin eines ganz bestimmten politischen und gesellschaftlichen
Systems. Sie vertritt das constitutionelle monarchische Princip, hatte aber
durch einen allerdings von den Verhältnissen aufgezwungenen Wechsel der
Dynastie die Grundlagen dieses Princips selbst untergraben. Denn eine Erb¬
monarchie, die aus einer Verletzung des Erbrechts hervorgegangen ist, steht
mit ihrem innersten Wesen in Widerspruch. Dabei aber wagte die Partei
doch nicht, den Mangel der erblichen Berechtigung mit Entschiedenheit durch
das Princip der Volkssouveränetät zu ersetzen, sondern schwankte zwischen
zwei mit einander unverträglichen Systemen hin und her, wodurch sie der
französischen Systemsucht gegenüber von Anfang an in eine ungünstige
Lage gebracht war. Je unklarer und schwächer aber somit der halb auf dem
Erbrecht, halb auf der Volkssouveränetät beruhende Rechtstitel der orleani-
stischen Monarchie war, um so fester suchte dieselbe auf dem Boden des Par¬
lamentarismus Fuß zu fassen. Sie bildete dies System mit voller Consequenz
aus, aber sie discreditirte es, indem sie es im Klasseninteresse entwickelte;
zugleich aber untergrub sie dasselbe, indem sie sich, obschon von zwei Seiten
bedrängt, in Fraktionen auflöste, die kein Bedenken trugen, im Kampfe
gegeneinander sich mit dem erklärten Feinde des Systems zu verbünden.

Gegen das Kaiserthum traten die Orleanisten in eine zähe und erbitterte,
wenn auch nicht grade thatkräftige Opposition. Zwischen dem Orleanismus
und Bonapartismus bestanden Gegensätze, wie sie schärfer kaum gedacht wer¬
den konnten. Es ist merkwürdig, wie hier der aus gegenseitiger persönlicher
Antipathie entsprungene Haß der Familien mit dem unversöhnlichsten princi¬
piellen Haß Hand in Hand geht. Auf der einen Seite der bürgerliche Par¬
lamentarismus, auf der andern Seite die demokratische Dictatur;
auf der einen Seite die entschiedenste Neigung für eine zwar
grundsätzlich an den alten französischen Machttraditionen festhaltende
aber friedliche, Nichts aufs Spiel Setzende , fast furchtsame Politik, auf der
andern Seite die Lust zu schlau berechneten, aber abenteuerlichen Unterneh¬
mungen , ein trotziges Hinwegsetzen über Tradition und Verträge, ein fata¬
listisches Vertrauen, sowohl auf den kaiserlichen Stern wie auf die unwider¬
stehliche Kraft des Landes, welches in den späteren Ereignissen keineswegs
seine Rechtfertigung fand. Diesen Verhältnissen entsprechend machte denn
auch der Orleanismus, wohl gemerkt als politisches nicht als dynastisches
Princip, unter allen Parteien, dem Kaiserthum die schärfste und vor Allem
die gefährlichste Opposition. Man darf sich in dieser Auffassung nicht dadurch
irre machen lassen, daß die geräuschvollsten Angriffe gegen das Kaiserthum
von den demokratischen Republikanern ausgingen und daß -- darüber konnte,


dabei dieselben Ketten zu tragen hat, die den übrigen Klassen angelegt
werden. So ist also die orleanistische Partei vermöge ihrer Tradition die Ver¬
treterin und Trägerin eines ganz bestimmten politischen und gesellschaftlichen
Systems. Sie vertritt das constitutionelle monarchische Princip, hatte aber
durch einen allerdings von den Verhältnissen aufgezwungenen Wechsel der
Dynastie die Grundlagen dieses Princips selbst untergraben. Denn eine Erb¬
monarchie, die aus einer Verletzung des Erbrechts hervorgegangen ist, steht
mit ihrem innersten Wesen in Widerspruch. Dabei aber wagte die Partei
doch nicht, den Mangel der erblichen Berechtigung mit Entschiedenheit durch
das Princip der Volkssouveränetät zu ersetzen, sondern schwankte zwischen
zwei mit einander unverträglichen Systemen hin und her, wodurch sie der
französischen Systemsucht gegenüber von Anfang an in eine ungünstige
Lage gebracht war. Je unklarer und schwächer aber somit der halb auf dem
Erbrecht, halb auf der Volkssouveränetät beruhende Rechtstitel der orleani-
stischen Monarchie war, um so fester suchte dieselbe auf dem Boden des Par¬
lamentarismus Fuß zu fassen. Sie bildete dies System mit voller Consequenz
aus, aber sie discreditirte es, indem sie es im Klasseninteresse entwickelte;
zugleich aber untergrub sie dasselbe, indem sie sich, obschon von zwei Seiten
bedrängt, in Fraktionen auflöste, die kein Bedenken trugen, im Kampfe
gegeneinander sich mit dem erklärten Feinde des Systems zu verbünden.

