Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nommer, um von dort aus größere und kleinere Ausflüge zu unternehmen:
nach den Ruinen von Ephesus mit seinem Artemistempel, nach dem Tanta-
losgrabe, nach dem Felsen der Niobe, endlich nach Sardes. Ende Septem¬
ber brach Prof. Stark wieder von Smyrna auf, um durch den Archipel nach
Athen zu fahren, wurde jedoch unterwegs auf Syra mehrere Tage durch
Quarantäne aufgehalten. Der ganze October war Athen und seiner näheren
und ferneren Umgebung gewidmet. Ende October erfolgte die Rückfahrt durch
den Golf von Korinth und die griechische Inselgruppe nach Brindisi. Auf
italischen Boden wurde schließlich Ravenna und Bologna noch ein kurzer
Besuch abgestattet.

Schon in der Retseroute, die Stark eingehalten, spricht es sich aufs
deutlichste aus, daß die archäologischen und kunsthistorischen Interessen bei ihm
im Vordergrunde gestanden haben. Zwar bringt er auch der landschaftlichen
Schönheit ein offenes Auge und einen erregbaren Sinn entgegen, zwar
verweilt er gern auch bei den Menschen von heute, die den Boden der ver¬
sunkenen antiken Cultur beleben, er lauscht ihren religiösen Anschauungen,
verfolgt mit Antheil alle Aeußerungen ihrer sittlichen und intellectuellen Bil>
dung, beobachtet die Wege und Erzeugnisse ihres Handels und Verkehrs und
sucht uns selbst für diejenigen zu interessiren, die vorübergehend seine Reise¬
gesellschaft bildeten; aber mehr als alles das beschäftigen ihn Museen und
Sammlungen, die architektonischen und plastischen Ueberreste des classischen
Alterthums, die topographische Beschaffenheit und die geschichtliche Vergangen¬
heit des Landes. So sind seine "Reisestudien" in Wahrheit ein Stück Kunst-
und Culturgeschichte auf dem Boden der Ortskunde. Für den Archäologen
und Kunsthistoriker enthält das Buch nicht nur eine beträchtliche Menge bis¬
her unbekannten Details, sondern vor allem auch eine Fülle von Anregungen,
die, mit den rechten Mitteln verfolgt, in Zukunft höchst fruchtbar werden
können. Mehr als einmal hat Stark auf abgelegene und wenig bekannte
Kunstschätze hingewiesen, mehr als einmal der deutschen Wissenschaft und --
der deutschen Reichsregierung lohnende Aufgaben vor Augen gestellt. Wenn
wir ehrlich sein wollen, so müssen wir freilich sagen, daß Stark's Buch nicht
für weitere Kreise, sondern daß es recht eigentlich für Archäologen und
allenfalls solche classisch Gebildete, die die neuen Entdeckungen und Fort¬
schritte der Alterthumswissenschaft mit besonderer Theilnahme verfolgen, ge¬
schrieben ist. Allerdings möchte der Verfasser gern hie und da nach Touristen¬
art den leichten und behaglichen Plauderton des Reisetagebuchs anschlagen;
er scheint eine ähnliche, zugleich "aus der Wandermappe und der Bibliothek"
geschöpfte Darstellung haben geben zu wollen, wie Georg Ebers dies vor
kurzem in seinem Buche "Durch Gösen zum Sinai" mit so viel künstlerischem
Tact gethan. Aber bei Stark hat sich eben gar zu viel Stoff aus der Biblio-


nommer, um von dort aus größere und kleinere Ausflüge zu unternehmen:
nach den Ruinen von Ephesus mit seinem Artemistempel, nach dem Tanta-
losgrabe, nach dem Felsen der Niobe, endlich nach Sardes. Ende Septem¬
ber brach Prof. Stark wieder von Smyrna auf, um durch den Archipel nach
Athen zu fahren, wurde jedoch unterwegs auf Syra mehrere Tage durch
Quarantäne aufgehalten. Der ganze October war Athen und seiner näheren
und ferneren Umgebung gewidmet. Ende October erfolgte die Rückfahrt durch
den Golf von Korinth und die griechische Inselgruppe nach Brindisi. Auf
italischen Boden wurde schließlich Ravenna und Bologna noch ein kurzer
Besuch abgestattet.

