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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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größtes Interesse, und sein energisches Wollen verdient unsre ernsteste dank¬
bare Beachtung. Aber damit ist noch nicht ausgesprochen, daß das Ziel, auf
welches er träumend und wachend lossteuert, den Palast des Priamos über¬
haupt und zwar hier in Hissarlik wieder zu finden, richtig gesteckt ist, daß er
jenen Proceß, den ein so merkwürdiges ideales und reales Erbtheil wie die
Sage vom trojanischen Krieg geschichtlich durchgemacht hat, in den Köpfen
der Menschen, in ihren Augen möchte man sagen, endlich in ihren monumen¬
talen Ueberresten zu verfolgen verstanden hat, daß er die Reihe der interessanten
Funde, die wir ihm verdanken und deren treuer Veröffentlichung wir bald entgegen
sehen dürfen, richtig zu beurtheilen und zu benutzen vermag. An historischem und
kunstgeschichtlichen Werth verlieren dadurch Schliemann's Ausgrabungen nichts."

Was einen bei der Lectüre von Stark's Reisestudien unangenehm berührt,
das ist der auffällige Mangel an künstlerischer Darstellung. Wir sind so kleinlich,
bei einem Buche, welches für weitere Kreise bestimmt ist, allerdings hierauf
einiges Gewicht zu legen, und da uns dieser Mangel seit Jahren bei keinem
Buche so peinlich entgegengetreten ist, wie bei diesem, so ist es wohl der
Mühe werth, einen Augenblick dabei zu verweilen. Die einzelnen Theile von
Stark's Buch sind sehr verschiedenartig entstanden. Drei Capitel, das fünfte,
achte und neunte, bildeten ursprünglich Vorträge und sind auch zum Theil schon
früher in der bekannten "Sammlung gemeinverständlicher Vorträge" von Virchow
und Holtzendorff veröffentlicht worden; das siebente Capitel hat bereits als
besonderer Aufsatz in Lützow's "Zeitschrift für bildende Kunst" gestanden;
das übrige hat das Feuilleton der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" in einer
Reihe von Artikeln gebracht. Diese verschiedenen Stücke zu einem wirklichen
Ganzen zu vereinigen ist dem Verfasser nicht gelungen; das Buch sieht aus
wie ein Gypsabguß, bei dem alle Gußnähte stehen geblieben sind. Aber auch
nur die Spuren der verschiedenen Entstehungsweise zu verwischen hat der
Verfasser verabsäumt. Dies zeigt sich sogar in Aeußerlichkeiten und geht so
weit, daß, während in dem siebenten, achten und neunten Capitel diejenigen
Worte, welche besonders hervortreten sollen, stets gesperrt gedruckt sind, in
dem ganzen übrigen Buche sich nicht ein einziges gesperrt gedrucktes Wort
findet. Aber viel ausfälliger noch sind die stilistischen Unterschiede. Nicht
etwa, daß jene "Vorträge" besonders schön stilisirt wären; aber man gewahrt
in ihnen doch wenigstens einige Feile. Dagegen ist das übrige, und nament¬
lich die ersten vier Capitel, in einem Deutsch geschrieben, welches uns lebhaft
wieder an den vor drei Jahren erschienenen ersten Band von Lemcke's "Ge¬
schichte der deutschen Dichtung" erinnerte -- nach unseren Erfahrungen eines
der schauderhaftest geschriebenen Bücher, die es giebt. Eine gesuchte und
verzwackte Wortstellung, ein empfindlicher Mangel an Rhythmus und Sym¬
metrie, schwerfällige und schwülstige Satzconglomerate -- von wirklichen


größtes Interesse, und sein energisches Wollen verdient unsre ernsteste dank¬
bare Beachtung. Aber damit ist noch nicht ausgesprochen, daß das Ziel, auf
welches er träumend und wachend lossteuert, den Palast des Priamos über¬
haupt und zwar hier in Hissarlik wieder zu finden, richtig gesteckt ist, daß er
jenen Proceß, den ein so merkwürdiges ideales und reales Erbtheil wie die
Sage vom trojanischen Krieg geschichtlich durchgemacht hat, in den Köpfen
der Menschen, in ihren Augen möchte man sagen, endlich in ihren monumen¬
talen Ueberresten zu verfolgen verstanden hat, daß er die Reihe der interessanten
Funde, die wir ihm verdanken und deren treuer Veröffentlichung wir bald entgegen
sehen dürfen, richtig zu beurtheilen und zu benutzen vermag. An historischem und
kunstgeschichtlichen Werth verlieren dadurch Schliemann's Ausgrabungen nichts."

Was einen bei der Lectüre von Stark's Reisestudien unangenehm berührt,
das ist der auffällige Mangel an künstlerischer Darstellung. Wir sind so kleinlich,
bei einem Buche, welches für weitere Kreise bestimmt ist, allerdings hierauf
einiges Gewicht zu legen, und da uns dieser Mangel seit Jahren bei keinem
Buche so peinlich entgegengetreten ist, wie bei diesem, so ist es wohl der
Mühe werth, einen Augenblick dabei zu verweilen. Die einzelnen Theile von
Stark's Buch sind sehr verschiedenartig entstanden. Drei Capitel, das fünfte,
achte und neunte, bildeten ursprünglich Vorträge und sind auch zum Theil schon
früher in der bekannten „Sammlung gemeinverständlicher Vorträge" von Virchow
und Holtzendorff veröffentlicht worden; das siebente Capitel hat bereits als
besonderer Aufsatz in Lützow's „Zeitschrift für bildende Kunst" gestanden;
das übrige hat das Feuilleton der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" in einer
Reihe von Artikeln gebracht. Diese verschiedenen Stücke zu einem wirklichen
Ganzen zu vereinigen ist dem Verfasser nicht gelungen; das Buch sieht aus
wie ein Gypsabguß, bei dem alle Gußnähte stehen geblieben sind. Aber auch
nur die Spuren der verschiedenen Entstehungsweise zu verwischen hat der
Verfasser verabsäumt. Dies zeigt sich sogar in Aeußerlichkeiten und geht so
weit, daß, während in dem siebenten, achten und neunten Capitel diejenigen
Worte, welche besonders hervortreten sollen, stets gesperrt gedruckt sind, in
dem ganzen übrigen Buche sich nicht ein einziges gesperrt gedrucktes Wort
findet. Aber viel ausfälliger noch sind die stilistischen Unterschiede. Nicht
etwa, daß jene „Vorträge" besonders schön stilisirt wären; aber man gewahrt
in ihnen doch wenigstens einige Feile. Dagegen ist das übrige, und nament¬
lich die ersten vier Capitel, in einem Deutsch geschrieben, welches uns lebhaft
wieder an den vor drei Jahren erschienenen ersten Band von Lemcke's „Ge¬
schichte der deutschen Dichtung" erinnerte — nach unseren Erfahrungen eines
der schauderhaftest geschriebenen Bücher, die es giebt. Eine gesuchte und
verzwackte Wortstellung, ein empfindlicher Mangel an Rhythmus und Sym¬
metrie, schwerfällige und schwülstige Satzconglomerate — von wirklichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/261>, abgerufen am 02.10.2024.