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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wie der gewaltige Thurm. So steht der Bannerherr, der Graf auf schmä¬
lerer Basis, als der Herzog, als der König; aber er ist doch nach seinem
Bilde geformt und die Fiale trägt ihre Krone ebensowohl wie der Thurm.
Jeder dieser tanzenden Heiligen, jeder dieser ungefügen Wasserspeier ist eine
Selbständigkeit; allerdings ordnet er sich, ebenso wie etwa der Abt oder der
Reichsritter, dem Ganzen ein; aber er entwickelt dabei im höchsten Maaße
seine Eigenart, ja seine Laune, die gelegentlich in argem Widerspruche steht
mit den Tendenzen des Gescunmtbaues, sei dieser nun das heilige Münster
oder sei er das heilige Reich. Diese Selbständigkeiten machen es möglich
Vieles fortzulassen, ohne doch den ganzen Bau zu zerstören; sie machen es
auch annehmbar, sich allenfalls mit dem Unfertigen zu begnügen -- wie
wenige gothisch<Dome sind vollendet worden?! Und ist das römische Kaiser¬
tum deutscher Nation jemals der Schwindelhöhe Wunderbau geworden, als
welcher er seinen großen kaiserlichen Bauherren vorgeschwebt hat! ?

Ich bin bei diesem Bergleiche mehr als bisher auf die Kriegsverfassung
eingegangen und zwar absichtlich. Denn wenn schon zu allen Zeiten die
Heeresverfassung als wichtigste Grundlage der Kriegskunst erscheint, so gilt
das doch im höchsten Grade von der Periode der Feudalität. Ganz derselbe
Styl, in welchem das Heerwesen gehalten ist, spricht sich in Kriegführung und
Taktik aus, und auch auf diesem Gebiete scheitern die großartigsten Pläne
an dem Particularismus der Theile, an ihrem Ausbleiben oder an ihrem
Eigensinn. Die Ausbildung des einzelnen ritterlichen Kriegers war innerhalb
des herrschenden Systems oft eine höchst vollendete; aber Strategie sowohl
als Taktik wurden in ihrer Entwickelung aufs Aeußerste beeinträchtigt durch
die vielen sachlichen und zeitlichen Beschränkungen der Kriegspflicht und durch
den Ehrgeiz des Adels, der sogar angesichts des Feindes um den Vorrang
im Streite haderte und mit seinem Ungestüm oft die wichtigsten Schlachten,
wie z. B. die von Crecy und Maupertuis verdarb Wer die bedeutendsten
kriegerischen Unternehmungen des Mittelalters, u. a. die Kreuzzüge, studirt,
der wird unwillkürlich erinnert an jene Neigung unserer Altväter: lieber
zwei große Domthürme anzufangen, als einen einzigen zu vollenden.

(Schluß folgt.)





-) Berge. Jacob Bmckhardt- Die Cultur der Renaissance in Italien, (Der Krieg als
Kunstwerk.) Leipzig, I8V!>.

wie der gewaltige Thurm. So steht der Bannerherr, der Graf auf schmä¬
lerer Basis, als der Herzog, als der König; aber er ist doch nach seinem
Bilde geformt und die Fiale trägt ihre Krone ebensowohl wie der Thurm.
Jeder dieser tanzenden Heiligen, jeder dieser ungefügen Wasserspeier ist eine
Selbständigkeit; allerdings ordnet er sich, ebenso wie etwa der Abt oder der
Reichsritter, dem Ganzen ein; aber er entwickelt dabei im höchsten Maaße
seine Eigenart, ja seine Laune, die gelegentlich in argem Widerspruche steht
mit den Tendenzen des Gescunmtbaues, sei dieser nun das heilige Münster
oder sei er das heilige Reich. Diese Selbständigkeiten machen es möglich
Vieles fortzulassen, ohne doch den ganzen Bau zu zerstören; sie machen es
auch annehmbar, sich allenfalls mit dem Unfertigen zu begnügen — wie
wenige gothisch<Dome sind vollendet worden?! Und ist das römische Kaiser¬
tum deutscher Nation jemals der Schwindelhöhe Wunderbau geworden, als
welcher er seinen großen kaiserlichen Bauherren vorgeschwebt hat! ?