Schon in der Retseroute, die Stark eingehalten, spricht es sich aufs
deutlichste aus, daß die archäologischen und kunsthistorischen Interessen bei ihm
im Vordergrunde gestanden haben. Zwar bringt er auch der landschaftlichen
Schönheit ein offenes Auge und einen erregbaren Sinn entgegen, zwar
verweilt er gern auch bei den Menschen von heute, die den Boden der ver¬
sunkenen antiken Cultur beleben, er lauscht ihren religiösen Anschauungen,
verfolgt mit Antheil alle Aeußerungen ihrer sittlichen und intellectuellen Bil>
dung, beobachtet die Wege und Erzeugnisse ihres Handels und Verkehrs und
sucht uns selbst für diejenigen zu interessiren, die vorübergehend seine Reise¬
gesellschaft bildeten; aber mehr als alles das beschäftigen ihn Museen und
Sammlungen, die architektonischen und plastischen Ueberreste des classischen
Alterthums, die topographische Beschaffenheit und die geschichtliche Vergangen¬
heit des Landes. So sind seine „Reisestudien" in Wahrheit ein Stück Kunst-
und Culturgeschichte auf dem Boden der Ortskunde. Für den Archäologen
und Kunsthistoriker enthält das Buch nicht nur eine beträchtliche Menge bis¬
her unbekannten Details, sondern vor allem auch eine Fülle von Anregungen,
die, mit den rechten Mitteln verfolgt, in Zukunft höchst fruchtbar werden
können. Mehr als einmal hat Stark auf abgelegene und wenig bekannte
Kunstschätze hingewiesen, mehr als einmal der deutschen Wissenschaft und —
der deutschen Reichsregierung lohnende Aufgaben vor Augen gestellt. Wenn
wir ehrlich sein wollen, so müssen wir freilich sagen, daß Stark's Buch nicht
für weitere Kreise, sondern daß es recht eigentlich für Archäologen und
allenfalls solche classisch Gebildete, die die neuen Entdeckungen und Fort¬
schritte der Alterthumswissenschaft mit besonderer Theilnahme verfolgen, ge¬
schrieben ist. Allerdings möchte der Verfasser gern hie und da nach Touristen¬
art den leichten und behaglichen Plauderton des Reisetagebuchs anschlagen;
er scheint eine ähnliche, zugleich „aus der Wandermappe und der Bibliothek"
geschöpfte Darstellung haben geben zu wollen, wie Georg Ebers dies vor
kurzem in seinem Buche „Durch Gösen zum Sinai" mit so viel künstlerischem
Tact gethan. Aber bei Stark hat sich eben gar zu viel Stoff aus der Biblio-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130903"/>
          <p xml:id="ID_818" prev="#ID_817"> nommer, um von dort aus größere und kleinere Ausflüge zu unternehmen:<lb/>
nach den Ruinen von Ephesus mit seinem Artemistempel, nach dem Tanta-<lb/>
losgrabe, nach dem Felsen der Niobe, endlich nach Sardes. Ende Septem¬<lb/>
ber brach Prof. Stark wieder von Smyrna auf, um durch den Archipel nach<lb/>
Athen zu fahren, wurde jedoch unterwegs auf Syra mehrere Tage durch<lb/>
Quarantäne aufgehalten. Der ganze October war Athen und seiner näheren<lb/>
und ferneren Umgebung gewidmet. Ende October erfolgte die Rückfahrt durch<lb/>
den Golf von Korinth und die griechische Inselgruppe nach Brindisi. Auf<lb/>
italischen Boden wurde schließlich Ravenna und Bologna noch ein kurzer<lb/>
Besuch abgestattet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_819" next="#ID_820"> Schon in der Retseroute, die Stark eingehalten, spricht es sich aufs<lb/>
deutlichste aus, daß die archäologischen und kunsthistorischen Interessen bei ihm<lb/>
im Vordergrunde gestanden haben. Zwar bringt er auch der landschaftlichen<lb/>
Schönheit ein offenes Auge und einen erregbaren Sinn entgegen, zwar<lb/>
verweilt er gern auch bei den Menschen von heute, die den Boden der ver¬<lb/>
sunkenen antiken Cultur beleben, er lauscht ihren religiösen Anschauungen,<lb/>
verfolgt mit Antheil alle Aeußerungen ihrer sittlichen und intellectuellen Bil&gt;<lb/>
dung, beobachtet die Wege und Erzeugnisse ihres Handels und Verkehrs und<lb/>
sucht uns selbst für diejenigen zu interessiren, die vorübergehend seine Reise¬<lb/>
gesellschaft bildeten; aber mehr als alles das beschäftigen ihn Museen und<lb/>
Sammlungen, die architektonischen und plastischen Ueberreste des classischen<lb/>
Alterthums, die topographische Beschaffenheit und die geschichtliche Vergangen¬<lb/>
heit des Landes. So sind seine &#x201E;Reisestudien" in Wahrheit ein Stück Kunst-<lb/>
und Culturgeschichte auf dem Boden der Ortskunde. Für den Archäologen<lb/>
