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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Glaubenseifers gegen den katholischen Fanatismus, nicht doch von Oben ungern
gesehen würde, und dem individuellen Vorwärtskommen hinderlich sein könnte?
Das ist vielleicht die Ursache, daß -- der XIII. Wahlkreis lieferte wahrhaft
abschreckende Beispiele -- selbst in den Richtercollegicn der Ultramontane
sich ungescheut alles erlaubte, während die protestantischen Collegen und Vor¬
gesetzten Gewehr bei Fuß sich damit begnügten, ihre Gefühle im engsten
Kreise auszutauschen. --

Dazu die ganz eigenthümliche Lage der protestantischen Kirche selbst, an
deren Spitze als Präsident des Consistoriums der von uns schon mehrfach
charakterisirte Staatsminister v> Golther, das würdige Pendant seines Freundes
und Gesinnungsgenossen Schäffle, steht. Dieser Mann hat sehr zur Unzeit
einen Erlaß von sich gegeben, welcher -- wir sagen nicht absichtlich -- die¬
selbe Wirkung übte wie ein Wahlmanöver, welches, mit Raffinement ersonnen,
der nationalen Sache bei der Wahl außerordentlich zu schaden geeignet war,
und welcher so recht die Situation kennzeichnet. In allen Programmen,
Flugblättern und Wahlreden der socialdemokratischen und ultramontanen
Partei bildete bekanntlich neben dem "Militarismus" das wichtigste Agita¬
tionsmittel eine Reihe der frechsten Lügen über den Jnvalidenfonds. Letzterer,
hieß es, sei nur ein Dispositionsfonds für Bismarck, das Reich habe für
die Invaliden nichts gethan, dieselben vielmehr ganz auf den öffentlichen
Bettel angewiesen. Und als gälte es für diese, lange vor der Wahl in den
bekannten Frankfurter und Mainzer Kreisen aufgedeckten Lügen neben der
famosen Historie von dem Trompeter von Mars la Tour im rechten Augen¬
blicke auch für Württemberg Beweise herzustellen, hatte nicht nur der Bischof
von Rottenburg, sondern gleichzeitig auch Herr von Golther in allen katho¬
lischen und protestantischen, Kirchen des Landes wenige Tage vor der Wahl
zu Gunsten "der armen Invaliden der Jahre 1870 und 1871" den Klingel¬
beutel herumgehen lassen. Manche -- nicht wir -- konnten sich des Gedan¬
kens nicht erwehren, daß Herr von Golther und der Verfasser der Frankfurter
Flugblätter als alte Freunde von anno 1866 hier wieder einmal zusammen
arbeiteten! Was half es. aus die glänzenden, das Bedürfniß nicht überstei¬
genden, in Württemberg geradezu unerhörten Invalidengehalte hinzuweisen,
welche das Reich auszahlt, wenn das Demagogenthum einfach auf die un¬
mittelbar vor der Wahl concessionirte Klingelbeutelbettelei zu verweisen
brauchte, gleichsam als Beleg dafür, daß das Reichsgesetz über den Jnvaliden¬
fonds gar nicht ins Leben getreten sei? Die katholische Geistlichkeit ließ sich
denn auch diese von Oben gegebene Gelegenheit, das Reich von der Kanzel
herab zu verunglimpfen, nicht entgehen, während die protestantische, angesichts
der glänzenden Lage unserer Invaliden sich nur mit innerer Indignation den
Weisungen des Herrn von Golther fügte. -- --


Glaubenseifers gegen den katholischen Fanatismus, nicht doch von Oben ungern
gesehen würde, und dem individuellen Vorwärtskommen hinderlich sein könnte?
Das ist vielleicht die Ursache, daß — der XIII. Wahlkreis lieferte wahrhaft
abschreckende Beispiele — selbst in den Richtercollegicn der Ultramontane
sich ungescheut alles erlaubte, während die protestantischen Collegen und Vor¬
gesetzten Gewehr bei Fuß sich damit begnügten, ihre Gefühle im engsten
Kreise auszutauschen. —

