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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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richtig gewürdigt wären. Die Literaten hätten sich meist die Mühe erspart,
seine Werke zu lesen. Und doch, so führt er an anderen Orten aus, gehe
er auch als Dichter seine ganz neuen, einsamen Wege, Das Publikum "der
bemerke das kaum und könne also auch über das eigentliche Ziel seiner Re¬
formen nicht ins klare kommen.

Mit diesen Klagen hat Wagner, so scheint es, Recht. Ueber den Werth
seiner Compositionen ist ein erbitterter Kampf entbrannt, über denjenigen
seiner Dichtungen hat sich noch selten ein Streit erhoben. Und in der That
dürfte es doch auf diesem Gebiete weit leichter sein, sich über die Schwächen
und Vorzüge der Wagner'schen Richtung zu verständigen. Hierzu soll das
Folgende ein Beitrag sein. Die Meistersinger und die Nibelungen schließen
wir für diesmal, um den Stoff nicht zu sehr zu häufen, von der Besprechung
aus. Dagegen wollen wir an den andern Textbüchern Wagner's, vom Nienzt
bis zum Tristan, die Probe seiner dichterischen Eigenschaften versuchen.

Wir sehen ab Von Wagner's Sprache. Jeder kann sich durch einen flüch¬
tigen Blick in die theoretischen oder dichterischen Werke des Mannes von der
auffallenden Ungleichheit derselben überzeugen. Man muß sich in der That
wundern, neben kernigen Ausdrücken und treffenden Bildern einer Menge
nichtssagender Phrasen und überdies hier und da grammatischen Fehlern zu
begegnen. Fruchtbarer ist eine andere Frage: Wie verhält sich Wagner zu
seinen Quellen? Ein solcher Vergleich muß Aufschluß geben über das, was
er für gut und was er für schlecht hielt; was ihn anzog, was ihn abstieß;
und schließlich über die Sicherheit seines poetischen Instinkts.

Da fällt zunächst auf, daß Wagner mit seltener Consequenz alle eigent¬
lich feinen oder vielsagenden Züge seiner Vorarbeiter getilgt hat. So bringt
er im fliegenden Holländer, den er nach Heine bearbeitete, zwar die
Liebe Scuta's zu dem Bilde an; aber die Vorgeschichte des Bildes läßt er
weg. Bei Heine heißt es davon: "Es ist ein altes Erbstück, und nach der
Aussage der Großmutter ist es ein getreues Conterfei des fliegenden Hollän¬
ders, wie man ihn vor hundert Jahren in Schottland gesehn .... Auch ist mit
diesem Gemälde eine überlieferte Warnung verknüpft, daß die Frauen der
Familie sich vor dem Originale hüten sollen. Eben deshalb hat das
Mädchen von Kind auf sich die Züge des gefährlichen Mannes ins Herz ge¬
prägt." Kann die märchenhafte Stimmung der Sage besser ausgedrückt, die
mystische Liebe Scuta's passender vorbereitet werden? Aber Wagner strich
diesen Zusatz, bei ihm hängt das Bild einfach da, und man kann sich nur
wundern, wie es in das Haus des einfachen Kaufmannes gekommen ist.

Zum Rienzi hat er wohl unzweifelhaft den gleichnamigen Roman
Bulwer's benutzt. Auch hier ist eine kurze Vergleichung lehrreich. Bei But-


richtig gewürdigt wären. Die Literaten hätten sich meist die Mühe erspart,
seine Werke zu lesen. Und doch, so führt er an anderen Orten aus, gehe
er auch als Dichter seine ganz neuen, einsamen Wege, Das Publikum «der
bemerke das kaum und könne also auch über das eigentliche Ziel seiner Re¬
formen nicht ins klare kommen.

Mit diesen Klagen hat Wagner, so scheint es, Recht. Ueber den Werth
seiner Compositionen ist ein erbitterter Kampf entbrannt, über denjenigen
seiner Dichtungen hat sich noch selten ein Streit erhoben. Und in der That
dürfte es doch auf diesem Gebiete weit leichter sein, sich über die Schwächen
und Vorzüge der Wagner'schen Richtung zu verständigen. Hierzu soll das
Folgende ein Beitrag sein. Die Meistersinger und die Nibelungen schließen
wir für diesmal, um den Stoff nicht zu sehr zu häufen, von der Besprechung
aus. Dagegen wollen wir an den andern Textbüchern Wagner's, vom Nienzt
bis zum Tristan, die Probe seiner dichterischen Eigenschaften versuchen.

Wir sehen ab Von Wagner's Sprache. Jeder kann sich durch einen flüch¬
tigen Blick in die theoretischen oder dichterischen Werke des Mannes von der
auffallenden Ungleichheit derselben überzeugen. Man muß sich in der That
wundern, neben kernigen Ausdrücken und treffenden Bildern einer Menge
nichtssagender Phrasen und überdies hier und da grammatischen Fehlern zu
begegnen. Fruchtbarer ist eine andere Frage: Wie verhält sich Wagner zu
seinen Quellen? Ein solcher Vergleich muß Aufschluß geben über das, was
er für gut und was er für schlecht hielt; was ihn anzog, was ihn abstieß;
und schließlich über die Sicherheit seines poetischen Instinkts.

Da fällt zunächst auf, daß Wagner mit seltener Consequenz alle eigent¬
lich feinen oder vielsagenden Züge seiner Vorarbeiter getilgt hat. So bringt
er im fliegenden Holländer, den er nach Heine bearbeitete, zwar die
Liebe Scuta's zu dem Bilde an; aber die Vorgeschichte des Bildes läßt er
weg. Bei Heine heißt es davon: „Es ist ein altes Erbstück, und nach der
Aussage der Großmutter ist es ein getreues Conterfei des fliegenden Hollän¬
ders, wie man ihn vor hundert Jahren in Schottland gesehn .... Auch ist mit
diesem Gemälde eine überlieferte Warnung verknüpft, daß die Frauen der
Familie sich vor dem Originale hüten sollen. Eben deshalb hat das
Mädchen von Kind auf sich die Züge des gefährlichen Mannes ins Herz ge¬
prägt." Kann die märchenhafte Stimmung der Sage besser ausgedrückt, die
mystische Liebe Scuta's passender vorbereitet werden? Aber Wagner strich
diesen Zusatz, bei ihm hängt das Bild einfach da, und man kann sich nur
wundern, wie es in das Haus des einfachen Kaufmannes gekommen ist.

Zum Rienzi hat er wohl unzweifelhaft den gleichnamigen Roman
Bulwer's benutzt. Auch hier ist eine kurze Vergleichung lehrreich. Bei But-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/221>, abgerufen am 28.09.2024.