Gegen das Kaiserthum traten die Orleanisten in eine zähe und erbitterte,
wenn auch nicht grade thatkräftige Opposition. Zwischen dem Orleanismus
und Bonapartismus bestanden Gegensätze, wie sie schärfer kaum gedacht wer¬
den konnten. Es ist merkwürdig, wie hier der aus gegenseitiger persönlicher
Antipathie entsprungene Haß der Familien mit dem unversöhnlichsten princi¬
piellen Haß Hand in Hand geht. Auf der einen Seite der bürgerliche Par¬
lamentarismus, auf der andern Seite die demokratische Dictatur;
auf der einen Seite die entschiedenste Neigung für eine zwar
grundsätzlich an den alten französischen Machttraditionen festhaltende
aber friedliche, Nichts aufs Spiel Setzende , fast furchtsame Politik, auf der
andern Seite die Lust zu schlau berechneten, aber abenteuerlichen Unterneh¬
mungen , ein trotziges Hinwegsetzen über Tradition und Verträge, ein fata¬
listisches Vertrauen, sowohl auf den kaiserlichen Stern wie auf die unwider¬
stehliche Kraft des Landes, welches in den späteren Ereignissen keineswegs
seine Rechtfertigung fand. Diesen Verhältnissen entsprechend machte denn
auch der Orleanismus, wohl gemerkt als politisches nicht als dynastisches
Princip, unter allen Parteien, dem Kaiserthum die schärfste und vor Allem
die gefährlichste Opposition. Man darf sich in dieser Auffassung nicht dadurch
irre machen lassen, daß die geräuschvollsten Angriffe gegen das Kaiserthum
von den demokratischen Republikanern ausgingen und daß — darüber konnte,


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[0292] dabei dieselben Ketten zu tragen hat, die den übrigen Klassen angelegt werden. So ist also die orleanistische Partei vermöge ihrer Tradition die Ver¬ treterin und Trägerin eines ganz bestimmten politischen und gesellschaftlichen Systems. Sie vertritt das constitutionelle monarchische Princip, hatte aber durch einen allerdings von den Verhältnissen aufgezwungenen Wechsel der Dynastie die Grundlagen dieses Princips selbst untergraben. Denn eine Erb¬ monarchie, die aus einer Verletzung des Erbrechts hervorgegangen ist, steht mit ihrem innersten Wesen in Widerspruch. Dabei aber wagte die Partei doch nicht, den Mangel der erblichen Berechtigung mit Entschiedenheit durch das Princip der Volkssouveränetät zu ersetzen, sondern schwankte zwischen zwei mit einander unverträglichen Systemen hin und her, wodurch sie der französischen Systemsucht gegenüber von Anfang an in eine ungünstige Lage gebracht war. Je unklarer und schwächer aber somit der halb auf dem Erbrecht, halb auf der Volkssouveränetät beruhende Rechtstitel der orleani- stischen Monarchie war, um so fester suchte dieselbe auf dem Boden des Par¬ lamentarismus Fuß zu fassen. Sie bildete dies System mit voller Consequenz aus, aber sie discreditirte es, indem sie es im Klasseninteresse entwickelte; zugleich aber untergrub sie dasselbe, indem sie sich, obschon von zwei Seiten bedrängt, in Fraktionen auflöste, die kein Bedenken trugen, im Kampfe gegeneinander sich mit dem erklärten Feinde des Systems zu verbünden. Gegen das Kaiserthum traten die Orleanisten in eine zähe und erbitterte, wenn auch nicht grade thatkräftige Opposition. Zwischen dem Orleanismus und Bonapartismus bestanden Gegensätze, wie sie schärfer kaum gedacht wer¬ den konnten. Es ist merkwürdig, wie hier der aus gegenseitiger persönlicher Antipathie entsprungene Haß der Familien mit dem unversöhnlichsten princi¬ piellen Haß Hand in Hand geht. Auf der einen Seite der bürgerliche Par¬ lamentarismus, auf der andern Seite die demokratische Dictatur; auf der einen Seite die entschiedenste Neigung für eine zwar grundsätzlich an den alten französischen Machttraditionen festhaltende aber friedliche, Nichts aufs Spiel Setzende , fast furchtsame Politik, auf der andern Seite die Lust zu schlau berechneten, aber abenteuerlichen Unterneh¬ mungen , ein trotziges Hinwegsetzen über Tradition und Verträge, ein fata¬ listisches Vertrauen, sowohl auf den kaiserlichen Stern wie auf die unwider¬ stehliche Kraft des Landes, welches in den späteren Ereignissen keineswegs seine Rechtfertigung fand. Diesen Verhältnissen entsprechend machte denn auch der Orleanismus, wohl gemerkt als politisches nicht als dynastisches Princip, unter allen Parteien, dem Kaiserthum die schärfste und vor Allem die gefährlichste Opposition. Man darf sich in dieser Auffassung nicht dadurch irre machen lassen, daß die geräuschvollsten Angriffe gegen das Kaiserthum von den demokratischen Republikanern ausgingen und daß — darüber konnte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/292>, abgerufen am 25.08.2024.