Dazu die ganz eigenthümliche Lage der protestantischen Kirche selbst, an
deren Spitze als Präsident des Consistoriums der von uns schon mehrfach
charakterisirte Staatsminister v> Golther, das würdige Pendant seines Freundes
und Gesinnungsgenossen Schäffle, steht. Dieser Mann hat sehr zur Unzeit
einen Erlaß von sich gegeben, welcher — wir sagen nicht absichtlich — die¬
selbe Wirkung übte wie ein Wahlmanöver, welches, mit Raffinement ersonnen,
der nationalen Sache bei der Wahl außerordentlich zu schaden geeignet war,
und welcher so recht die Situation kennzeichnet. In allen Programmen,
Flugblättern und Wahlreden der socialdemokratischen und ultramontanen
Partei bildete bekanntlich neben dem „Militarismus" das wichtigste Agita¬
tionsmittel eine Reihe der frechsten Lügen über den Jnvalidenfonds. Letzterer,
hieß es, sei nur ein Dispositionsfonds für Bismarck, das Reich habe für
die Invaliden nichts gethan, dieselben vielmehr ganz auf den öffentlichen
Bettel angewiesen. Und als gälte es für diese, lange vor der Wahl in den
bekannten Frankfurter und Mainzer Kreisen aufgedeckten Lügen neben der
famosen Historie von dem Trompeter von Mars la Tour im rechten Augen¬
blicke auch für Württemberg Beweise herzustellen, hatte nicht nur der Bischof
von Rottenburg, sondern gleichzeitig auch Herr von Golther in allen katho¬
lischen und protestantischen, Kirchen des Landes wenige Tage vor der Wahl
zu Gunsten „der armen Invaliden der Jahre 1870 und 1871" den Klingel¬
beutel herumgehen lassen. Manche — nicht wir — konnten sich des Gedan¬
kens nicht erwehren, daß Herr von Golther und der Verfasser der Frankfurter
Flugblätter als alte Freunde von anno 1866 hier wieder einmal zusammen
arbeiteten! Was half es. aus die glänzenden, das Bedürfniß nicht überstei¬
genden, in Württemberg geradezu unerhörten Invalidengehalte hinzuweisen,
welche das Reich auszahlt, wenn das Demagogenthum einfach auf die un¬
mittelbar vor der Wahl concessionirte Klingelbeutelbettelei zu verweisen
brauchte, gleichsam als Beleg dafür, daß das Reichsgesetz über den Jnvaliden¬
fonds gar nicht ins Leben getreten sei? Die katholische Geistlichkeit ließ sich
denn auch diese von Oben gegebene Gelegenheit, das Reich von der Kanzel
herab zu verunglimpfen, nicht entgehen, während die protestantische, angesichts
der glänzenden Lage unserer Invaliden sich nur mit innerer Indignation den
Weisungen des Herrn von Golther fügte. — —


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[0273] Glaubenseifers gegen den katholischen Fanatismus, nicht doch von Oben ungern gesehen würde, und dem individuellen Vorwärtskommen hinderlich sein könnte? Das ist vielleicht die Ursache, daß — der XIII. Wahlkreis lieferte wahrhaft abschreckende Beispiele — selbst in den Richtercollegicn der Ultramontane sich ungescheut alles erlaubte, während die protestantischen Collegen und Vor¬ gesetzten Gewehr bei Fuß sich damit begnügten, ihre Gefühle im engsten Kreise auszutauschen. — Dazu die ganz eigenthümliche Lage der protestantischen Kirche selbst, an deren Spitze als Präsident des Consistoriums der von uns schon mehrfach charakterisirte Staatsminister v> Golther, das würdige Pendant seines Freundes und Gesinnungsgenossen Schäffle, steht. Dieser Mann hat sehr zur Unzeit einen Erlaß von sich gegeben, welcher — wir sagen nicht absichtlich — die¬ selbe Wirkung übte wie ein Wahlmanöver, welches, mit Raffinement ersonnen, der nationalen Sache bei der Wahl außerordentlich zu schaden geeignet war, und welcher so recht die Situation kennzeichnet. In allen Programmen, Flugblättern und Wahlreden der socialdemokratischen und ultramontanen Partei bildete bekanntlich neben dem „Militarismus" das wichtigste Agita¬ tionsmittel eine Reihe der frechsten Lügen über den Jnvalidenfonds. Letzterer, hieß es, sei nur ein Dispositionsfonds für Bismarck, das Reich habe für die Invaliden nichts gethan, dieselben vielmehr ganz auf den öffentlichen Bettel angewiesen. Und als gälte es für diese, lange vor der Wahl in den bekannten Frankfurter und Mainzer Kreisen aufgedeckten Lügen neben der famosen Historie von dem Trompeter von Mars la Tour im rechten Augen¬ blicke auch für Württemberg Beweise herzustellen, hatte nicht nur der Bischof von Rottenburg, sondern gleichzeitig auch Herr von Golther in allen katho¬ lischen und protestantischen, Kirchen des Landes wenige Tage vor der Wahl zu Gunsten „der armen Invaliden der Jahre 1870 und 1871" den Klingel¬ beutel herumgehen lassen. Manche — nicht wir — konnten sich des Gedan¬ kens nicht erwehren, daß Herr von Golther und der Verfasser der Frankfurter Flugblätter als alte Freunde von anno 1866 hier wieder einmal zusammen arbeiteten! Was half es. aus die glänzenden, das Bedürfniß nicht überstei¬ genden, in Württemberg geradezu unerhörten Invalidengehalte hinzuweisen, welche das Reich auszahlt, wenn das Demagogenthum einfach auf die un¬ mittelbar vor der Wahl concessionirte Klingelbeutelbettelei zu verweisen brauchte, gleichsam als Beleg dafür, daß das Reichsgesetz über den Jnvaliden¬ fonds gar nicht ins Leben getreten sei? Die katholische Geistlichkeit ließ sich denn auch diese von Oben gegebene Gelegenheit, das Reich von der Kanzel herab zu verunglimpfen, nicht entgehen, während die protestantische, angesichts der glänzenden Lage unserer Invaliden sich nur mit innerer Indignation den Weisungen des Herrn von Golther fügte. — —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/273>, abgerufen am 25.12.2024.