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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wer wie in der Geschichte ist Rienzi ein Nachkomme Heinrich's VII, Bei
Wagner steht davon kein Wort. Man könnte glauben, er habe seinen Volks¬
helden lieber wirklich aus dem Schooße des Volks entnehmen wollen. Aber
dann hätte er das ungeheuere Selbstbewußtsein deß Mannes in irgend einer
Weise erklären müssen. Wie sorgfältig hat Bulwer ferner die Anmaßung eingelei¬
tet, durch die sich Rienzi den Haß der deutschen Kurfürsten zuzieht! Er faßt sie auf
als eine Aeußerung begeisterter Zuversicht. Diese Aeußerung wird gethan an dem
Tage, da Rienzi vom römischen Volke den Ritterschlag erhält, in der Kirche,
in der Gegenwart von ganz Rom, nach der Aufregung einer durchwachten
Nacht, in welcher Gott wie durch ein Wunder das Leben des Tribunen be¬
schützt hat. Von all dieser minutiösen Vorbereitung hat Wagner sich sehr we¬
nig angeeignet. Bei ihm tritt Rienzi in "phantastischen und pomphaften"
Gewändern auf, zeigt sich als Prophet, wo er den Diplomaten herauskehren
sollte, redet sich gewaltsam in Begeisterung hinein -- natürlich vor dem At¬
tentat! -- und beleidigt die auswärtigen Gesandten auf das Gröbste. Solcher
zweckloser und thörichter Abweichungen ließe sich noch eine ganze Reihe an¬
führen.

In den alten Volksliedern, welche die Sage vom Tau Häuser be¬
handeln, wiederholt sich mehrfach ein origineller und bedeutender Zug.
Der Ritter will davon ziehn, aber Venus will ihn nicht lassen. Sie be¬
hauptet:


Ihr habt mir einen Eid geschworen,
Ihr wollet nicht von mir Wanken.

Darauf antwortet Tcinhäuser sehr entschieden:


Frau Venus, das habe ich nicht gethan,
Ich will das widersprechen,
Und spräche das Jemand mehr als Ihr,
Ich wollte es an ihm rächen.

Diese plumpen Verse, gleich einem groben aber charakteristischen Holz¬
schnitt, sagen das, was sie wollen, mit der größten Bestimmtheit: Venus
lügt; sie ist trotz all ihres Liebreizes ein böser Geist. Wagner hat diese
Verse unzweifelhaft gekannt, wenn nicht aus den Quellen, so doch aus Heine's
Salon Th. 3 oder aus dessen Neuen Gedichten, 1844. Aber er geht daran
vorüber. Zu seinem größten Schaden. All der Sinnenprunk, mit dem er
seine Venus umgiebt, kann dieses kleine Wort des Tadels nicht ersetzen.

Diese an sich zu unwichtigen Züge sind nicht in der Meinung aufgeführt,
als hätte W. sich unter allen Umständen gerade an sie halten müssen. Aber
sie sind nicht überflüssig, und, wenn er sie daher nicht aufnehmen wollte, so
mußte er sie ersetzen. Und da er auch das nicht gethan, so sind vielfache
Lücken in dem Bau seiner Dramen zurückgeblieben. Solche Mängel sind es


wer wie in der Geschichte ist Rienzi ein Nachkomme Heinrich's VII, Bei
Wagner steht davon kein Wort. Man könnte glauben, er habe seinen Volks¬
helden lieber wirklich aus dem Schooße des Volks entnehmen wollen. Aber
dann hätte er das ungeheuere Selbstbewußtsein deß Mannes in irgend einer
Weise erklären müssen. Wie sorgfältig hat Bulwer ferner die Anmaßung eingelei¬
tet, durch die sich Rienzi den Haß der deutschen Kurfürsten zuzieht! Er faßt sie auf
als eine Aeußerung begeisterter Zuversicht. Diese Aeußerung wird gethan an dem
Tage, da Rienzi vom römischen Volke den Ritterschlag erhält, in der Kirche,
in der Gegenwart von ganz Rom, nach der Aufregung einer durchwachten
Nacht, in welcher Gott wie durch ein Wunder das Leben des Tribunen be¬
schützt hat. Von all dieser minutiösen Vorbereitung hat Wagner sich sehr we¬
nig angeeignet. Bei ihm tritt Rienzi in „phantastischen und pomphaften"
Gewändern auf, zeigt sich als Prophet, wo er den Diplomaten herauskehren
sollte, redet sich gewaltsam in Begeisterung hinein — natürlich vor dem At¬
tentat! — und beleidigt die auswärtigen Gesandten auf das Gröbste. Solcher
zweckloser und thörichter Abweichungen ließe sich noch eine ganze Reihe an¬
führen.