Ich bin bei diesem Bergleiche mehr als bisher auf die Kriegsverfassung
eingegangen und zwar absichtlich. Denn wenn schon zu allen Zeiten die
Heeresverfassung als wichtigste Grundlage der Kriegskunst erscheint, so gilt
das doch im höchsten Grade von der Periode der Feudalität. Ganz derselbe
Styl, in welchem das Heerwesen gehalten ist, spricht sich in Kriegführung und
Taktik aus, und auch auf diesem Gebiete scheitern die großartigsten Pläne
an dem Particularismus der Theile, an ihrem Ausbleiben oder an ihrem
Eigensinn. Die Ausbildung des einzelnen ritterlichen Kriegers war innerhalb
des herrschenden Systems oft eine höchst vollendete; aber Strategie sowohl
als Taktik wurden in ihrer Entwickelung aufs Aeußerste beeinträchtigt durch
die vielen sachlichen und zeitlichen Beschränkungen der Kriegspflicht und durch
den Ehrgeiz des Adels, der sogar angesichts des Feindes um den Vorrang
im Streite haderte und mit seinem Ungestüm oft die wichtigsten Schlachten,
wie z. B. die von Crecy und Maupertuis verdarb Wer die bedeutendsten
kriegerischen Unternehmungen des Mittelalters, u. a. die Kreuzzüge, studirt,
der wird unwillkürlich erinnert an jene Neigung unserer Altväter: lieber
zwei große Domthürme anzufangen, als einen einzigen zu vollenden.

(Schluß folgt.)





-) Berge. Jacob Bmckhardt- Die Cultur der Renaissance in Italien, (Der Krieg als
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[0257] wie der gewaltige Thurm. So steht der Bannerherr, der Graf auf schmä¬ lerer Basis, als der Herzog, als der König; aber er ist doch nach seinem Bilde geformt und die Fiale trägt ihre Krone ebensowohl wie der Thurm. Jeder dieser tanzenden Heiligen, jeder dieser ungefügen Wasserspeier ist eine Selbständigkeit; allerdings ordnet er sich, ebenso wie etwa der Abt oder der Reichsritter, dem Ganzen ein; aber er entwickelt dabei im höchsten Maaße seine Eigenart, ja seine Laune, die gelegentlich in argem Widerspruche steht mit den Tendenzen des Gescunmtbaues, sei dieser nun das heilige Münster oder sei er das heilige Reich. Diese Selbständigkeiten machen es möglich Vieles fortzulassen, ohne doch den ganzen Bau zu zerstören; sie machen es auch annehmbar, sich allenfalls mit dem Unfertigen zu begnügen — wie wenige gothisch<Dome sind vollendet worden?! Und ist das römische Kaiser¬ tum deutscher Nation jemals der Schwindelhöhe Wunderbau geworden, als welcher er seinen großen kaiserlichen Bauherren vorgeschwebt hat! ? Ich bin bei diesem Bergleiche mehr als bisher auf die Kriegsverfassung eingegangen und zwar absichtlich. Denn wenn schon zu allen Zeiten die Heeresverfassung als wichtigste Grundlage der Kriegskunst erscheint, so gilt das doch im höchsten Grade von der Periode der Feudalität. Ganz derselbe Styl, in welchem das Heerwesen gehalten ist, spricht sich in Kriegführung und Taktik aus, und auch auf diesem Gebiete scheitern die großartigsten Pläne an dem Particularismus der Theile, an ihrem Ausbleiben oder an ihrem Eigensinn. Die Ausbildung des einzelnen ritterlichen Kriegers war innerhalb des herrschenden Systems oft eine höchst vollendete; aber Strategie sowohl als Taktik wurden in ihrer Entwickelung aufs Aeußerste beeinträchtigt durch die vielen sachlichen und zeitlichen Beschränkungen der Kriegspflicht und durch den Ehrgeiz des Adels, der sogar angesichts des Feindes um den Vorrang im Streite haderte und mit seinem Ungestüm oft die wichtigsten Schlachten, wie z. B. die von Crecy und Maupertuis verdarb Wer die bedeutendsten kriegerischen Unternehmungen des Mittelalters, u. a. die Kreuzzüge, studirt, der wird unwillkürlich erinnert an jene Neigung unserer Altväter: lieber zwei große Domthürme anzufangen, als einen einzigen zu vollenden. (Schluß folgt.) -) Berge. Jacob Bmckhardt- Die Cultur der Renaissance in Italien, (Der Krieg als Kunstwerk.) Leipzig, I8V!>.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/257>, abgerufen am 02.10.2024.