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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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verhaßten Neuerer mit vereinten Kräften endlich zu stürzen. Die Geistlichkeit
in Masse hatte sich nach und nach auf förmlichen Kriegsfuß mit Cavour
gesetzt. Offene Auflehnungen derselben gegen die neuen Kirchengesetze machten
gerichtliches Einschreiten gegen ihre Fahnenträger zur alltäglichen Nothwen¬
digkeit, die Minister mußten sich in klerikalen Schriftstücken "Söhne des Teu¬
fels" nennen hören, ein sogenannter "unabhängiger Wahlverein" unter dem
Vorsitz des ultramontan-aristokratischen Grafen Margherito vereinigte die
Mächte der Reaktion in einer Genossenschaft, die Cavour durch seine eignen
Waffen vernichten sollten, durch die Anwendung von Agitationskünsten, in
deren Handhabung eine rührige Priesterschaft sich in einem altgläubigen Lande,
dessen männliche Bevölkerung mancher Orten, wie insbesondere auf der Insel
Sardinien und in Savoyen kaum zum zwanzigsten Theile auch nur des Lesens
und des Schreibens kundig war, sich mit gutem Grunde die Meisterschaft
zutrauen durfte.

In der That erlitt die Regierungspartei bei den im November 18S6
vorgenommenen allgemeinen Neuwahlen empfindliche Verluste; bei der ersten
entscheidenden Stimmprobe jedoch, in Beantwortung der Frage, ob ein Mi߬
brauch des geistlichen Einflusses auf die Wahlen stattgefunden habe, wurden --
vielleicht nicht im Einklang mit dem wirklichen Willen des Gesetzes -- die
Wahlen von zwölf oder vierzehn Domherren mit einer ministeriellen Mehrheit
von 82 gegen 69 Stimmen für ungültig erklärt.

Daß die Neuwahlen den piemontesischen Adel endlich in Bewegung ge¬
bracht und demselben eine zahlreiche Vertretung in der Kammer gegeben, hielt
Cavour übrigens für einen großen Gewinn, der dem ganzen Constitutiona-
lismus zu gute kommen werde. Die Regierung hatte indessen nicht blos mit
der konservativen. sondern auch mit der ultraliberalen Opposition zu thun,
die sie mit der äußersten Schärfe wegen des Krimkrieges zur Rechenschaft zog,
der dem Lande zehntausend Mann und hundert Millionen gekostet habe, ohne
irgendeinen nennenswerthen Vortheil gebracht zu haben; denn der persönliche
Ruhm und Preis des Grafen Cavour sei doch wohl keine Schadloshaltung
des Landes sür jene Opfer: "Entweder, rief Brofferio aus, haben die Mächte
uns trügerische Hoffnungen gemacht, dann hat sich der Minister täuschen las¬
sen, oder sie haben uns keine Hoffnungen gemacht, dann hat er uns getäuscht."
Cavour antwortete so gut er konnte: man habe Italien niemals materiellen
Beistand in Aussicht gestellt, sondern lediglich moralische und diplomatische
Unterstützung und diese sei in einem Maße geleistet, welches allen billigen
Erwartungen genüge, und das auch sich wirksam erweisen werde, sobald Europa,
zur Zeit immer noch von orientalischen Angelegenheiten in Anspruch genommen,
Zeit finden werde, sich mit Italien zu befassen. Wie sich die Zukunft gestal¬
ten werde, das ließ sich freilich nicht voraussagen. Genug, Italien sei bis-


verhaßten Neuerer mit vereinten Kräften endlich zu stürzen. Die Geistlichkeit
in Masse hatte sich nach und nach auf förmlichen Kriegsfuß mit Cavour
gesetzt. Offene Auflehnungen derselben gegen die neuen Kirchengesetze machten
gerichtliches Einschreiten gegen ihre Fahnenträger zur alltäglichen Nothwen¬
digkeit, die Minister mußten sich in klerikalen Schriftstücken „Söhne des Teu¬
fels" nennen hören, ein sogenannter „unabhängiger Wahlverein" unter dem
Vorsitz des ultramontan-aristokratischen Grafen Margherito vereinigte die
Mächte der Reaktion in einer Genossenschaft, die Cavour durch seine eignen
Waffen vernichten sollten, durch die Anwendung von Agitationskünsten, in
deren Handhabung eine rührige Priesterschaft sich in einem altgläubigen Lande,
dessen männliche Bevölkerung mancher Orten, wie insbesondere auf der Insel
Sardinien und in Savoyen kaum zum zwanzigsten Theile auch nur des Lesens
und des Schreibens kundig war, sich mit gutem Grunde die Meisterschaft
zutrauen durfte.

In der That erlitt die Regierungspartei bei den im November 18S6
vorgenommenen allgemeinen Neuwahlen empfindliche Verluste; bei der ersten
entscheidenden Stimmprobe jedoch, in Beantwortung der Frage, ob ein Mi߬
brauch des geistlichen Einflusses auf die Wahlen stattgefunden habe, wurden —
vielleicht nicht im Einklang mit dem wirklichen Willen des Gesetzes — die
Wahlen von zwölf oder vierzehn Domherren mit einer ministeriellen Mehrheit
von 82 gegen 69 Stimmen für ungültig erklärt.

Daß die Neuwahlen den piemontesischen Adel endlich in Bewegung ge¬
bracht und demselben eine zahlreiche Vertretung in der Kammer gegeben, hielt
Cavour übrigens für einen großen Gewinn, der dem ganzen Constitutiona-
lismus zu gute kommen werde. Die Regierung hatte indessen nicht blos mit
der konservativen. sondern auch mit der ultraliberalen Opposition zu thun,
die sie mit der äußersten Schärfe wegen des Krimkrieges zur Rechenschaft zog,
der dem Lande zehntausend Mann und hundert Millionen gekostet habe, ohne
irgendeinen nennenswerthen Vortheil gebracht zu haben; denn der persönliche
Ruhm und Preis des Grafen Cavour sei doch wohl keine Schadloshaltung
des Landes sür jene Opfer: „Entweder, rief Brofferio aus, haben die Mächte
uns trügerische Hoffnungen gemacht, dann hat sich der Minister täuschen las¬
sen, oder sie haben uns keine Hoffnungen gemacht, dann hat er uns getäuscht."
Cavour antwortete so gut er konnte: man habe Italien niemals materiellen
Beistand in Aussicht gestellt, sondern lediglich moralische und diplomatische
Unterstützung und diese sei in einem Maße geleistet, welches allen billigen
Erwartungen genüge, und das auch sich wirksam erweisen werde, sobald Europa,
zur Zeit immer noch von orientalischen Angelegenheiten in Anspruch genommen,
Zeit finden werde, sich mit Italien zu befassen. Wie sich die Zukunft gestal¬
ten werde, das ließ sich freilich nicht voraussagen. Genug, Italien sei bis-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/189>, abgerufen am 26.12.2024.