In den alten Volksliedern, welche die Sage vom Tau Häuser be¬
handeln, wiederholt sich mehrfach ein origineller und bedeutender Zug.
Der Ritter will davon ziehn, aber Venus will ihn nicht lassen. Sie be¬
hauptet:


Ihr habt mir einen Eid geschworen,
Ihr wollet nicht von mir Wanken.

Darauf antwortet Tcinhäuser sehr entschieden:


Frau Venus, das habe ich nicht gethan,
Ich will das widersprechen,
Und spräche das Jemand mehr als Ihr,
Ich wollte es an ihm rächen.

Diese plumpen Verse, gleich einem groben aber charakteristischen Holz¬
schnitt, sagen das, was sie wollen, mit der größten Bestimmtheit: Venus
lügt; sie ist trotz all ihres Liebreizes ein böser Geist. Wagner hat diese
Verse unzweifelhaft gekannt, wenn nicht aus den Quellen, so doch aus Heine's
Salon Th. 3 oder aus dessen Neuen Gedichten, 1844. Aber er geht daran
vorüber. Zu seinem größten Schaden. All der Sinnenprunk, mit dem er
seine Venus umgiebt, kann dieses kleine Wort des Tadels nicht ersetzen.

Diese an sich zu unwichtigen Züge sind nicht in der Meinung aufgeführt,
als hätte W. sich unter allen Umständen gerade an sie halten müssen. Aber
sie sind nicht überflüssig, und, wenn er sie daher nicht aufnehmen wollte, so
mußte er sie ersetzen. Und da er auch das nicht gethan, so sind vielfache
Lücken in dem Bau seiner Dramen zurückgeblieben. Solche Mängel sind es


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[0222] wer wie in der Geschichte ist Rienzi ein Nachkomme Heinrich's VII, Bei Wagner steht davon kein Wort. Man könnte glauben, er habe seinen Volks¬ helden lieber wirklich aus dem Schooße des Volks entnehmen wollen. Aber dann hätte er das ungeheuere Selbstbewußtsein deß Mannes in irgend einer Weise erklären müssen. Wie sorgfältig hat Bulwer ferner die Anmaßung eingelei¬ tet, durch die sich Rienzi den Haß der deutschen Kurfürsten zuzieht! Er faßt sie auf als eine Aeußerung begeisterter Zuversicht. Diese Aeußerung wird gethan an dem Tage, da Rienzi vom römischen Volke den Ritterschlag erhält, in der Kirche, in der Gegenwart von ganz Rom, nach der Aufregung einer durchwachten Nacht, in welcher Gott wie durch ein Wunder das Leben des Tribunen be¬ schützt hat. Von all dieser minutiösen Vorbereitung hat Wagner sich sehr we¬ nig angeeignet. Bei ihm tritt Rienzi in „phantastischen und pomphaften" Gewändern auf, zeigt sich als Prophet, wo er den Diplomaten herauskehren sollte, redet sich gewaltsam in Begeisterung hinein — natürlich vor dem At¬ tentat! — und beleidigt die auswärtigen Gesandten auf das Gröbste. Solcher zweckloser und thörichter Abweichungen ließe sich noch eine ganze Reihe an¬ führen. In den alten Volksliedern, welche die Sage vom Tau Häuser be¬ handeln, wiederholt sich mehrfach ein origineller und bedeutender Zug. Der Ritter will davon ziehn, aber Venus will ihn nicht lassen. Sie be¬ hauptet: Ihr habt mir einen Eid geschworen, Ihr wollet nicht von mir Wanken. Darauf antwortet Tcinhäuser sehr entschieden: Frau Venus, das habe ich nicht gethan, Ich will das widersprechen, Und spräche das Jemand mehr als Ihr, Ich wollte es an ihm rächen. Diese plumpen Verse, gleich einem groben aber charakteristischen Holz¬ schnitt, sagen das, was sie wollen, mit der größten Bestimmtheit: Venus lügt; sie ist trotz all ihres Liebreizes ein böser Geist. Wagner hat diese Verse unzweifelhaft gekannt, wenn nicht aus den Quellen, so doch aus Heine's Salon Th. 3 oder aus dessen Neuen Gedichten, 1844. Aber er geht daran vorüber. Zu seinem größten Schaden. All der Sinnenprunk, mit dem er seine Venus umgiebt, kann dieses kleine Wort des Tadels nicht ersetzen. Diese an sich zu unwichtigen Züge sind nicht in der Meinung aufgeführt, als hätte W. sich unter allen Umständen gerade an sie halten müssen. Aber sie sind nicht überflüssig, und, wenn er sie daher nicht aufnehmen wollte, so mußte er sie ersetzen. Und da er auch das nicht gethan, so sind vielfache Lücken in dem Bau seiner Dramen zurückgeblieben. Solche Mängel sind es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/222>, abgerufen am 28.09.2024.