und Kunsthistoriker enthält das Buch nicht nur eine beträchtliche Menge bis¬<lb/>
her unbekannten Details, sondern vor allem auch eine Fülle von Anregungen,<lb/>
die, mit den rechten Mitteln verfolgt, in Zukunft höchst fruchtbar werden<lb/>
können. Mehr als einmal hat Stark auf abgelegene und wenig bekannte<lb/>
Kunstschätze hingewiesen, mehr als einmal der deutschen Wissenschaft und &#x2014;<lb/>
der deutschen Reichsregierung lohnende Aufgaben vor Augen gestellt. Wenn<lb/>
wir ehrlich sein wollen, so müssen wir freilich sagen, daß Stark's Buch nicht<lb/>
für weitere Kreise, sondern daß es recht eigentlich für Archäologen und<lb/>
allenfalls solche classisch Gebildete, die die neuen Entdeckungen und Fort¬<lb/>
schritte der Alterthumswissenschaft mit besonderer Theilnahme verfolgen, ge¬<lb/>
schrieben ist. Allerdings möchte der Verfasser gern hie und da nach Touristen¬<lb/>
art den leichten und behaglichen Plauderton des Reisetagebuchs anschlagen;<lb/>
er scheint eine ähnliche, zugleich &#x201E;aus der Wandermappe und der Bibliothek"<lb/>
geschöpfte Darstellung haben geben zu wollen, wie Georg Ebers dies vor<lb/>
kurzem in seinem Buche &#x201E;Durch Gösen zum Sinai" mit so viel künstlerischem<lb/>
Tact gethan. Aber bei Stark hat sich eben gar zu viel Stoff aus der Biblio-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] nommer, um von dort aus größere und kleinere Ausflüge zu unternehmen: nach den Ruinen von Ephesus mit seinem Artemistempel, nach dem Tanta- losgrabe, nach dem Felsen der Niobe, endlich nach Sardes. Ende Septem¬ ber brach Prof. Stark wieder von Smyrna auf, um durch den Archipel nach Athen zu fahren, wurde jedoch unterwegs auf Syra mehrere Tage durch Quarantäne aufgehalten. Der ganze October war Athen und seiner näheren und ferneren Umgebung gewidmet. Ende October erfolgte die Rückfahrt durch den Golf von Korinth und die griechische Inselgruppe nach Brindisi. Auf italischen Boden wurde schließlich Ravenna und Bologna noch ein kurzer Besuch abgestattet. Schon in der Retseroute, die Stark eingehalten, spricht es sich aufs deutlichste aus, daß die archäologischen und kunsthistorischen Interessen bei ihm im Vordergrunde gestanden haben. Zwar bringt er auch der landschaftlichen Schönheit ein offenes Auge und einen erregbaren Sinn entgegen, zwar verweilt er gern auch bei den Menschen von heute, die den Boden der ver¬ sunkenen antiken Cultur beleben, er lauscht ihren religiösen Anschauungen, verfolgt mit Antheil alle Aeußerungen ihrer sittlichen und intellectuellen Bil> dung, beobachtet die Wege und Erzeugnisse ihres Handels und Verkehrs und sucht uns selbst für diejenigen zu interessiren, die vorübergehend seine Reise¬ gesellschaft bildeten; aber mehr als alles das beschäftigen ihn Museen und Sammlungen, die architektonischen und plastischen Ueberreste des classischen Alterthums, die topographische Beschaffenheit und die geschichtliche Vergangen¬ heit des Landes. So sind seine „Reisestudien" in Wahrheit ein Stück Kunst- und Culturgeschichte auf dem Boden der Ortskunde. Für den Archäologen und Kunsthistoriker enthält das Buch nicht nur eine beträchtliche Menge bis¬ her unbekannten Details, sondern vor allem auch eine Fülle von Anregungen, die, mit den rechten Mitteln verfolgt, in Zukunft höchst fruchtbar werden können. Mehr als einmal hat Stark auf abgelegene und wenig bekannte Kunstschätze hingewiesen, mehr als einmal der deutschen Wissenschaft und — der deutschen Reichsregierung lohnende Aufgaben vor Augen gestellt. Wenn wir ehrlich sein wollen, so müssen wir freilich sagen, daß Stark's Buch nicht für weitere Kreise, sondern daß es recht eigentlich für Archäologen und allenfalls solche classisch Gebildete, die die neuen Entdeckungen und Fort¬ schritte der Alterthumswissenschaft mit besonderer Theilnahme verfolgen, ge¬ schrieben ist. Allerdings möchte der Verfasser gern hie und da nach Touristen¬ art den leichten und behaglichen Plauderton des Reisetagebuchs anschlagen; er scheint eine ähnliche, zugleich „aus der Wandermappe und der Bibliothek" geschöpfte Darstellung haben geben zu wollen, wie Georg Ebers dies vor kurzem in seinem Buche „Durch Gösen zum Sinai" mit so viel künstlerischem Tact gethan. Aber bei Stark hat sich eben gar zu viel Stoff aus der Biblio-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/259>, abgerufen am 02.10.2024.